PiD - Psychotherapie im Dialog 2005; 6(1): 87-92
DOI: 10.1055/s-2004-834664
Interview
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

„Ich mach's unter Selbsthypnose”

Bernhard  Trenkle im Gespräch mit Hanne  Seemann
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Publication Date:
24 March 2005 (online)

Hanne Seemann: Erzählst du erst mal etwas über deine eigenen Erfahrungen mit Hypnose?

Bernhard Trenkle: Die erste Erfahrung liegt weit zurück. Ich habe damals vermutlich das erste zahnärztliche Hypnoseseminar der Neuzeit in Deutschland organisiert, in Heidelberg, mit Deborah Ross und Mark Lehrer, damals an der Uniklinik in San Francisco tätig. Die waren bei uns zu Psychotherapieseminaren, und die haben uns Schmerzkontrolle und medizinische Hypnose bei Migränebehandlungen beigebracht.

Ich habe damals versucht, Zahnärzte zu motivieren, u. a. meinen eigenen. Immerhin drei Zahnärzte nahmen an diesem ersten Seminar teil. Später hat auch Albrecht Schmierer an Seminaren von Lehrer/Ross teilgenommen. Albrecht ist heute Präsident der Deutschen Zahnärztlichen Hypnosegesellschaft, die, mit heute immerhin über 1500 Mitgliedern, die am raschesten wachsende Hypnosegesellschaft weltweit ist.

Bald danach, kurz vor meinem Urlaub hatte ich Zahnweh. Mein Zahnarzt versorgte mich mit provisorischer Füllung und sagte, ich solle nach dem Urlaub wiederkommen. Ich gehe aber nicht so gerne zum Zahnarzt. Nach dem Urlaub war viel zu tun, nach vier Wochen immer noch viel zu tun und nach einem Vierteljahr immer noch, und nach etwa einem halben Jahr hat dieser Zahn dann schlagartig zu pochen angefangen, ich habe jeden Pulsschlag darin gespürt. Plötzlich hatte ich Zeit, zum Zahnarzt zu gehen! Er hat dann ein paar sehr unfreundliche Worte verloren, wie man so verrückt sein kann, eine provisorische Füllung ein Dreivierteljahr unversorgt zu lassen, und mich gefragt: „Möchtest du's mit Spritze machen, oder mit Hypnose?” Das war nun eine Frage der Ehre. Die Ehre hat gesiegt. Ich wusste allerdings zu dem Zeitpunkt noch nicht, dass er Selbsthypnose meint. Er hat mir aber keine Zeit gelassen, er hatte im Seminar offenbar nicht aufgepasst, sondern hat sofort mit der Arbeit angefangen. Er hatte so einen dunklen Fleck an der Zimmerdecke, auf den hab' ich fokussiert und gehofft, dass es funktioniert. Denn die Trockenversuche im Seminar mit der Schmerzkontrolle hatten bei mir nicht gut funktioniert, ich war da überhaupt nicht überzeugt. Und damals haben die Workshopleiter gesagt: „Wenn's relevant wird, funktioniert's.” Und ich hab' mir damals gedacht, das würd' ich als Workshopleiter auch sagen …

Auf jeden Fall war ich in einer ganz tiefen Trance, schlagartig. Und er konnte nicht glauben, dass dieser Zahn noch lebt, weil er es nicht fassen konnte, wie völlig ruhig ich dalag. Und dann fragte er mich: „Tut es weh?” und ich nickte, er hat aber nichts gesehen. Da sagte er zur Helferin: „Dieser Zahn muss tot sein.” Worauf ich etwas deutlicher kundgetan habe, dass ich schon noch was merke an dem Zahn. Er hat dann draufgefaucht mit so 'nem Gerät, ich hab' gezuckt, dann hat er eine Wurzelbehandlung gemacht, und dann kam ich aus meiner tiefen Hypnose wieder zurück.

Das war meine erste Erfahrung mit Hypnose.

Und später hab' ich mir dann beim Albrecht Schmierer drei Weisheitszähne ziehen lassen - unter Hypnose, ohne Anästhesie, in einer Sitzung.

Wer hat da die Hypnose gemacht?

Er selbst hat die Hypnose gemacht, es war sogar eine Doppelinduktion von Gudrun und Albrecht Schmierer, weil meine Angst vorm Zähneziehen immer noch so groß war, dass ich gedacht habe: „Besser zwei arbeiten dran.”

