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28.02.2019 | Rahmenbedingungen | Nachrichten

Alexander Jorde: Alleine kann man nichts erreichen

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Sein Auftritt in der ARD-Wahlarena sorgte für Schlagzeilen: Vor laufenden Kameras kritisierte Pflege-Azubi Alexander Jorde die Kanzlerin. Die Zustände in der Pflege seien menschenunwürdig, erklärte er und warf der Politik Versagen vor. Mit einem Buch mischt sich der Nachwuchspfleger aus Hildesheim auch weiter in die öffentliche Debatte ein.

Herr Jorde, Sie haben ein Buch über den Pflegenotstand geschrieben. Weshalb war Ihnen das ein Anliegen?

Nach meinem Gespräch mit Frau Merkel in der Wahlarena habe ich viel Aufmerksamkeit bekommen. Plötzlich hatte ich die Möglichkeit, mein Anliegen vorzubringen. Doch man schafft es immer nur an der Oberfläche zu kratzen. Als ich gefragt wurde, ob ich mir ein Buch vorstellen könnte, habe ich die Chance genutzt. Es ist schön, tiefer auf die Themen eingehen zu können. Ich wollte aber auch zeigen, dass Pflege weit mehr ist als das Bild, das gesellschaftliche Klischees von diesem Beruf zeichnen.

Die Pflege krankt. Was sind denn die Hauptgründe, weshalb das System zu kollabieren droht?

Für Pflegefachkräfte ist es nichts Neues: Jeder weiß, dass eine Fachkraft im Schnitt deutlich zu viele Patienten betreut. Das führt zu einer schlechten Qualität in der Versorgung und einer enormen Arbeitsbelastung. Durch den demographischen Wandel wird sich dieses jetzt schon dramatische Problem noch massiv verstärken. Und wenn irgendwann jährlich doppelt so viele Kolleginnen und Kollegen in Rente gehen, wie neue in den Beruf kommen, kann kaum noch jemand dieser Belastung standhalten.

In Ihrem Buch werfen Sie einen Blick über den Tellerrand. Was machen andere Länder wie Norwegen denn besser?

Einiges. In Norwegen wird das Gesundheitssystem solidarischer finanziert, so dass auch höhere Einkommen mit einbezogen werden. Dadurch steht insgesamt deutlich mehr Geld im System zur Verfügung. Es wird nicht sofort die Frage gestellt: „Können wir uns gute Pflege überhaupt leisten?“ Die Krankenhäuser befinden sich überwiegend in staatlicher Hand. Daher stehen auch nicht die Gewinninteressen privater Klinikbetreiber im Vordergrund. Vor allem genießt der Pflegeberuf dort eine höhere gesellschaftliche Anerkennung. Das ist auch mit dem Zugang über den Hochschulabschluss verknüpft.

Das Thema Pflege ist offenbar endlich in der Politik angekommen – auch dank Ihres Engagements. Sind wir auf dem richtigen Weg und was muss aus Ihrer Sicht noch passieren?

Es gab schon viele, die lange vor mir mit großem Engagement für Verbesserungen in der Pflege gekämpft haben. Da habe ich wahrscheinlich noch im Sandkasten gespielt. Mit der Wahlarena und auch im Anschluss daran, bot sich mir eine Plattform, um das Thema in die Öffentlichkeit zu tragen. Allerdings glaube ich, dass die Politik immer nur an dem interessiert ist, was die Wählerinnen und Wähler aktuell bewegt. Wenn  das Thema Pflege in ein paar Jahren wieder in den Hintergrund tritt, wird es auch im politischen Alltag kaum mehr eine große Rolle spielen.

Von der Politik verlange ich, dass sie ihre Aufgaben erfüllt: Für mich heißt das, die Rahmenbedingungen sichern und die Finanzierung gewährleisten. Konkret brauchen wir eine verbindliche Personalbemessung, die sich am Bedarf der Patienten orientiert. Aber auch eine solidarische Finanzierung ohne Beitragsbemessungsgrenze.

Reicht das schon?

Nein, am Ende dürfen wir uns nicht auf die Politik verlassen. Wir Pflegekräfte müssen unser Schicksal selbst in die Hand nehmen. Wir müssen in der Gewerkschaft für bessere Löhne und Arbeitsbedingungen kämpfen, im Berufsverband und der Pflegekammer für eine starke und professionelle Pflege. Und das kann keiner Einzelperson gelingen. Deswegen möchte ich auch noch einmal ganz klar betonen, dass ich alleine nichts bewegen kann, das können wir nur alle gemeinsam.

Ihre Ausbildung neigt sich dem Ende. Werden Sie der Pflege treu bleiben – trotz all der Missstände?

Der Pflegeberuf ist ein unglaublich komplexer, faszinierender und vielfältiger Beruf. Leider kollidiert all das sehr hart mit den aktuellen Arbeitsbedingungen. Ich möchte erst einmal als examinierte Pflegefachkraft Erfahrungen sammeln. Danach schaue ich, wo es mich in der Zukunft hinführt.

 

Das Interview führte Nicoletta Eckardt.

Das Buch von Alexander Jorde finden Sie hier.

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