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Erschienen in: Hebammen Wissen 3/2022

01.08.2022 | Hebammen Beruf

"Ready for Rescue"

verfasst von: Alexandra Heeser

Erschienen in: Hebammen Wissen | Ausgabe 3/2022

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Hebamme auf hoher See Wenn das Kommando "Ready for Rescue" ertönt, ist die über 30 Mann starke Besatzung der Ocean Viking in Alarmbereitschaft - die vier medizinischen Kräfte an Bord besonders. Denn sie kümmern sich auf dem Seenotrettungsschiff um die Menschen, die im zentralen Mittelmeer gerettet werden. Mit dabei: Die österreichische Hebamme Josefa Fasching.
Die Ocean Viking ist kein Kreuzfahrtschiff, sondern ein Offshoreversorger, der zur Seenotrettung im Mittelmeer eingesetzt wird. Josefa Fasching ist während ihres Einsatzes für Schwangere, junge Mütter, Frauen im Allgemeinen sowie Babys und Kinder bis zum 12. Lebensjahr verantwortlich. "Unser jüngster Passagier war 25 Tage alt", sagt die sympathische Österreicherin, die mit dem Internationalen Roten Kreuz (ICRC) schon bei diversen humanitären Einsätzen, beispielsweise im größten Flüchtlingscamp der Welt in Bangladesch, war. Einzigartig ist für die Hebamme jedoch ihr Einsatz im Herbst 2021 auf der schwimmenden Kranken- und Versorgungsstation der Ocean Viking. "Das Rettungsschiff wurde umgebaut und hat nun Container an Bord, die als Klinik, Apotheke sowie Hebammen- und Entbindungszimmer dienen. Es ist top ausgestattet und organisiert." Bevor das Schiff den Hafen in Marseille verlässt, dreht sie noch schnell ein kurzes Video für die Social Media Kanäle der Hilfsorganisation, in denen sie ihren Einsatz kommentiert.

Heikler Einsatz

Sie weiß nicht, was sie erwartet. "Man muss flexibel sein. Das Schiff hatte mehrere Verzögerungen, bis es von Sizilien wieder auslaufen konnte. Ich bin dann nach Marseille geflogen, wo wir im Hotel noch einmal vier Tage Trainings absolviert haben, bis die Ocean Viking endlich eingelaufen ist. Schwierigkeiten und Querelen vor dem Einlaufen sind die Teams der Seenotschiffe gewohnt. Anschließend lagen wir vier weitere Tage im Hafen und haben die ganzen maritimen Besonderheiten geübt und uns mit den örtlichen Gegebenheiten der Klinik und der Apotheke an Bord vertraut gemacht sowie Medikamente und Geräte gesichtet, bis die Patrouille endlich losging. Auch wenn keine Patienten an Bord sind, gibt es immer viel zu tun", berichtet die gelernte Hebamme, die bei diesem Einsatz für das ICRC tätig ist, das hier zusammen mit der Organisation "sos mediterranee" arbeitet. "Das Search und Rescue Team (SAR) hat noch mehr trainiert, vor allem die Seenotrettung - auch bei Nacht; bis wirklich jeder Handgriff saß. Als alle Formalitäten geklärt waren und jeder wusste, was in welcher Situation zu tun ist, sind wir endlich in die Rescue Zone aufgebrochen", erzählt sie über die angespannte Zeit, bevor das Schiff ausgelaufen ist.
Die Ocean Viking patrouilliert in internationalen Gewässern vor der Küste Libyens, um Menschen zu retten, die Schreckliches durchgemacht haben, teilweise krank sind oder misshandelt wurden. Kommt das Kommando "ready for rescue" über Funk, fährt das erste Rettungsboot raus, um die Situation zu evaluieren und die Flüchtlinge aufzunehmen. An Bord steigt die Anspannung, alle bereiten sich vor und das medizinische Team baut die Triagestation mit Defibrillator, Sauerstoffgerät und Verbandsmaterial an Deck auf. Bei jedem Einsatz, der über mehrere Wochen andauert, wechselt das gesamte Team des Schiffes. Das medizinische Team besteht immer aus einem Arzt, einer Hebamme und zwei Pflegekräften, von denen eine der medizinische Team-Leader ist. "Die größte Herausforderung auf dem Schiff ist das Platzproblem. Es ist alles relativ beengt und es gibt im Grunde auch kaum Privatsphäre. Schnell mal abschalten und sich die Füße vertreten fällt flach. Die Kajüte teilt man sich zu zweit. Aber das weiß man ja alles, bevor man an Bord geht", schildert die Hebamme aus dem oberösterreichischen Waldhausen ihre Erfahrungen. "Gott sei Dank hatte ich keine Probleme mit Seekrankheit. Viele Gerettete hatten aber damit zu kämpfen."