Dann brauchte ich viel später 'ne Wurzelresektion, die war für den Kieferchirurgen am schwierigsten, weil er erst ein Hypnoseseminar hatte. Während der Wurzelresektion hat mich Gudrun Schmierer in der Hypnose begleitet und nach Ende der Operation ließ sich der Chirurg in einen Stuhl fallen und sagte: „Ich glaub' es nicht, ich glaub' es nicht.” Für ihn war es schwierig in den Kiefer zu fräsen in dem Wissen, dass ich überhaupt keine Narkose habe, keine Spritze, nichts. Und die Krankenschwester, die dabei war, hatte zehn Minuten später noch Gänsehaut.

Also ich hoffe nicht, dass ich jemals so etwas entscheiden muss. Doch ich würde auch eine andere, eine größere Operation versuchen, unter Hypnose zu machen, denn der große Vorteil ist, dass der Heilungsprozess einfach schneller verläuft. Ich hatte mir morgens zwischen 8 und 10 Uhr diese Zähne ziehen lassen, und habe nachmittags schon wieder selber Patienten gesehen - ich hatte keine Schwellung und praktisch keine Nachbeschwerden. Der eine Zahn war entzündet, da hatte ich ein minimales Reißen, aber nichts im Verhältnis zu dem, was ich von früher kannte. Und auch die Wurzelresektion hatte nur eine absolut minimale Schwellung zur Folge, sodass meine Tochter, Medizinstudentin, die drei Tage später zu Besuch kam und von der OP gewusst hatte, auf meine Frage, „na, was sagst du?”, meinte, „was meinst du?” Es war nichts zu sehen - also nichts mit dicker Backe und so, ich war nicht beeinträchtigt, ich war auch von Anfang an arbeitsfähig.

Eine Art „Fakir-Effekt”! Wie ist das möglich?

Vor ein paar Jahren las ich einen Bericht in der Zeitung: Auto brennt, Mutter holt Kind aus brennendem Auto, fährt mit ihm in die Klinik, wartet 'ne Stunde: „Was ist mit meinem Kind?” und sie erfährt: „Keine inneren Verletzungen, keine Gehirnerschütterung”, und dann fragen die Ärzte: „Und was ist mit Ihnen los?” Da erst fängt sie an zu schreien, weil sie erst jetzt die Brandwunden spürt. Bis dahin war das Leben vom Kind eben wichtiger.

Die Natur hat uns einen Mechanismus mitgegeben, auch sehr starke Schmerzen zu ertragen und ausblenden zu können, wenn es um das Überleben von einem selbst oder von der Sippe geht. Und ein Hypnotiseur, ein zahnärztlicher Hypnotiseur, ist jemand, der diesen Mechanismus zum Anspringen bringt - auch in Abwesenheit eines Tigers.

Könnte es sein, dass das Anspringen dieses Mechanismus über die Ausschüttung von Schmerzhemmstoffen funktioniert?

Mit den neuen bildgebenden Verfahren kann man heute ja sehr viel nachweisen, was man früher nicht nachweisen konnte. Früher sind wir davon ausgegangen, dass das eher ein kognitiver Prozess ist, eine Umlenkung der Aufmerksamkeit, und jetzt sagen mir die Spezialisten, die sich mehr damit beschäftigt haben, dass da eher eine Art Umschaltung im Rückenmark stattfindet, also, wenn man's salopp formuliert, dass schon auf der Hardwareebene der Schmerz gar nicht durchgemeldet wird.

Aber nachdem mir vor einigen Jahren jemand wie Walter Bongartz, der ja sehr viel über Körper und Hypnose geforscht hat, gesagt hat, so genau hätte er den Mechanismus auch noch nicht verstanden, habe ich als Psychologe es erst gar nicht versucht, das zu verstehen - weil mir da die Grundlagen fehlen.

Aber da gibt's ja gerade aktuell im Oktober dieses Jahres das Heft von „Hypnose und Kognition” zum Thema „Hirn und Hypnose”, in dem die neuesten teils spektakulären Forschungsergebnisse dargelegt sind, was da im Gehirn eigentlich passiert während der Hypnose.

Dieser starke Effekt ganz am Anfang, den du selber produziert hast: Denkst du, dass in der Not Autohypnose und Hypnose stärker wirkt, oder muss man dafür üben, z. B. für eine größere OP?

