Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2005; 40(7): 385-386
DOI: 10.1055/s-2005-870175
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

„Alter Wein in neuen Schläuchen” - waren wir früher nicht betriebswirtschaftlich organisiert?

Old Wine in New Bottles - Did Anaesthesiologists not yet Organize Economically?O.  Böning1 , G.  Hempelmann1
  • 1 Abteilung für Anästhesiologie und Operative Intensivmedizin, Justus-Liebig-Universität Gießen
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Publication Date:
03 April 2006 (online)

Die Einführung des fallkostenbezogenen DRG-Abrechnungssystems in Deutschland zwingt die Krankenhäuser zunehmend, kostenbewusster zu agieren. Dies ist bei einem Fixkosten-Anteil von 70 % keine einfache Kür. Ein nennenswerter Abbau von Personal erscheint wenig sinnvoll, stehen doch pro deutschem Krankenhausbett nur annähernd 1,4 Mitarbeiter zur Verfügung. Hiermit bildet Deutschland in Westeuropa nahezu das Schlusslicht. In Dänemark sind es z. B. 2,3 Mitarbeiter - mit entsprechend großem Vorteil für den Kranken. Es wird daher eine drastische Reduzierung der vorhandenen Bettenkapazität anzustreben sein, um die Fixkosten zu vermindern und mehr Personal pro Einheit bereitzustellen. Die Patienten-Fallzahl eines Krankenhauses wird gleichwohl nicht sinken dürfen, da sonst auf wichtige Einnahmen verzichtet werden müsste. Diese entscheidenden Veränderungen erfordern eine grundlegende Reorganisation bisheriger krankenhausinterner Abläufe und Strukturen.

Die aktuell noch vorherrschende divisionale Organisationsstruktur mit abteilungsbezogenem Denken und entsprechenden Behandlungs- und Arbeitsabläufen muss schlicht aufgegeben werden. Stattdessen ist eine fraktale Organisationsstruktur erforderlich, die ein abteilungsübergreifendes und prozessorientiertes Denken und Handeln ermöglicht.

Besonders in den kostenintensiven Bereichen eines Krankenhauses (OP, zentrale Notfallaufnahme und Intensivstation) wird eine effektive Umsetzung der Reorganisation erfolgen müssen, da hier auch die größten Erfolge zu erzielen sind. Im OP etwa entstehen 25 - 50 % der Fallkosten eines operativen Patienten, und die Verfügbarkeit eines OP-Saals stellt häufig einen Engpass dar. Hier muss das noch vielfach praktizierte Konzept der funktionalen Exzellenz, bei dem jede Abteilung überwiegend isoliert an der Optimierung ihrer Strukturen und Prozesse arbeitet, aufgegeben werden. Um die adäquate Nutzung dieses teuren Arbeitsbereiches zu gewährleisten [5], ist vielmehr eine konsequente prozessorientierte Ausrichtung aller Beteiligten - einschließlich des gesamten Logistikprozesses - am Workflow des Patienten im OP erforderlich. Hier kann die betriebswirtschaftliche Organisationstheorie mit ihren Konzepten für Ablauforganisation (die dynamische Folgebeziehungen zwischen Aufgaben herstellt) und Prozessmanagement (mit konsequenter Ergebnis-, Kunden- und Marktorientierung) wertvolle Beiträge liefern.

Zur Umsetzung der Grundlagen von Ablauforganisation und Prozessmanagement auf den OP-Betrieb werden Instrumente benötigt - hier insbesondere eine OP-Satzung als organisatorischer Eckpfeiler [6]. Die Standardisierung und Parallelisierung von Prozessen sowie die Verbesserung des Zeitmanagements tragen darüber hinaus zur optimalen Ausnutzung der OP-Kapazität bei. Mit der Schaffung präoperativer Wartezonen im OP-Bereich können Engpässe durch Aufzug, Schleuse und Transport vermieden werden. Durch Implementierung prozessorientierter IT-Lösungen wird das Personal ablaufbezogen informiert und eine rechnergestützte Analyse, Modellierung, Ausführung und Überwachung der Prozesse ermöglicht.

Die eigentliche Steuerung der Prozesse wird zunehmend von einem OP-Manager übernommen. Dieser organisiert den gesamten perioperativen Behandlungsprozess und sorgt für konsequente Behandlungsfallplanung und Kostenkontrolle [4] [1]. Diese Aufgabe kann idealerweise von einem speziell geschulten Anästhesisten wahrgenommen werden, da die Anästhesiologie als Querschnittsfach keine Präferenzen für das eine oder andere operative Fachgebiet besitzt. Darüber hinaus verfügt ein anästhesiologischer OP-Koordinator in aller Regel über vielfältige interdisziplinäre Kommunikationsstrukturen, die zwischen der jeweiligen Anästhesieabteilung und den anderen Kliniken und Funktionsbereichen gewachsen sind [3].

