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Erschienen in: Notfall +  Rettungsmedizin 8/2010

01.12.2010 | Medizinrecht

Rechtliche Rahmenbedingungen für klinische Prüfungen von Arzneimitteln und Medizinprodukten in der Notfallmedizin

verfasst von: Dr. iur. H.-D. Lippert, A. Felder

Erschienen in: Notfall + Rettungsmedizin | Ausgabe 8/2010

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Zusammenfassung

Auch in der Notfallmedizin eingesetzte Arzneimittel und Medizinprodukte können Gegenstand medizinischer Forschung sein, die an Notfallpatienten durchgeführt wird. Die Vorschriften über die klinische Prüfung von Arzneimitteln und Medizinprodukten schließen dies jedenfalls nicht aus. Notfallpatienten sind aber in aller Regel einwilligungsunfähig. Für die Rechtfertigung des Eingriffs steht dann nur der mutmaßliche Wille des Notfallpatienten zur Verfügung. Zur Ermittlung des mutmaßlichen Willens des Patienten ist dessen objektives und subjektives Interesse zu berücksichtigen. Entsprechende Güterabwägungen muss der forschende Arzt vornehmen, um letztlich für sein Vorhaben die erforderliche Legitimation zu haben. Die Einbeziehung Minderjähriger in notfallmedizinische klinische Prüfungen ist regelmäßig nicht möglich, wohl aber der individuelle Heilversuch und der „off-label use“. Im Einzelnen bestehen Unterschiede sowohl in den gesetzlichen Regelungen des Arzneimittelgesetzes (AMG) und des Medizinproduktegesetzes (MPG), als auch fallgruppenbezogen (minderjährige/volljährige Patienten). Bei der vertraglichen Regelung von klinischen Prüfungen mit Notfallpatienten sind Besonderheiten zu beachten.
Fußnoten
1
Wobei in der wissenschaftlichen Diskussion umstritten ist, ob diese Forschung am nicht einwilligungsfähigen Notfallpatienten nur im Rahmen des individuellen Heilversuchs bzw. des „off-label use“ möglich sein soll, oder auch darüber hinausgehend im Rahmen einer klinischen Prüfung. Übersichtlich zu diesem Diskussionsstand mit weiteren Nachweisen: Rittner, Ein Modell für die Forschung am einwilligungsunfähigen Patienten, MedR 2007, S. 340 ff., S. 341. Vgl. auch Spickhoff, Forschung an nicht-einwilligungsfähigen Notfallpatienten, MedR 2006, S. 707 ff.
 
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Rittner, Ein Modell für die Forschung am einwilligungsunfähigen Patienten, MedR 2007, S. 340 ff., S. 344. Wobei, wie unten in diesem Beitrag gezeigt wird, allgemeine gesetzliche Bestimmungen natürlich auch in diesem Rahmen Anwendung finden.
 
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Zu der am 13.05.2010 in Kraft getretenen MPKPV: Lippert, Neue Vorschriften für die klinische Prüfung von Medizinprodukten: die MPKP-Verordnung ist in Kraft getreten, GesR 2010, S. 401 ff.
 
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Der Arzt kann sich bei Einsatz eines unwirksamen Arzneimittels u.U. einer Körperverletzung durch Unterlassen strafbar machen, vgl. Kloesel/Cyran, Arzneimittelrecht Kommentar, Ziff. 7 zu § 41, Blatt 72b3 (110. Akt.-Leif. 2008). Allgemein hierzu: Blasius/Müller-Römer/Fischer, Arzneimittel und Recht in Deutschland, 1998, S. 81. Ausführlich auch von Freier, Recht und Pflicht in der medizinischen Humanforschung, 2009, S. 443 ff.
 
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Und nicht z. B. auf die Forschung außerhalb von AMG und MPG.
 