Evtl. stimmt beides. Der Übungseffekt spielt vielleicht schon eine Rolle, aber den hatte ich ja über die vielen Hypnoseseminare generell. Aber ich gehe mal davon aus - da das ein Mechanismus ist, der in der Natur von alleine anspringt, z. B. in einer Kriegssituation - dass da auch wieder keine Übung notwendig ist. Die Angst und die hohe Konzentration, die man dann hat, die spielt sicher eine Rolle.

Ich hatte einen Rasenmäherunfall und musste mir meinen Zeh operieren lassen. Das war interessant auch von der Blutungskontrolle her. Es sah übel aus, ein offener Trümmerbruch, Zehennagel abgerissen, eigentlich sehr schmerzhaft.

Zuerst hab' ich gedacht, ich werd' ohnmächtig. Dann hab' ich Gunther Schmidt angerufen: „Was mach' ich jetzt?” Er sagte: „Unfallklinik, Chirurgie!”

Ich dachte mir, ich lass' es erst mal bluten, damit der Schmutz weggespült wird. Und dann hab' ich mir vorgestellt, ich steh' in dem eiskalten Schwarzwaldbach, in dem ich mich früher oft waschen musste, in der Nähe einer Hütte, in der es kein fließendes Wasser gab. Über dieses Bild hat es sofort zu bluten aufgehört. Und dann musste ich vier Stunden in der Uniklinik warten, weil es ein schöner Tag war und die ganzen Motorradunfälle rein kamen, die schlimmer dran waren als ich. Und immer, wenn's zu bluten anfing, hab' ich mir den eiskalten Schwarzwaldbach vorgestellt.

Als es dann hieß: „Wir müssen Sie operieren”, (sie wollten einen Teflonnagel als Schutz und Schienung auf meinen sehr lädierten großen Zeh montieren) sagte ich: „Ich mach's unter Selbsthypnose.” Das wollten sie natürlich zuerst nicht, aber ich sagte: „Ich weiß schon, was ich mach', ich hab' Erfahrung damit, ich unterrichte das auch!” Während der OP kam ein anderer Chirurg rein, der sich wunderte, was da los war. Die Chirurgin rechtfertigte sich sofort: „Ich bin kein Sadist, er wollte es so.”
Auch das war gut auszuhalten. Aber früher, bei der ersten Zahnsache, war meine Angst noch so groß gewesen, dass die Konzentration höher war.

Also eine gewisse Angst spielt in solch einem Moment für die Trancetiefe eine Rolle. Aber ich wusste unterdessen, ich kann das, ich wusste, es funktioniert, und weil ich das wusste, war die Angst nicht mehr so groß. Und die totale Abschaltung, die ich damals bei meiner ersten zahnärztlichen Hypnose hatte, hatte ich nun eben nicht mehr. Es funktionierte nun wie durch einen Filter.

Ich konnte es gut aushalten, ich konnte mich teilweise sogar amüsieren, und ich hab' die ganzen Wochen danach mit dem Fuß im Gips nie Schmerzen gehabt. Alle haben gesagt: „Das muss ja schlimm wehtun, und wenn nicht, dann muss der Nerv kaputt sein.” Dann aber ist mir mal die Krücke aus der Hand gefallen, genau auf den Zeh, und da wusste ich schlagartig, dass alle Nerven noch da sind. Und ich hab' mich dann daran erinnert, dass die Hypnose lehrt, man solle alle Schmerzen ausblenden, die keine Signalfunktion haben. Man soll ja kein Zahnweh weghypnotisieren, wenn man eigentlich zum Arzt muss.

Und als dann die Krücke auf den Zeh fiel, das hatte dann wohl eine Signalfunktion. Wie ein Blitz fuhr das durch den Körper, und danach hatte ich 10 - 15 Minuten große Schmerzen. Sonst hatte ich interessanterweise im ganzen Verlauf nie Schmerzen. Wobei ich nicht weiß, warum das so war.

Der Nachteil war, dass ich mich nicht so geschont habe, wie es notwendig gewesen wäre, und so bin ich dann gelaufen und hab' mehr gemacht, als ich sollte und hab' das Bein seltener hochgelegt. Aber so lernt man aus dem eigenen Leiden. Wenn ich nun jemanden mit Hypnose in ähnlicher Lage zu betreuen hätte, würde ich suggerieren, er muss sein Bein trotzdem schonen.

