In der vierten Corona-Welle laufen Intensivstationen erneut über. Die Situation gebe Anlass zu großer Sorge – auch weil Pflegepersonal fehle, warnen Intensivmediziner. Die Politik schaue schon zu lange weg.
Deutschlands Intensivmediziner schlagen einmal mehr Alarm. Die vierte Corona-Welle führe zur erneuten Überlastung der Intensivstationen. Weil Pflegepersonal fehle, könnten Betten nicht vorgehalten werden.
„Wir sind in großer Sorge um die Versorgung der Patienten, weil die Intensivpflege seit Jahrzehnten und ganz besonders während der Pandemie nicht so in den Fokus gerückt ist, wie es nötig gewesen wäre“, sagt Professor Felix Walcher, Präsident elect der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) und Direktor der Klinik für Unfallchirurgie am Universitätsklinikum Magdeburg, der „Ärzte Zeitung“.
„Kind ist in den Brunnen gefallen“
Die DIVI habe bereits im Frühjahr 2020 in Empfehlungen und Anregungen auf die brisante Lage der Intensivpflege hingewiesen, so Walcher. Nach dem Jahreswechsel 2020/21 sei in einer Stellungnahme und im Sommer 2021 in Form einer groß angelegten Initiative mit anderen Fachgesellschaften, in denen gut 100.000 Ärzte und Pflegekräfte vertreten seien, auf die Situation hingewiesen worden.
„Jetzt ist das Kind in den Brunnen gefallen – und es wird einige Zeit brauchen, um es wieder herauszuholen“, sagt Walcher. Viele der Beschäftigten seien – auch nach 20 Monaten Pandemie – ausgelaugt und ausgebrannt. Viele kehrten dem Beruf den Rücken „und die kommen so schnell auch nicht zurück, wenn nicht noch etwas Entscheidendes passiert“.
Laut DIVI ist die Zahl der freien Intensivbetten in Deutschland zuletzt stetig gesunken. Anfang 2021 hätten die Krankenhäuser noch 26.475 betreibbare Intensivbetten gemeldet – Ende Oktober seien es knapp 4270 Betten weniger gewesen.
Immer mehr Abgänge
Auch eine „Blitzumfrage“ des Deutschen Krankenhausinstituts unter 233 Kliniken mit Intensivbetten zeigt: Die Personalnot hat sich seit Ausbruch der Pandemie nochmals verschärft. In drei Viertel der Kliniken stehen derzeit weniger Intensivpflegekräfte zur Verfügung als 2020. Kündigungen, interne Stellenwechsel und verringerte Arbeitszeiten werden als häufige Gründe genannt.
In gut einem Drittel der Häuser fehlen – in Vollzeitkräften berechnet – fünf Prozent des Pflegepersonals, in einem weiteren Drittel bis zu zehn Prozent. Jeder elften Klinik sind während Corona zehn Prozent der Intensivkräfte abhandengekommen.
Überraschend kommt das nicht. Schon vor zehn bis 15 Jahren hätten für die Intensivstationen die „Zeichen auf Sturm“ gestanden, sagt DIVI-Experte Walcher. „Wir haben seither immer wieder Bettenmangel in Ballungszentren und Schwerpunktkrankenhäusern, weil wir schwerkranke Patienten aus anderen Teilen des Landes übernehmen müssen.“ Die Pandemie wirke wie ein Brennglas, da COVID-Patienten „add-on“ hinzukämen.
„Benötigen einen Skill-Mix“
Die Belastung der Intensivpflegekräfte sei unter anderem auch hoch, „weil die quasi alles machen: „Angefangen bei der Materialbewirtschaftung über Dokumentation bis hin zum Putzen der Betten an Wochenenden, weil die speziellen Reinigungskräfte nicht da sind“, sagt Walcher. Deshalb benötigten die Intensivstationen auch einen Skill-Mix: „Die, die einfache Tätigkeiten ausüben und die, die hochkomplexe Beatmungsgeräte bedienen und hochwertige Pflege erbringen.“
Grundsätzlich gelte es, Arbeitsbedingungen für Pflegekräfte spürbar zu verbessern, so Walcher. Dazu gehöre auch eine angemessene tarifliche Entlohnung. „Es kann ja nicht sein, dass die Pflege auf den Intensivstationen mehr Verantwortung übernimmt und am Ende gibt es dafür aber nicht messbar mehr Geld.“ Ein weiterer Aspekt sei die bessere Vergütung von Arbeit an Wochenenden und Feiertagen oder ein Bonussystem für das Ad-hoc-Einspringen im Krankheitsfall von Kolleginnen und Kollegen.
Flexiblere Arbeitszeiten nötig
„Hauptgrund für den Berufsausstieg ist die dauerhafte Überlastung durch eine schlechte Personalausstattung“, stimmt die Bundesgeschäftsführerin des Deutschen Berufsverbands für Pflegeberufe, Dr. Bernadette Klapper, zu. „Die Beschäftigten – nicht nur auf Intensivstationen – arbeiten dauerhaft an und über der Belastungsgrenze, „und das nicht erst seit der Pandemie“, sagt Klapper.
Um die Entwicklung zu stoppen, müssten Arbeitgeber für Sicherheit, psychologischen Ausgleich und Entlastung sorgen – etwa mit flexibleren Arbeitszeitmodellen. Gerade Beschäftigte der Intensivpflege wechselten zu Zeitarbeitsfirmen – auch, weil Arbeitsbedingungen dort besser seien, so Klapper. Zudem brauche es ein „faires Gehalt“. Der DBfK fordere daher ein Einstiegsgrundgehalt von 4000 Euro brutto.
Quelle: Ärzte Zeitung