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Und selbst dort, wo diese identisch hätten geregelt werden können, hat der Gesetzgeber dies mehrfach versäumt. Zu dieser berechtigten Kritik: Lippert, Neue Vorschriften für die klinische Prüfung von Medizinprodukten: die MPKP-Verordnung ist in Kraft getreten, GesR 2010, S. 401 ff.
 
7
Dies wäre auch im Rahmen des individuellen Heilversuchs, des „off-label use“, der nichtinterventionellen Prüfung und des „compassionate use“ möglich, vgl. hierzu Spickhoff, Forschung an nicht-einwilligungsfähigen Notfallpatienten, MedR 2006, S. 707 ff., S. 708. Diese Möglichkeiten bestehen daneben weiterhin.
 
8
So auch Rittner, Ein Modell für die Forschung am einwilligungsunfähigen Patienten, MedR 2007, S. 340 ff., S. 344. Vgl auch oben Fn. 2.
 
9
Vgl. hierzu Lippert, Forschung an und mit Körpersubstanzen – wann ist die Einwilligung des ehemaligen Trägers erforderlich? MedR 2001, S. 406.
 
10
Vgl. hierzu ausführlich und grundsätzlich: von Freier, Recht und Pflicht in der medizinischen Humanforschung, 2009, S. 29 ff.
 
11
Dies bedeutet nicht, dass bei Verneinung dieser Frage, eine entsprechende Behandlung nicht möglich ist. Diese kann ggf. einen individuellen Heilversuch darstellen, oder aber ein „off-label use“ sein. Die entsprechenden Anforderungen hieran sind dann natürlich einzuhalten. Hierauf wird in diesem Rahmen nicht eingegangen. Zur (mutmaßlichen) Einwilligung allgemein Palandt/Sprau, Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), 66. Aufl. 2007, § 823, Rn. 151.
 
12
Ausführlich zur mutmaßlichen Einwilligung Spickhoff, Forschung an nicht-einwilligungsfähigen Notfallpatienten, MedR 2006, S. 707 ff., S. 713 ff.
 
13
Wobei die Anforderungen hieran in der Literatur strittig sind. Auch die Autoren vertreten hierzu unterschiedliche Ansichten: Lippert, Die Eignung des Prüfers bei der Durchführung klinischer Prüfungen mit Arzneimitteln, GesR 2008, S. 120 ff.; Kloesel/Cyran, AMG, zu § 4, Nr. 75 (Stand 99. Akt.-Lief. 2006); Felder, KFuR 2008, S. 103 ff.
 
14
Hierzu auch Kloesel/Cyran, AMG, zu § 41, Nr. 10 (Stand 110. Akt.-Lief. 2008).
 
15
Zur vertraglichen Regelung und Verantwortlichkeitsabgrenzung, s.u. Besonderheiten bei der vertraglichen Ausgestaltung.
 
16
Sponsor einer klinischen Prüfung nach AMG ist nach § 4 Abs. 24 AMG eine natürliche oder juristische Person, die die Verantwortung für die Veranlassung, Organisation und Finanzierung einer klinischen Prüfung bei Menschen übernimmt. Das MPG spricht in § 20 Abs. 6 und 7 MPG dagegen vom Auftraggeber und in § 3 Nr. 15 MPG vom Hersteller.
 
17
Eine nichtinterventionelle Prüfung im Sinne des § 4  Abs.  23, Satz 3 AMG liegt dann vor, wenn ohne einen vorab festgelegten Prüfplan für Behandlung, Diagnose und Überwachung Erkenntnisse aus der Behandlung von Personen mit Arzneimitteln im Rahmen seiner Zulassung mit epidemiologischen Methoden analysiert werden sollen. Hinter der Definition verbergen sich (weitgehend) die bisherigen Anwendungsbeobachtungen (Phase IV nach der Zulassung).
 
18
„Compassionate use“ ist die Anwendung eines (noch) nicht zugelassenen Arzneimittels am Patienten, vgl. auch § 21 Abs. 2 Nr. 6 AMG i.V.m. 83 Abs. 2 VO EG 726/2004.
 
