PPH 2008; 14(4): 198-200
DOI: 10.1055/s-2008-1027659
Psychiatrie-Erfahrene

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Leben mit Schizophrenie

F.-J Wagner
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Publication Date:
25 August 2008 (online)

Aktivierung von Ressourcen und das Achten auf Frühwarnzeichen

Wesentlich beigetragen zur Gesundung von der Diagnose Schizophrenie hat die Aktivierung und der gezielte Einsatz meiner äußeren Ressourcen (soziale Kontakte und finanzielle sowie logistische Möglichkeiten) und inneren Ressourcen (soziale und intellektuelle Fähigkeiten sowie persönliche Eigenschaften). Da aber meine Persönlichkeit keine Spannung und Schwingung mehr hatte, versuchte ich mich mithilfe meines rudimentären Intellektes auf das zu konzentrieren, was mir vor der Diagnose Schizophrenie Spaß gemacht hat. Ich erinnerte mich an das Kochen und Saunieren. Anfangs war ich keine fünf Minuten im geschlossenen Bereich der Sauna – es zog mich nach Draußen in die Freiheit. Trotzdem wiederholte ich wöchentlich diese Aktivität und stellte nach mehreren Monaten fest, dass ich mich schon längere Zeit (zehn Minuten) im Saunabereich aufhalten konnte. Das waren erste Erfolgserlebnisse. Zur gleichen Zeit eröffnete die Tagesstätte für psychisch kranke Menschen (niederschwelliges Angebot). Den Besuch der Tagestätte fand ich langweilig, jedoch wollte ich meinem Leben wieder einen Sinn geben und engagierte mich beim Kochen. Ich fand es toll, die Aufgabe „Einkaufen” zu übernehmen! Leider stieß ich schon bei den ersten Lebensmitteleinkäufen an meine Grenzen. Ich hatte mir notiert: 750 g Reis. Reis lag im Regal als lose und gebeutelte Ware und dann noch in 500 g und 1 kg Verpackung – können Sie sich vorstellen, was bei mir los war? Ich konnte mich nicht entscheiden, ich wollte zurück in die Tagesstätte und um Hilfe und Rat fragen. Nach 15 Minuten Überlegung vor dem Regal, was ich machen soll, habe ich mich entschieden. Für normale Menschen ohne Psychopharmaka (ich gehe heute davon aus, dass die Psychopharmaka mich in diese Situation brachten) ist eine solche Entscheidung eine kleine Routine und es bedarf keiner ausführlichen Überlegungen und Entscheidungsprozesse. Zehn Jahre nach diesen Erlebnissen macht mir das Saunieren und Kochen sehr viel Spaß.

Ein weiterer Meilenstein meiner Aktivitäten, nach weiteren sechs Jahren, war das Bewusstwerden des Bio-psycho-sozialen Modells: Subjektives Erleben, soziales Verhalten und der biologische Bereich bestimmen über mein Empfinden zwischen Manie und Depression ([Abb. 1]).

Abb. 1 Drei Komponenten bestimmen über das Ergebnis „manisch” oder „depressiv”.

Diese drei Sinuskurven erhalten dann eine Bedeutung, wenn die resultierende „Persönlichkeit” eingeteilt wird: In Orientierung (Veränderung/Störung wird wahrgenommen), Alarmreaktion (Energie- und Handlungsreserven werden aktiviert), Widerstandsphase (Störung bleibt, Körper bleibt angespannt bis zur Lösung des Problems) oder Erschöpfungsphase (schädlich wird es für den Körper, wenn wir uns nicht an die Störung gewöhnen können oder sogar neu gefordert werden, bevor wir erholt sind), Entspannung (Körperliche Aktivität, Hobbys, Freunde) und Regeneration (Kraft schöpfen für neue Herausforderungen).

Mit dem Bewusstwerden dieser meiner Einteilung in den subjektiven, sozialen und biologischen Bereich konnte ich immer mehr und stärker Empfindungen wahrnehmen. Frühzeitig nehme ich nun in der „Orientierungsphase” Veränderungen war und bemerke im „Alarmbereich” die Frühwarnzeichen wie: Verschiebung des Wach- & Schlafrhythmus, Schlaflosigkeit, kein Durst, gesteigerter Hunger, Appetitlosigkeit, verlangsamt, unkoordiniert, hektisch usw. Bemerken dann auch noch meine Freunde und die Mitarbeiter des Gemeindepsychiatrischen Verbundes vor Ort: Veränderung der Augen wie glänzend, flackernd, unruhig, trübe, verschleiert oder/als auch bleiches, fahles Aussehen, aufgedunsen oder/und Augenringe, so gehe ich von einer verstärkten Korrelation meiner und der fremden Eindrücke aus, die meine Energie Richtung „Erschöpfungszustand” beobachten. Das macht mir aber keine Panik und führt mich zur Zeit nicht in die stationäre Psychiatrie, sondern fordert mich zu Gegenmaßnahmen (Widerstandsphase) wie: Supportive Gespräche, körperliche entspannende Aktivitäten, Sport, aktivieren meiner Hobbys Kochen, gezielte Anwendung einer Aromatherapie oder/und Saunieren, Reduzieren terminlicher Aktivitäten, Schlafen usw. heraus.

Literatur

  • 1 Knuf A. Basiswissen: Empowerment in der psychiatrischen Arbeit. Bonn; 2006
  • 2 Wagner F -J. „Unheilbar krank – nein danke” – Wege aus einem Diagnose-Trauma.  Soziale Psychiatrie. 2007;  3
  • 3 Wagner F -J. Bessere Reintegration mithilfe der Persönlichen Budgets und ambulanter psychiatrischer Pflege.  Psych Pflege Heute. 2007;  3

Franz-Josef Wagner

Gratianstr. 7

54294 Trier

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