Der Klinikarzt 2007; 36(7): 381
DOI: 10.1055/s-2007-985347
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Metabolisches Syndrom

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Publication Date:
26 July 2007 (online)

Großes Aufsehen hat unlängst eine Statistik der Internationalen Adipositas-Gesellschaft (IASO) erregt, wonach wir Deutschen die Europameister in der Prävalenz des Übergewichts sind. Grundsätzlich haben wir damit die besten Voraussetzungen, europaweit auch die höchste Prävalenz für das metabolische Syndrom vorweisen zu können. Doch wer weiß das schon genau? Ebenso wie die Statistik zur Häufigkeit der Adipositas auf heterogenen Daten aus einem großen Beobachtungszeitraum beruhte, hat auch die Epidemiologie des metabolischen Syndroms ihre Probleme. Dies ist nicht zuletzt Folge der unterschiedlichen Definitionen.

Bisweilen wird darüber diskutiert, ob das metabolische Syndrom in die Kategorie der „erfundenen Krankheiten” gehört, deren Diagnose verzichtbar ist und die vornehmlich als Grundlage für neue Marketingstrategien der Pharmaindustrie dienen. Die Erkenntnisse der Epidemiologie sind dabei jenen der Therapieforschung weit voraus. Manches ist durch Endpunktstudien gut abgesichert, anderes nicht. Auch die Autoren dieses Schwerpunkthefts können Ihnen nicht mit letzter Gewissheit versichern, ob wir durch die Diagnose eines metabolischen Syndroms mehr wissen als durch die Würdigung der einzelnen Komponenten bzw. ihre jeweils separate Einbeziehung in unsere therapeutischen Überlegungen.

Die kontroversen Diskussionen um die eigenständige Entität eines metabolischen Syndroms dürfen jedoch nicht von der Notwendigkeit einer individuellen Risikostratifizierung ablenken. Obwohl einzelne Faktoren des metabolischen Syndroms auch unabhängig vom Übergewicht auftreten können, ist ein Zusammentreffen von drei oder mehr Komponenten nahezu immer mit Übergewicht assoziiert. Behandelt man jede einzelne Komponente des metabolischen Syndroms nicht nur mittels einer zunächst indizierten Lebensstilintervention, sondern sieht man sich zu einer Pharmakotherapie veranlasst, so addieren sich die notwendigen Medikamente schnell zu einer stattlichen Zahl - angefangen bei einer Kombination von Antihypertensiva und mehreren Antidiabetika über Thrombozytenaggregationshemmer und Statine. Oft schließt sich daran noch die Frage an, ob ein niedriges HDL-Cholesterin angehoben bzw. erhöhte Triglyzeride gesenkt werden müssen. Am Ende erhalten viele Patienten mit metabolischem Syndrom eine kostenintensive Polypharmakotherapie, die hohe Anforderungen an die Therapietreue des Patienten stellt.

Attraktiv erscheint daher die Entwicklung mehrdimensional wirksamer Pharmaka. Schon heute gibt es medikamentöse Optionen, die mehrere Komponenten des metabolischen Syndroms günstig beeinflussen können, wie zum Beispiel Glitazone (Rosiglitazon und Pioglitazon) und Endocannabinoidrezeptor-Antagonisten (Rimonabant). Damit ein Arzneimittel möglichst viele verschiedene Risikofaktoren regulieren kann, muss es aber an multiplen Wirkorten in etliche Stoffwechselwege eingreifen. Die aktuellen Erkenntnisse zu beiden Glitazonen (erhöhtes Frakturrisiko bei Frauen) sowie speziell zu Rosiglitazon (fraglich erhöhtes Herzinfarktrisiko) bzw. die neuesten Berichte um eine erhöhte Suizidalität im Zusammenhang mit Rimonabant zeigen ein Dilemma solcher Pharmaka auf: Der Vorteil vielfältiger Wirkungen, wie bei der Pharmakotherapie des metabolischen Syndroms grundsätzlich erwünscht, geht vermutlich mit einer geringeren Berechenbarkeit möglicher langfristiger Nebenwirkungen einher.

Von einer Pharmakotherapie des metabolischen Syndroms mithilfe einer einzigen Substanz sind wir daher vermutlich auch im Jahr 2007 weiter entfernt als bisher angenommen. Sollten wir uns daher lieber wieder auf die alte Idee der „Polypill”, zugeschnitten auf die Anforderungen des metabolischen Syndroms, zurückbesinnen?

Prof. Dr. Andreas Hamann

Bad Nauheim (Gasteditor)

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