Gleichwohl machen eine erfolgreiche Umsetzung der Reorganisation und eine effiziente Betreibung des OP-Traktes von Beginn an die Einbindung möglichst vieler beteiligter Mitarbeiter erforderlich. Diese können z. B. in einer Projektgruppe gemeinsam eine OP-Satzung entwickeln. Damit wird gleichzeitig ein hoher Identifizierungsgrad erreicht. Die Entwicklung interner Leitlinien zur Verbesserung der medizinischen Qualität kann ebenfalls in Form von Arbeits- oder Qualitätszirkeln erfolgen.

Die für eine Umstrukturierung notwendige und wichtige Einbeziehung der Chefärzte erweist sich oftmals als schwierig. Eine Reorganisation bedeutet letztlich, dass steile Hierachien zugunsten von flachen aufgegeben werden und ein ausgeprägt abteilungsbezogenes Denken einem prozessorientierten Vorgehen weicht. Dies wird mitunter als bedrohlich empfunden. Als Verantwortliche der jeweiligen Fachbereiche sind die Abteilungsleiter jedoch wichtige Promotoren für eine erfolgreiche Umstrukturierung. Zur Umsetzung der jeweiligen Zielsetzung können sie für die Mitarbeiter Anreizsysteme schaffen. Der bisherig in Krankenhäusern verankerte Führungsstil, der mehr auf Kontrolle als auf Belohnung setzt, kollidiert zunehmend mit den Erfordernissen einer verstärkten Kunden- und Serviceorientierung und macht auch hier ein Umdenken erforderlich.

Die Notwendigkeit umfassender Reformen, wie sie im deutschen Sozial- und Steuersystem anstehen, ist unumstritten und inzwischen weithin anerkannt. Die Dringlichkeit, mit der sie jetzt vollzogen werden müssen, überfordert die Menschen und schafft große Unsicherheit. Vor dem Hintergrund, dass das Wissen um die Unabwendbarkeit umfassender Reformen den Politikern und Sachverständigen bereits vor Jahrzehnten bekannt war, ist die aktuelle Situation Ausdruck eines gravierenden politischen Missmanagements. Dies gilt für die meisten verantwortlichen deutschen Politiker der letzten Jahrzehnte - unabhängig von ihrer Couleur!

Grundsätzlich ist anzumerken, dass der Anästhesist in vielen Kliniken schon seit Jahrzehnten als „OP-Manager” fungierte und diese Aufgabe nur durch Einbeziehung neuer betriebswirtschaftlicher - derzeit „moderner” - Begriffe pointiert wird und vielfach mit zusätzlichen (und vermeidbaren) administrativen Kosten verbunden ist. Es handelt sich hier durchaus um „alten Wein in neuen Schläuchen” [2]. Eine Geschäftsordnung [6] sowie Statuten [1] im Hinblick auf ein OP-Management erscheinen für viele Krankenhäuser wünschenswert und erforderlich, da nur so - unter Einschluss von Sanktionen - operative Abteilungen mancherorts zu Effektivität und betriebswirtschaftlichem Handeln bewegt werden können. Insofern ist der Erfahrungsbericht aus Berlin [3] hilfreich für jede Abteilung und Klinik, die vor der Implementierung derartiger Strukturen und Vereinbarungen steht.

Literatur

  • 1 Alon E. Operationsaal-Management.  Anaesthesist. 1999;  48 689-697
  • 2 Bartz H J. Grundlagen der betriebswirtschaftlichen Organisationstheorie und ihre Bedeutung für den täglichen Operationsbetrieb.  Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther. 2005;  40 387-392
  • 3 Hensel M, Wauer H, Bloch A, Volk T, Kox W J, Spies C. Implementierung eines OP-Statuts - Erfahrungen unter den Bedingungen einer Universitätsklinik.  Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther. 2005;  40 393-405
  • 4 Landauer B, Schleppers A. Die Bedeutung der Anästhesie innerhalb des German Refined DRG-Systems.  Anästhesiologie & Intensivmedizin. 2002;  43 5-7
  • 5 Schleppers A. Einführung des deutschen DRG-Systems - aktueller politischer Stand.  Anästhesiologie & Intensivmedizin. 2002;  43 543-545
  • 6 Schleppers A, Sturm J, Bender H J. Implementierung einer Geschäftsordnung für ein zentrales OP-Management.  Anästhesiologie & Intensivmedizin. 2003;  44 295-303

Prof. Dr. Dr. h. c. Gunter Hempelmann

Abteilung für Anästhesiologie und Operative Intensivmedizin · Justus-Liebig-Universität

Rudolf-Buchheim-Straße 7 · 35385 Gießen ·

Email: gunter.hempelmann@chiru.med.uni-giessen.de

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