Angesichts immer weiter steigender Kosten für Pflegebedürftige und ihre Familien fordert die Krankenkasse DAK eine grundlegend neue Finanzierung. Aktuell verfehle die Pflegeversicherung ihren Gründungsgedanken, Menschen vor einem Armutsrisiko zu bewahren und die Kosten der Pflege fair zu verteilen.
Bleibt im Alter noch genug Geld im Portemonnaie, um die Pflege zu bezahlen? Diese Frage treibt immer mehr Bundesbürger um.
Die DAK-Gesundheit hat sich für grundlegende Änderungen bei der Pflegefinanzierung ausgesprochen. „Aktuell verfehlt die Pflegeversicherung ihren Gründungsgedanken, die Menschen im Pflegefall vor dem Armutsrisiko zu bewahren und die Kosten der Pflege fair zu verteilen“, sagte der Vorstandschef der Kasse, Andreas Storm, bei der Vorstellung des neuen „DAK-Pflegereports“ am Mittwoch.
25 Jahre nach Einführung der Pflegeversicherung könnten viele Pflegebedürftige die Kosten für Pflege nicht mehr von sich aus aufbringen, sagte Storm. Allein der Eigenanteil für die Versorgung in Heimen liege derzeit im Schnitt bei 693 Euro monatlich. Ohne Reform verdreifache sich der Eigenanteil bis 2045 auf knapp 1900 Euro. Immer mehr Menschen gerieten dann womöglich in die „Fürsorgefalle“ und seien von der Hilfe ihrer Kinder oder vom Sozialamt abhängig.
„Ordnungspolitisch brauchen wir für die kommenden 25 Jahre eine völlig neue Finanzstatik“, machte der DAK-Chef deutlich. Die neue Finanzarchitektur müsse auf Beitragseinnahmen und langsam steigenden Steuerzuschüssen aufsetzen. „Wie das Kindergeld ist auch das Pflegegeld eine Sozialleistung mit gesamtgesellschaftlichem Charakter.“ Das rechtfertige das Anzapfen von Mitteln aus dem Steuersäckel.
Eigenanteile absenken und einfrieren
„Herzstück“ des DAK-Reformkonzepts ist der „Sockel-Spitze-Tausch“. Dabei würde der Eigenanteil abgesenkt und eingefroren. Darüber hinaus gehende Pflegekosten würden über die Pflegeversicherung aufgefangen. Bislang ist es umgekehrt.
Zuletzt hatte sich die SPD für eine entsprechende Finanzierungslogik ausgesprochen, war damit jedoch bei der Unionsfraktion auf Widerstand gestoßen. Auch deshalb, weil ein Sockel-Spitze-Tausch dem erklärten Ziel der Koalition zuwiderlaufen würde, die Sozialversicherungsbeiträge insgesamt nicht über 40 Prozent der Einkommen steigen zu lassen.
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hatte angekündigt, im ersten Halbjahr 2020 ein Finanzkonzept für die Pflege vorlegen zu wollen.
Konkrete Modellrechnung
Der Bremer Gesundheitsökonom Professor Heinz Rothgang habe für die DAK „erstmals“ konkrete Modellrechnungen für einen Sockel-Spitze-Tausch bis 2045 erstellt, berichtete Storm. Dem Modell zufolge würde mit einem Sockelbetrag der Eigenbeteiligung von im bundesweiten Durchschnitt 450 Euro monatlich gestartet.
Die Eigenanteile würden entsprechend der Lohnentwicklung „dynamisch“ steigen. „Durch unser Modell explodieren weder Eigenanteile noch Beitragssätze“, betonte Storm.
Die Eigenanteile, die Pflegebedürftige für die Heimpflege aufbringen müssen, liegen derzeit je nach Bundesland unterschiedlich hoch. Laut DAK lagen sie im ersten Quartal dieses Jahres zwischen 274 Euro in Thüringen und 925 Euro in Baden-Württemberg. Der Bundesschnitt betrug 662 Euro (siehe nachfolgende Grafik).
Um Pflegebedürftige unabhängig von ihrem Wohnort zu entlasten, schlägt die DAK zunächst unterschiedlich gedeckelte Eigenanteile je Bundesland vor, um schrittweise bis 2045 einen bundesweit einheitlichen Wert zu erreichen. Um eine Lösung für die unterschiedlichen Belastungen in den 16 Bundesländern zu entwickeln, schlug Storm zur Umsetzung der Pflegereform eine Kommission aus Vertretern von Bund und Ländern vor.
Dabei ist aus Sicht der DAK auch eine flankierende Steuerfinanzierung nötig. Laut Kasse könnte bereits 2021 mit der schrittweisen Einführung eines Steuerzuschusses in Höhe von einer Milliarde Euro begonnen werden. Bis 2025 soll der Zuschuss schrittweise auf fünf Milliarden Euro steigen, was zehn Prozent der Jahresausgaben in der Pflegeversicherung entspräche.
In „kleinen Schritten“ sei dann eine stufenweise Erhöhung nötig, die im Jahr 2045 bis zu 25 Prozent der Leistungsausgaben abdecken soll. Nach heutigem Stand entspräche dies gut 18 Milliarden Euro, rechnet die DAK vor.
Idee findet Unterstützung in der Bevölkerung
Eine Begrenzung der Eigenanteile wie auch die Finanzierung der Mehrkosten aus Steuermitteln würden von der Mehrheit der Bevölkerung unterstützt, sagte Storm. Laut einer Umfrage für den DAK-Pflegereport halten drei Viertel der Befragten die Pflegeversicherung für sinnvoll, haben aber Angst, eine mögliche Pflege im Alter finanziell nicht stemmen zu können.
80 Prozent befürchten, dass sie trotz Pflegeversicherung bei einer Pflege im Heim sämtliche Ersparnisse verlören. Vier von zehn Befragten sehen eine „sehr starke Belastung“ durch Pflegekosten.
„Es öffnet sich ein politisches Opportunitätsfenster für eine Struktur- und Finanzierungsreform der Pflegeversicherung“, sagte Pflegeexperte Professor Thomas Klie von der Evangelischen Hochschule Freiburg und Mitautor des Reports. Die Pflegeversicherung könne ihr Versprechen, das Armutsrisiko bei Pflegebedürftigkeit zu begrenzen, künftig nicht mehr einlösen. Die Politik könne und dürfe dem Thema nicht ausweichen.
Aktuell sind in Deutschland rund 2,7 Millionen Menschen pflegebedürftig. Ein Viertel wird in Heimen betreut. Die Ausgaben der Pflegeversicherung stiegen zwischen zuletzt auf 41 Milliarden Euro – im Jahr 2015 waren es noch 29 Milliarden Euro.