Zur Blutungskontrolle hab ich auch ein interessantes Erlebnis:

Von meinen Lipomen musste ich fünf wegoperieren lassen und wollte es mit Selbsthypnose machen. Der Operateur aber war entsetzt und fürchtete bereits einen Ruf als „Schlächter von Rottweil”. Ich hatte aber unterschätzt, wie es sein könnte, so etwas mit einem Arzt zu machen, der keine Hypnoseausbildung hat. Er hat mich dauernd gefragt: „Geht's noch, halten Sie's noch aus?”, d. h. er hat mich dauernd wieder auf meinen Schmerz orientiert. Aber plötzlich war Ruhe, ich wusste zwar nicht warum, aber es war angenehm. Danach hat er zu mir gesagt, das sei gespenstisch gewesen: Er konnte die Kassette auch hören, und dann sei diese Stelle gekommen: „Ihre Blutgefäße sind ein großes Rad. Sie nehmen das Rad in beide Hände, drehen langsam nach rechts zu, und es hört auf zu bluten …” Und es habe an drei bis vier Wunden gleichzeitig zu bluten aufgehört. Wie könne das sein?

Danach hat er mir 1000 Fragen gestellt, und ich habe ihm erklärt, dass sich weder an meinen Gefäßen ein großes Rad befindet, noch, dass ich das zudrehen kann. Das Einzige, was wir wissen, ist, dass es diesen Mechanismus gibt, der die Blutungen abstellen kann. Und das wisse er als Arzt ja besser, wie das funktioniere, mit Adrenalin und mit Muskulatur an den Gefäßen, und dass man über solche Bilder den Mechanismus ansteuern kann. Wie das schaltungstechnisch funktioniert, weiß ich nicht und das weiß wahrscheinlich weltweit niemand. Aber es gibt diesen Mechanismus, denn wenn es den nicht gäbe, könnte man ihn nicht ansprechen und es nicht suggerieren. Aber über solche Bilder ist der ansprechbar, im hypnotischen Zustand.

Hat er das kapiert?

Er redet noch heute - zehn Jahre später - davon, und er wundert sich immer noch. Und wenn er mich trifft, sagt er jedes Mal, er würde gerne wissen, ob es noch mal funktioniert. Das hat ihn jedenfalls tief beeindruckt.

Ich finde es sehr mutig, so was in Selbsthypnose zu machen. Wenn ich mir vorstelle, mir steht so was bevor, dann würde ich mir jemanden suchen, der mir eine Trance macht, damit ich meine eigenen Wege gehen kann.
Ich habe einen kleinen Adoptivsohn, Hoi, der sehr stark verletzt aus Vietnam zu uns kam und von dem man dachte, er habe ein Schmerzgedächtnis entwickelt. Ich war mit ihm bei der Zahnärztin. Ich wusste, er hat vor Spritzen große Angst, und ging raus, weil ich nicht sehen konnte, wie sie ihm 'ne Spritze gibt. Sie musste sehr bohren, und sagte hinterher: „Der ist aber brav!” Hinterher sagte ich zu ihm: „Na, war schon gut, dass sie dir 'ne Spritze gegeben hat!” Aber er sagte: „Was, hat sie mir 'ne Spritze gegeben?” Daran sieht man: Er hat es so gut überstanden, weil er so gut in Trance gehen kann. Und das kann er, weil er es als Dreijähriger schon gemacht hat, ohne dass es ihm beigebracht wurde, aus lauter Not.
Insofern scheint ja sogar die Autohypnose ein ganz natürlicher Mechanismus zu sein, den man vielleicht nur wieder beleben muss.

Das sehe ich auch so. Ich habe oft Menschen getroffen, die sagten: „Das kann ich auch, das mach' ich schon immer so. Ich wusste nur nicht, dass es Hypnose ist.”

Das sind alles natürliche Phänomene, nichts Magisches. Amnesie oder Katalepsie oder Zeitverzerrung, die man in der Hypnose induziert: Letzteres läuft auf dem Fußballplatz genauso ab. Je nachdem, welche Mannschaft führt, kommt es einem extrem kurz oder extrem lang vor. Nur in der Hypnose wundern sich die Leute, dass sie 45 Minuten wie fünf Minuten erleben.

Was hast du für Patienten? Du hast ja mit Stotterertherapie begonnen.

Ich habe schon während des Studiums therapeutisch gearbeitet, mehr familientherapeutisch. Ich bin ja mit Erststudium Wirtschaftsingenieur, und das war meine wichtigste Lehre, die ich mitgebracht habe: weniger Theorie, mehr Praxis, sodass ich im Psychologiestudium, wo immer ich durfte, als Kotherapeut mitgearbeitet habe. Ich habe die ganze Familienliteratur gelesen und war von daher ein begehrter Kotherapeut, weil ich die ganze Literatur kannte, und auch die Interventionstechniken.

