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09.07.2020 | Rahmenbedingungen | Nachrichten

Die Hautfarbe sollte keine Rolle spielen!

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Nach dem gewaltsamen Tod von George Floyd wurde weltweit viel über Rassismus debattiert. Gibt es auch bei uns institutionalisierten Rassismus? Und wie sieht es in der Pflege aus? Altenpfleger Nana Adjei stellte sich unseren Fragen.

Ghana © Springer Pflege

Herr Adjei, Sie wurden in Ghana geboren, seit 23 Jahren leben Sie in Deutschland, seit zwölf Jahren sind Sie deutscher Staatsbürger. Ist Rassismus für Sie ein Thema?

Ja – Rassismus begleitet mich immer wieder. Wobei ich glücklicherweise noch keine richtig schlechten Erfahrungen machen musste. Es ist vielmehr eine latente Form, die wohl eher in der Neugier begründet ist. In der Schule hat zum Beispiel ein Mädchen einmal meine Hand gerieben um zu sehen, ob die Farbe abgeht. Heute werde ich immer wieder gefragt, wie das Leben in Afrika nun wirklich sei. Ich muss dann immer wieder erklären, dass Afrika ganz bunt ist: Dort gibt es viele Sprachen, verschiedene Kulturen und Religionen. Ich vergleiche es dann mit Europa – es gibt ja auch nicht DIE europäische Sprache. So verstehen es die Menschen dann meistens.

Sie arbeiten in der Geriatrie. Treten ältere Menschen Ihnen verhaltener gegenüber?

Meine schlimmste Erfahrung machte ich gleich am ersten Tags meines Praktikums: Ich ging motiviert und voll Vorfreude in das Zimmer einer älteren Frau. Als sie mich sah schrie sie plötzlich ganz hysterisch: „ Nein, nein!“ Ich war total erschrocken und konnte mir ihre Reaktion einfach nicht erklären. Hinterher stellte sich heraus, dass ihr Mann damals im Krieg von einem Afroamerikaner ermordet worden war und sie die Ängste und Vorbehalte dunkelhäutigen Menschen gegenüber nicht geschafft hatte abzubauen. Schade. Wenn ich das vorher gewusst hätte, wäre ich nicht in das Zimmer gegangen. Das war ein wirklich harter Start in die Pflege für mich.

Solche Situationen sind also nicht die Regel?

Nein, glücklicherweise nicht. Ich habe das Gefühl, dass ich bei den Patienten eigentlich ganz beliebt bin. Einmal hat eine Patientin gesagt, sie möchte nicht von Afrikanern versorgt werden. Das ist traurig – aber das habe ich akzeptiert. Und dann gab es einmal einen Mitarbeiter der Security-Firma, der mich vor meinem Team beleidigend ansprach. Das hat mich erschrocken – und meine Kollegen auch. Ich habe ihn darauf angesprochen und er behauptete, dass er das nicht so gemeint habe – das sage man doch so. Das sehe ich aber nicht so! Mit der Anrede fängt es doch an – zeige ich, ob ich Respekt vor meinem Gegenüber habe, oder nicht. Ich versuche in solchen Situationen locker zu bleiben. Wenn wir auf einen Nenner kommen, dann sind wir gut. Wenn nicht, dann gehen wir halt eben getrennte Wege.

Bietet Ihre Migrationsgeschichte auch eine besondere Möglichkeit, in die Biografiearbeit mit den Patienten einzusteigen?

Ja – absolut! Viele der älteren Patienten treten mir gegenüber sehr neugierig auf. Und über die Fragen kommen wir ins Gespräch. Viele Fragen zielen darauf ab, wie ich nach Deutschland gekommen bin. Daraus ergeben sich nicht selten Geschichten über die eigene Kriegsgefangenschaft oder selbst erlebte Fluchterfahrungen.

Wann müssen Sie vielleicht auch mal schmunzeln, wenn das vermeintlich Fremde zu kuriosen Gedanken verleitet?

Sie glauben ja gar nicht, wie häufig ich ernsthaft gefragt werde, ob ich zu jedem Dienst aus Afrika geflogen komme. Der Gedanke an sich ist ja total absurd – aber einige Patienten können sich wohl nicht vorstellen, dass ich wirklich hier lebe. Oder wenn ich gefragt werde, ob es in Afrika Straßen gibt. Es ist schade, dass in Zusammenhang mit Afrika meistens alles sehr negativiert wird.

