Physikalische Medizin, Rehabilitationsmedizin, Kurortmedizin 2006; 16(3): 117-118
DOI: 10.1055/s-2006-939992
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Wie rentabel ist Rehabilitation?

How Profitable is Rehabilitation?U.  C.  Smolenski1 , W.-D.  Müller2
  • 1Universitätsklinikum Jena, Institut für Physiotherapie, Jena
  • 2m & i Fachklinik Bad Liebenstein, Abteilung Orthopädie/Traumatologie Bad Liebenstein
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Publication Date:
20 June 2006 (online)

Rehabilitation ist neben Prävention, Akutmedizin und Pflege eine wichtige Säule des deutschen Gesundheitssystems - wesentlicher Inhalt ist die Bewältigung von Krankheitsfolgen. Rehabilitation ist der koordinierte Einsatz medizinischer, sozialer, beruflicher, pädagogischer und technischer Maßnahmen unter Einbeziehung des sozialen und physikalischen Umfeldes zur Funktionsverbesserung, zum Erreichen einer größtmöglichen Eigenaktivität und zur weitestgehend unabhängigen Teilhabe in allen Lebensbereichen; der Betroffene soll in seiner Lebensgestaltung so frei wie möglich sein.

Die qualitativen und quantitativen Anforderungen an die Rehabilitation werden bei Zunahme chronischer Erkrankungen und gleichzeitig höherer Lebenserwartung weiter steigen. Medizinischer Fortschritt generiert Rehabilitationsbedürftigkeit bei dynamischer Entwicklung im Sozial- und Gesundheitssystem, Veränderung in der Berufswelt und einer längeren Lebensarbeitszeit. Medizinischer Fortschritt kennt deshalb keine Grenzen, weil wir alle an dieser Weiterentwicklung interessiert sind - jeder ist ein direkt oder indirekt Betroffener. Zudem wissen wir, dass gute Medizin gewissermaßen auch selbst Medizinbedürftigkeit erzeugt. Gleichzeitig kämpfen wir mit knapper werdenden Ressourcen.

Die kurative Medizin erfährt eine bedeutsame Erweiterung dadurch, dass sie Folgeschäden, deren Bewertung, Abwendung und Reduzierung sowie Integration des Patienten in das soziale Umfeld einbezieht. Rehabilitation orientiert sich heute am ICF-Modell der Krankheitsfolgen, d. h. der Einschätzung, Bewertung und Beeinflussung von Schaden, Aktivität und Partizipation.

Bei allem Bekenntnis, die großen Aufgaben der Medizin in Zukunft nicht nur kurativ, sondern auch präventiv und rehabilitativ zu bearbeiten, wird dieser Prozess des Umdenkens vor allem im universitären Bereich und damit in der Ausbildung von Ärzten Zeit brauchen. Die Medizin der Zukunft kann nicht reine Reparaturmedizin sein, sondern muss sich den Kriterien einer salutogentischen Betrachtungsweise stellen.

Die Erfahrungen der Strukturkrise der stationären Rehabilitationssektors der Jahre 1996/97 und die damals geführte umfassende politische Diskussion haben deutlich gemacht, dass es zumindest bis zum damaligen Zeitpunkt noch nicht ausreichend gelungen war, die Notwendigkeit und Unverzichtbarkeit sowie den Nutzen der Rehabilitation für das deutsche Gesundheitswesen nachzuweisen. Das Führen eben dieses Nachweises besteht als notwendige und vordringliche Aufgabe. Bei Rehabilitation handelt es sich dabei um ein komplexes Geschehen der Interdisziplinarität des Teams, der Zusammenarbeit von Ärzten, Therapeuten und Patienten mit Angehörigen; der Zusammenarbeit von Medizinern und Kostenträgern unter Einbeziehung wissenschaftlicher Strategien, der Finanzierung und der Umsetzung mit verschiedenen Organisationsformen, der Auseinandersetzung mit der Politik und nicht zuletzt, Jahre im Voraus gedacht, der Zusammenarbeit mit den Auszubildenden und Studenten.

Um diese Ansprüche zu erfüllen, bedarf es einer wissenschaftlichen Bearbeitung und Validierung von Rehabilitation als Gesamtprozess und nicht nur von Rehabilitation als organisatorische Struktur. Wissenschaftliche Tätigkeit hat zum Ziel, Kenntnisse und Wissen zu vermehren. Sie beruht nicht auf Glauben und Meinungen, sondern auf Fakten und fundierten Kenntnissen. Die Begründungen müssen sich strengen Überprüfungsanforderungen stellen. Ein solcher Prozess ist ohne klinischen Bezug nicht möglich. Dabei muss die Rehabilitation einen Spagat in der wissenschaftlichen Bewertung realisieren, der zwischen EBM (Evidence-Based Medicine) - EBM (Experience Space Medizin) - EBM (einheitlicher Bewertungsmaßstab) gelegen ist.

Wissenschaftlichkeit bedeutet nicht nur Evidence-Based Medicine, sondern Beurteilung von Qualität und Ergebnis:

„The best measure of quality is not how well or how frequently a medical service is given, but how closely the results approaches the fundamental objectives of prolonging life, relieving distress, restoring function and preventing disability” [1].