19
„Off-label use“ ist die Anwendung eines zugelassenen Arzneimittels am Patienten außerhalb der Indikation, für die es zugelassen ist.
 
20
Zur Delegation von Aufklärung außerhalb der Notfallsituation: Holstein/Felder, Die Delegation der Durchführung der Aufklärung der Teilnehmer an einer klinischen Prüfung gem. § 40 Abs. 2 Arzneimittelgesetz, GesR 6/2009, S. 291 ff.; bzgl. Delegationsmöglichkeiten auf nichtärztliches Personal: Bergmann, Delegation und Substitution ärztlicher Leistungen auf/durch nichtärztliches Personal, MedR 2009, S. 1 ff.
 
21
Ein direkter Gruppennutzen liegt dann vor, wenn eine Gruppe von Patienten, die in derselben Situation ist wie der konkrete Patient, von der klinischen Prüfung einen direkten Nutzen davonträgt.
 
22
Ausführlich hierzu: Spickhoff, Forschung an nicht-einwilligungsfähigen Notfallpatienten, MedR 2006, S. 707 ff., S. 709.
 
23
So zutreffend Spickhoff, Forschung an nicht-einwilligungsfähigen Notfallpatienten, MedR 2006, S. 707 ff., S. 708/709, m.w.N.
 
24
Vgl. Fegert/Kölch/Lippert, Sichere Arzneimittel auch für Kinder? ZRP 2003, S. 446,
 
25
Spickhoff, Forschung an nicht-einwilligungsfähigen Notfallpatienten, MedR 2006, S. 707 ff., S. 711.
 
26
Vgl. die Verordnung über klinische Prüfungen von Medizinprodukten (MPKPV) vom 10. Mai 2010 (BGBl. I S. 555).
 
27
Spickhoff, Forschung an nicht-einwilligungsfähigen Notfallpatienten, MedR 2006, S. 707 ff., S. 711 ist der Ansicht, dass sich dies aus dem Prinzip der Einheit der Rechtsordnung ergebe. Nach Ansicht der Autoren handelt es sich dabei jedoch schon um einen allgemeinen Rechtsgrundsatz (der ja auch bei ärztlichen Behandlungen außerhalb klinischer Prüfungen Anwendung findet, im allgemeinen Zivilrecht im Rahmen der Geschäftsführung ohne Auftrag ebenfalls existiert, etc.).
 
28
Wobei der Inhalt dieser Verträge durch die Ethikkommission nur hinsichtlich ganz bestimmter Aspekte zu prüfen ist, vgl. hierzu und zum Prüfungsumfang der Ethikkommission: Felder, Aufgaben und Prüfungsumfang der Ethikkommissionen, PharmR 2007, S. 226 ff. Für die klinische Prüfung von Medizinprodukten ist dies in § 3 Abs. 3 Nr. 9 MPKPV geregelt.
 
29
Die dreiseitige Ausgestaltung des Prüfarztvertrages ist nach Ansicht der Autoren schon deswegen erforderlich, da einige gesetzlich vorgesehenen Verpflichtungen des Prüfarztes im Rahmen einer klinischen Prüfung höchstpersönliche Pflichten sind, bezüglich derer nicht die Prüfstelle verpflichtet werden kann.
 
Metadaten
Titel
Rechtliche Rahmenbedingungen für klinische Prüfungen von Arzneimitteln und Medizinprodukten in der Notfallmedizin
verfasst von
Dr. iur. H.-D. Lippert
A. Felder
Publikationsdatum
01.12.2010
Verlag
Springer-Verlag
Erschienen in
Notfall + Rettungsmedizin / Ausgabe 8/2010
Print ISSN: 1434-6222
Elektronische ISSN: 1436-0578
DOI
https://doi.org/10.1007/s10049-010-1378-8

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