Wie sieht Rassismus im Alltag für Sie aus?

Rassismus ist immer da. Meistens sehr versteckt – und sicherlich auch nicht immer böse gemeint. Aber wenn Sätze beginnen mit „Nicht, dass Sie mich falsch verstehen, aber …“ dann spürt man die Distanz. Am Ton und der Wortwahl höre ich dann raus, ob echte Unwissenheit dahinter steckt oder doch eine Provokation. Ich versuche den Menschen immer offen und professionell zu begegnen. Ich sage mir „Mensch ist Mensch“. Aber wenn ein Gespräch in eine negative Richtung abrutscht, breche ich es auch ab. Diskussionen über das Anders-Sein machen oft keinen Sinn. Aber ehrlich gesagt hören mir die meisten interessiert zu.

Hatten Sie schon einmal das Gefühl, aufgrund Ihrer Migrationsgeschichte beruflich benachteiligt gewesen zu sein?

Von Kollegen habe ich solche Erlebnisse schon häufiger gehört. Ich selbst habe sie zum Glück noch nicht machen müssen. Im Gegenteil: Ich wurde vor kurzem erst gefragt, ob ich die Position der stellvertretenden Stationsleitung übernehmen möchte. Ich habe abgelehnt, weil es aus privaten Gründen für mich nicht passte. Aber die Gelegenheit war da. Den Posten hat nun meine Kollegin mit portugiesischer Herkunft übernommen. Die berufliche Entwicklung hängt nicht von der Herkunft ab – vielmehr von meiner eigenen Leistung. Und ehrlich gesagt von der Leitung. Meine Leitung beispielsweise macht das top: Unser Team ist bunt zusammengewürfelt: Meine Kollegen kommen aus Äthiopien, Kenia, Ghana, Syrien, Marokko, Deutschland, der Türkei, Afghanistan, Portugal und Italien. Und obwohl wir multikulti sind, halten wir zusammen.

Aber ich habe in mir das Gefühl, dass ich immer mehr leisten muss, als meine deutschen Kollegen – hauptsächlich weil Deutsch nicht meine Muttersprache ist. Das sehe ich aber nicht als Benachteiligung, sondern viel mehr als mein ganz persönliches Ding.

Kennen Sie eine Stationsleitung mit Migrationsgeschichte?

Um ehrlich zu sein, kenne ich nicht viele Stationsleitungen mit Migrationshintergrund. Ich habe das Gefühl, dass ist in Deutschland tatsächlich noch nicht einfach, berufliche Karriere zu machen, wenn man aus einem anderen Land kommt. Das liegt zum einen sicherlich an der Sprache. Aber man muss seinen Werdegang schon außerordentlich gut gemeistert haben und sehr fleißig gewesen sein. Wenn man erfolgreich sein will, muss man einfach ‚eingedeutscht‘ sein. Also die Werte und Normen kennen und leben, das Deutsche verkörpern. Das ist ein schwieriger Weg – vor allem weil man meistens ja seine Herkunft ja nicht verleugnen will. In England oder Kanada erscheint mir das einfacher: Hier sieht man vielmehr Menschen mit Migrationshintergrund in Führungspositionen oder beliebten Berufen. In Deutschland bekommt man schon seine Chancen – aber es muss halt einfach alles zusammenpassen.

Was sollte sich Ihrer Meinung nach in Deutschland dringend ändern?

Ich wehre mich dagegen, alles nur auf die Hautfarbe zu reduzieren oder mich gar dahinter zu verstecken. Wenn es mal nicht so gut läuft, dann mache ich nicht meine Herkunft dafür verantwortlich. Das ist nicht immer leicht – aber sonst kommt man ja nie aus dem Teufelskreislauf raus. Ich würde mir wünschen, dass auf der anderen Seite die Hautfrage ebenfalls keine Rolle spielt – sondern dass man den Menschen und seine Leistung sieht. Ich hoffe auf eine offene Welt, in der wegen der Hautfarbe, Religion und Kultur keine Benachteiligung stattfindet.

Wo möchten Sie beruflich in fünf Jahren stehen?

Ich möchte gerne meine Kompetenzen als Praxisanleiter weiter ausbauen. Mir macht die Arbeit mit Auszubildenden viel Spaß. Außerdem kann ich mir sehr gut eine Leitungsposition vorstellen. In jedem Fall möchte ich in der Pflege bleiben und mich hier weiter entwickeln.

Das Interview führte Josefine Baldauf.

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