Bilanz: Vier Einsätze, 129 Gerettete - alle traumatisiert

Während ihres Einsatzes war Fasching bei vier Rettungsaktionen dabei, bei denen sie insgesamt 129 Menschen mit ihren Kolleg*innen betreut hat. "Die Menschen kommen mit einem der drei Rettungsboote an Bord und werden als erstes von uns triagiert. Diejenigen, die sofort medizinisch versorgt werden müssen, werden gleich an Ort und Stelle betreut. Die anderen kommen in den Women Shelter bzw. Men Shelter und kommen dann in die Krankenstation zur Behandlung", berichtet sie von den Rettungsaktionen. Englisch- und Französischkenntnisse sind Pflicht. Bei dieser Crew waren zudem zwei Teammitglieder an Bord, die arabisch gesprochen haben. "Das hat vieles erleichtert", erinnert sich Fasching.
Die Arbeit mit den schwer traumatisierten, kranken, erschöpften und teilweise unterernährten Flüchtlingen ist psychisch belastend, "aber wir lachen auch viel an Bord". Die Mahlzeiten sind oft die einzige Routine am Tag. Hinzu kommt die körperliche Erschöpfung, wenn nach 24 Stunden Einsatz, einer kurzen Dusche und drei Stunden Schlaf wieder das Kommando "ready for rescue" ertönt. Und nie weiß man, was dieses Mal kommt. "Bei meinem Einsatz kam es auch zweimal zu einer medizinischen Evakuierung", berichtet Fasching. Hier kam die Maltesische Küstenwache und hat die Patienten sofort an Land gebracht. Je nachdem, wo man sich im Mittelmeer befindet, kann es aber auch sein, dass ein Helikopter kommen muss.
"Männer haben oft Misshandlungswunden aus den Internierungslagern in Libyen, die von Schlägen mit den Gewehrläufen herrühren oder von Elektroschockern. Viele, egal ob Männer oder Frauen, wurden sexuell missbraucht. Generell arbeitet das medizinische Team Hand in Hand, aber Disziplin ist unabdingbar", berichtet Fasching von ihrem bislang forderndsten Einsatz. Wenn die Geretteten an Bord sind, sind sie erst einmal froh, weil sie seit Monaten oder Jahren endlich das erste Mal in Sicherheit sind. Die anschließende Suche nach einem sogenannten Port of Safety kann jedoch mehrere Tage dauern. Dann werden die Menschen nervös und "die Atmosphäre wird angespannt, weil sie Angst haben, dass sie doch zurück nach Libyen kommen". Oft werden dann auch noch neue Flüchtlinge gerettet, während man auf dem Weg zum Hafen ist. Das kann die Situation an Bord weiter anheizen.
Aber mit schwierigen, krisengeprägten Situationen kann die 53-Jährige umgehen, denn sie hat im Jahr 2015 das Guinea Hospital Projekt Frouki in Afrika ins Leben gerufen, wo sie Müttern und Neugeborenen in einem der ärmsten Ländern Afrikas unentgeltlich hilft. Für die Menschen in Guinea ist sie "Frau Doktor", denn sie ist jedes Jahr vier Monate vor Ort und betreut ihr Projekt dort.

Corona auch auf dem Schiff bestimmend

Fasching versorgt die Frauen und Kinder auf dem Schiff - ähnlich wie bei ihrem Projekt in Westafrika - medizinisch. Dabei verarztet sie nicht nur Verletzungen, sondern beispielweise auch schwere Sonnenbrände und Verätzungen, die bei der Überfahrt entstehen. Natürlich übernimmt sie auch die klassischen Aufgaben einer Hebamme: Das Babybaden, Flasche machen, die Untersuchungen von Frauen. Auf der Ocean Viking ist noch kein Baby geboren worden, berichtet die Hebamme. Schwangere sind aber nahezu immer dabei, wenn die Rettungsboote rausfahren, um Flüchtlinge zu retten. "Bei meinem Einsatz auf der Ocean Viking war zwar keine Schwangere dabei, aber sehr wohl Frauen mit gynäkologischen Problemen, die sich mir anvertraut haben", erklärt Fasching. Bei all dem waren die Corona-Schutzmaßnahmen und Tests an Bord eine weitere Belastung: "Mundschutz, Brille, Plastikanzüge. Darunter hat man permanent geschwitzt. Am nächsten Tag ist man dann wieder in das verschwitzte Gewand geschlüpft, weil man nach einem ready for rescue keine Zeit hatte, die Sachen zu waschen." Dennoch muss Fasching bei solchen Einsätzen nicht lange überlegen, denn Menschen zu retten ist für sie ein humanitäres Gebot.

Humanitärer Imperativ

Vergangenes Jahr, als Fasching auch im Mittelmeer half, waren nur zwei Seenotrettungsschiffe im Einsatz. "Umso wichtiger habe ich unseren Einsatz gesehen. Hier zu helfen ist für mich ein humanitärer Imperativ. Es ist nicht akzeptabel, dass wegen fehlender Rettungsboote Menschen im Mittelmeer sterben müssen", führt sie weiter aus. Josefa Fasching ist eine Frau, die man nur bewundern kann - für ihren Mut, ihr Engagement und ihren Ehrgeiz. Für sie ist der Erhalt der Würde des Menschen Antrieb für ihr eigenes Tun. Die Gewissheit, eine sinnstiftende Arbeit zu leisten und ein paar Menschen zu helfen, gibt ihr Kraft. Aber auch sie gerät an ihre Grenzen, wenn sie die Menschen an Land gehen sieht mit so viel Hoffnung. "Wir wissen ja leider, dass sich viele dieser Hoffnungen in Europa nicht erfüllen werden."
Metadaten
Titel
"Ready for Rescue"
verfasst von
Alexandra Heeser
Publikationsdatum
01.08.2022
Verlag
Springer Medizin
Erschienen in
Hebammen Wissen / Ausgabe 3/2022
Print ISSN: 2730-7247
Elektronische ISSN: 2730-7255
DOI
https://doi.org/10.1007/s43877-022-0199-6

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