Inhalt der gesellschaftlichen Debatte ist der Zusammenhang zwischen Aufwand und Ergebnis, insbesondere zwischen Kosten und Ergebnis mit dem Ziel der effizienten und kosteneffektiven Behandlung (Ergebnis- und Kostenoptimierung). Ist die Vorgabe einer Rationierung statt Rationalisierung zur Kostenersparnis - teilweise mit Qualitätsminderungen - als Qualitätsziel akzeptabel? Vor diesem Hintergrund ist es legitim und dringend notwendig, die Frage zu stellen „Wie rentabel ist Rehabilitation?”.

Das 2. Symposium „Funktionale Gesundheit und Rehabilitation”, veranstaltet vom Institut für Physiotherapie der Friedrich-Schiller-Universität Jena, der m&i-Fachklinik Bad Liebenstein und der Deutschen Gesellschaft für Physikalische Medizin und Rehabilitation, brachte Politiker, Gesundheitsökonomen, Mediziner und Praktiker zu dieser Fragestellung zusammen.

Hinsichtlich der Strukturqualität ist die Problemlösung in Deutschland sehr weit fortgeschritten und definierte Strukturmerkmale sind bundesweit eingeführt. Strukturqualität ist eine Zulassungsvoraussetzung für Einrichtungen, in denen Rehabilitation betrieben wird.

Hinsichtlich der Prozessqualität sind aktuell intensive Bemühungen erkennbar. Das Per-review-Verfahren der Rentenversicherung, das QS-Reha-Verfahren der gesetzlichen Krankenversicherung, systematische Patientenbefragungen und Zertifizierungssysteme sind eingeführt, verbunden mit erheblichem personellen und bürokratischen Aufwand. Eine direkte Einflussnahme auf den laufenden Prozess ist nur begrenzt möglich.

Ergebnisqualität ist als dringend zu bearbeitendes Problem erkannt. QS-Reha stellt einen Lösungsversuch dar. Es beinhaltet aber derzeit noch einen hohen Aufwand für Arzt und Patienten und die notwendigen Assessmentsysteme sind relativ unspezifisch bzw. nicht etabliert und validiert.

Insgesamt stellt sich die Frage, ob mehr Aufwand immer ein besseres Ergebnis bedeutet? Die Praxis zeigt, das die Relation von Aufwand und Ergebnis eher dem Prinzip einer Sättigungskurve folgt, d. h. mit einem Aufwandsoptimum ist ein Ergebnisoptimum erreichbar; darüber hinaus bringen weitere Kostensteigerungen keine weiteren Effekte.

Somit kommen wir zur Frage der Ergebnisoptimierung und eines möglichen verzichtbaren Aufwandes für bestimmte Prozesse.

Der Lösungsansatz für die Weiterentwicklung der Rehabilitation liegt demnach in einem permanenten multidimensionalen Assessment mit dem Schwerpunkt der Ergebnisqualität und Effizienz sowie einer laufenden wissenschaftlichen Kontrolle (Evidence-Based). Daraus resultieren müssen stetige Optimierung von Struktur- und Prozessqualität basierend auf Kommunikation, Kooperation und Vernetzung.

Der hier gemeinten Effizienz - einer möglichst hohen Qualität der Versorgung zu wirtschaftlichen Kosten - stellen sich die in diesem Themenheft zusammengefassten Beiträge. Sie sind Ergebnis einer intensiven Zusammenarbeit zwischen einer universitären Einrichtung, einer Rehabilitationsklinik und Kostenträgern, insbesondere der VBG Thüringen. Entwickelt ist ein Modell für Forschungsansätze, das auf regionaler Ebene umgesetzt wird.

Eine solche Veranstaltung, die gelebte und lebendige Forschung zeigt, ist ein Abschnitt eines gemeinsamen Weges in der Rehabilitationsforschung unseres Landes und sollte dazu beitragen, Ziele und Wege zu finden und zu definieren.

Es bleibt zu hoffen, dass die Inhalte des Symposiums von den für die Rehabilitation Verantwortlichen gehört werden und eine positive Entscheidung für weitere Forschungsförderung abgeleitet wird; dass sie bei den Fachleuten auf Resonanz stoßen und zu einer konstruktiven Diskussion führen und dass sie die praktisch Tätigen stimulieren, die vorgestellten Ergebnisse umzusetzen.

U. C. Smolenski, Jena
W.-D. Müller, Bad Liebenstein

Literatur

  • 1 Lembcke P A. Measuring the quality of medical care through vital statistics based on hospital service areas; I. Comparative study of appendectomy rates.  American Journal of Public Health. 1952;  42 (3) 276-286

Prof. Dr. med. Ulrich C. Smolenski

Universitätsklinikum Jena · Institut für Physiotherapie

Erlanger Allee 101

07740 Jena

Phone: 03641/9-325201

Fax: 03641/9-325202

Email: Ulrich.Smolenski@med.uni-jena.de

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