Die Corona-Pandemie ist eine bisher nicht gekannte Herausforderung für unser Gesundheitswesen. Deutlich wird dabei auch: Die Pflege ist „systemrelevant“. Weshalb es gerade jetzt wichtig ist, auch Forderungen zu stellen, erklärt Yvonne Falckner, Initiatorin einer Online-Petition, im Interview.
Yvonne Falckner arbeitet als Pflegefachkraft in Berlin und ist Initiatorin des „CareSlams“. Zusammen mit Kollegen hat sie eine Online-Petition an Bundesgesundheitsminister Jens Spahn gestartet. (© Thorsten Strasas)
Frau Falckner, seit die Corona-Pandemie auch Deutschland erreicht hat, weiß plötzlich jeder: Pflegefachkräfte sind systemrelevant. Wie fühlt sich diese „Adelung“ Ihres Berufs an?
Falckner: Das fühlt sich schon etwas überfordernd an. Es ist nicht genau erkennbar: Handelt es sich um einen Rückzug auf einfache Symbolhandlungen oder geht die Anerkennung letztlich mit einem echten Perspektivwechsel einher? Ein anderer Blick auf die Pflege und ihre Bedeutung für die Gesellschaft wäre so wichtig.
Wenn das Klatschen nur eine leere Handlung darstellt, steht die Pflege nach Corona wieder nur mit leeren Händen da. Pflege wird weiter vor sich hinplätschern, bis die Quelle schließlich versiegt. Und wenn man sich die Entwicklung der Pflege anschaut, könnte das schneller geschehen als erwartet: Fachkräftemangel, sinkende Ausbildungszahlen, eine kurze Verweildauer im Beruf und in den nächsten Jahren erreichen viele Fachkräfte das Rentenalter. Wir Pflegefachkräfte sollten endlich als ein wichtiges Fundament der Gesellschaft verstanden werden.
Personalmangel und Dauerüberlastung – Pflegefachkräfte arbeiten seit langem am Limit. Was macht die aktuelle Situation denn besonders deutlich?
Falckner: Corona zeigt, dass wir eine akute Krise auf einer chronischen Krise haben. Das ist immer eine schlechte Kombination. Die Ressourcen waren schon vorher unzureichend. Nun müssen wir unter solchen Voraussetzungen eine akute Gefahr abwehren.
Pflege hat einen sehr hohen Stellenwert, auch wenn es darum geht, andere Systeme, das gesellschaftliche Leben zu stützen. Das ist aber nur möglich, wenn wir mit ausreichend Schutzmaterial ausgestattet werden. Wir haben nichts davon, wenn Pflege zum Dauerspreader (= Dauerverbreiter des Virus) wird und das öffentliche Leben auf lange Zeit eingeschränkt werden muss. Es muss allen klar sein, dass wir gemeinsam in dieser schwierigen Situation die Daseinsvorsorge gewährleisten.
Immerhin wurden die Beatmungskapazitäten in den Krankenhäusern deutlich ausgebaut …
Falckner: Ohne genügend Fachkräfte, die sie bedienen, haben auch zusätzliche Beatmungsgeräte nur einen homöopathischen Effekt. Es braucht auch Fachkräfte, die im interdisziplinären Team einen schweren Verlauf einer Covid-19, also ein Lungenversagen, professionell begleiten.
Wir müssen sämtliche Versorgungsstrukturen stärken, insbesondere die Altenpflege und die Außerklinik. Schon jetzt warnt die Deutsche interdisziplinäre Gesellschaft für außerklinische Beatmung (DIGAB), dass die Außerklinik von Engpässen mit Beatmungsequipment betroffen sein wird. Das macht Angst. Corona könnte zum Sprengstoff für sämtliche Versorgungsstrukturen werden.
Sie haben kürzlich gemeinsam mit Kollegen eine Online-Petition an Bundesgesundheitsminister Jens Spahn gestartet. Ist jetzt die richtige Zeit, um Forderungen zu stellen?
Falckner: Ja, jetzt ist genau die richtige Zeit, insbesondere auch für die Forderung nach einem Einstiegsgehalt von 4000 € brutto für Pflegefachkräfte. Wir müssen unsere Kolleginnen und Kollegen im Pflexit, also die, die dem Beruf den Rücken gekehrt haben, zurückgewinnen. Das wird nur mit einer ernstgemeinten Einladung unter Akzeptanz der Wahlfreiheit und Mündigkeit des Einzelnen klappen. Pflege ist nicht die Spielzeugkiste des Gesundheitssystems, die man mit Herzlichkeitsfloskeln locken kann. Es ist auch nicht zu verstehen, weshalb ein Facharbeiter, der in der Industrie am Band arbeitet, besser bezahlt wird als eine Fachkraft im 3-Schichtsystem mit Verantwortung über Leben und Tod.
Was fordern Sie konkret? Was muss jetzt geschehen und welche Schritte sind langfristig unverzichtbar?
Falckner: Der Gesundheitsminister sollte jetzt das Fundament gießen und damit argumentieren, dass das Pflegesystem eine übergeordnete Rolle bei der Pandemieabwehr trägt. Nach der Krise sollten die ungesunden Schnittstellen zwischen SGB XI und SGB V korrigiert werden. Die Ausbildung muss ebenfalls oberste Priorität haben.
Sie sind Initiatorin des Berliner CareSlams, der Missstände in der Pflege durchaus auch mit Humor aufgreift. Bleibt Ihnen manchmal das Lachen im Hals stecken?
Falckner: Pflege bewegt sich sehr häufig schon im Rahmen von Realsatire. Das lässt mich oft traurig zurück. In meiner Familie wurde immer viel gelacht, obwohl wir alle ernste Menschen sind. Lachen hilft über das Schwierige. Für diese Gabe bin ich sehr dankbar. Ich für meinen Teil nehme die Pflege wirklich sehr ernst und betrachte sie als schützenswertes Gut. Mein Wunsch wäre, dass sich der Gesundheitsminister Spahn den Ritterschlag der Pflegenden holt. Ich würde ihm dann auch einen ganzen CareSlam widmen.
Das Interview führte Nicoletta Eckardt