Eine wissenschaftliche Studie hat die Herausforderungen in der Pflege während der Corona-Pandemie aus Sicht von Leitungskräften untersucht. Das Ergebnis: Die pflegerische Versorgung in Deutschland befand sich auch in der zweiten Welle an der Belastungsgrenze.
Das pflegerische Versorgungssystem in Deutschland befand zum Zeitpunkt der zweiten Befragungswelle während der Corona-Pandemie weiterhin an der Belastungsgrenze.
Wissenschaftler:innen des Instituts für Medizinsoziologie, Versorgungsforschung und Rehabilitationswissenschaft der Universität zu Köln (IMVR) haben Leitungskräfte aus ambulanten und stationären Pflegeeinrichtungen in Deutschland zur aktuellen Situation in der Pflege befragt. Durchgeführt wurde die Befragung, an der 299 Leitungskräfte teilgenommen haben, sowohl zu Beginn der ersten Pandemiewelle im April 2020 sowie im Verlauf der zweiten Pandemiewelle zwischen Dezember 2020 und Januar 2021.
Nachlassende Aufmerksamkeit
Im Verlauf der Corona-Pandemie haben sich die Herausforderungen und Belastungen zum Teil verschoben und verschärft. „Die COVID-19-Pandemie kann seit Ausbruch als eine Art Brennglas verstanden werden, das eine Vielzahl existierender struktureller Defizite offen gelegt hat, die von neuen Herausforderungen und Belastungen in der Langzeitpflege überlagert wurden“, so PD Dr. Timo-Kolja Pförtner vom IMVR.
Die Bewältigung der ersten Pandemie-Welle ging mit einer erheblichen Anzahl von an und mit COVID-19 verstorbenen Pflegebedürftigen einher. Mit dem Aufkommen der zweiten Pandemiewelle zum Jahresende 2020 rückten insbesondere wirtschaftliche Aspekte ins öffentliche und politische Bewusstsein. Zwar wurde der Pflege zu diesem Zeitpunkt in Deutschland weiterhin Beachtung geschenkt, sie erreichte aber nicht mehr das Niveau wie zu Beginn der Pandemie.
Impfkampagne startet – und bringt zunächst Unsicherheit
Zu wesentlichen Ergebnissen der Studie gehören: Die Testung von Pflegebedürftigen und Mitarbeiter:innen wurde zur neuen Aufgabe. Der Mehraufwand wurde weitestgehend durch das Pflegepersonal getragen, das auch im Zuge der zweiten Befragung mit Personalmangel und -ausfällen zu kämpfen hatte. Die Auswirkungen der Pandemie auf das psychische Wohlbefinden der Pflegebedürftigen – und hier vor allem der demenziell erkrankten Menschen – bedeutet auch im Zuge der zweiten Befragung eine große Belastung für die Pflegekräfte.
Die Resultate verdeutlichen, dass die anlaufende Impfkampagne von Pflegebedürftigen und Pflegenden für eine erste Entlastung gesorgt hat, dass sie aber auch mit einer Vielzahl von Unsicherheiten unter den Mitarbeitenden einhergeht. Zum Zeitpunkt der Erhebung ist ein Teil der Pflegenden aufgrund fehlender und widersprüchlicher Informationen kritisch gegenüber einer Impfung.
Das Wohlbefinden der befragten Leitungskräfte hat sich den Einschätzungen zufolge im Zuge der Pandemie weiterhin verschlechtert. Verringert hat sich im Verlauf der Pandemie hingegen die Anzahl der Leitungspersonen, die obwohl sie erkrankt waren oder sich krank gefühlt haben, am Arbeitsplatz erschienen sind (Präsentismus): während in der ersten Welle 18% der Befragten angaben, nie krank zur Arbeit zu gehen, waren es in der zweiten Welle 45%.
Soziales Miteinander gewinnt an Bedeutung
Trotz vielschichtiger Auswirkungen der Pandemie glaubt weiterhin ein Großteil der Befragten, die damit verbundenen Herausforderungen und Belastungen bewältigen zu können. Dies deutet darauf hin, dass Pflegeeinrichtungen im Notstand erprobt und dadurch widerstandsfähig sind. Die Ergebnisse verdeutlichen auch, dass der soziale Zusammenhalt und die kollektive Handlungskapazität zu den stärksten Ressourcen für die Bewältigung der pandemischen Situation zählen. (ub)