Und nach dem Studium kam ich dann per Zufall zur Stimm- und Sprachabteilung der Uniklinik Heidelberg, wo ich mich mit den erwachsenen Stotterern befassen sollte. Man hatte dafür niemanden, was mich gewundert hat. Ich hatte das Gefühl, dass die familientherapeutischen Dinge und die Hypnose, die ich mitbrachte, immer gut funktioniert haben - außer nun bei den Stotterern. Dort hatte ich im ersten Jahr außer Therapieabbrüchen keine signifikanten Ergebnisse, was mich sehr frustriert hat, bis mich dann Ulrike Franke, die das „Lexikon für Logopädie” geschrieben hat, schonend darauf aufmerksam gemacht hat, dass ich mich in die Stotterertherapie einlesen müsse. Dann habe ich das verhaltenstherapeutische Therapiemodell von Charles Van Riper, dem Pionier der amerikanischen Stimm- und Sprachtherapie, mit hypnotischen Techniken kombiniert. Ich hatte auch den Eindruck, dass er implizit hypnotische Techniken benutzt. Ich hab ihm geschrieben, und er hat mir bestätigt, dass er mit Hypnose gearbeitet hat, auch dass er Erickson kennt, dass sie sich Briefe geschrieben haben. Er hat sich gefreut, dass das mal jemand sieht, dass er nicht nur reine Verhaltenstherapie mache. Er hat damals geschrieben: Viele Therapeuten arbeiten ja wie die Hundetrainer …

Milton Erickson hatte ja zweimal Kinderlähmung, mit 17 und mit ca. 50 (heute sagt man „Nachpoliosyndrom”). Und hat es zweimal geschafft, seinen Körper wieder so in den Griff zu bekommen, wie man es medizinisch nicht für möglich gehalten hätte. Und was er da gemacht hat, war sehr hilfreich auch bei der Therapie von Leuten, die aufgrund von Schluck- und Zungenlähmungen nicht mehr sprechen oder nicht mehr normal essen konnten.

Kannst du das mal kurz beschreiben, was da die Grundsätze, die Prinzipien sind?

Ich habe damals nachgelesen, dass Erickson nur noch atmen und die Augen bewegen konnte. Man hat ihn im Schaukelstuhl festgeschnallt, weil er sich nicht selber halten konnte, hat den Boden rausgesägt und einen Eimer drunter gestellt. Und wenn die Eltern aufs Feld sind (sie hatten einen Bauernhof), hat man ihn ans Fenster geschoben. Das haben sie einmal vergessen, und er wusste, dass sie lange weg sein würden. Es war ihm sehr langweilig. Irgendwann hat sich sein Schaukelstuhl bewegt, da dachte er „Einbrecher!”, und er könnte sich nicht wehren. Aber da wurde ihm klar, dass da niemand ist. Und neugierig und intelligent, wie er war, hat er sich gefragt: Wie kann sich mein Schaukelstuhl bewegen, wenn ich gelähmt bin? Da hatte er wohl die Hypothese, dass er so einen starken Impuls hatte „Wenn ich nur zum Fenster hinausschauen könnte”, und dass er aus diesem Impuls heraus eine unwillkürliche Bewegung gemacht hat, zu der er willentlich nicht in der Lage war. Und dann begann er damit zu experimentieren, was passiert, wenn er solche starken Bilder hat. Er hat sich erinnert, wie er als Jugendlicher wie Tarzan von Ast zu Ast gesprungen ist. Und wenn er da in der Erinnerung eine gefährliche Situation erlebt hat, hat sein Körper gezuckt.

Er hat sich auch erinnert, wie er sich mal kochendes Wasser übers Bein gebrüht hat, und bei der Erinnerung hat auch sein Körper gezuckt. Und über solche Erinnerungen hat er es dann geschafft, wieder die Nervenbahnen zu aktivieren und Bewegung in die Sache zu bringen.

Eine Kollegin, eine Logopädin, hatte einen Patienten, der nicht schlucken konnte und mit dem sie seit Wochen arbeitete. Den Kehlkopf stimulierte sie mit Eis, mit brachialen Griffen hantierte sie an ihm rum - und ich hatte diesen Patienten parallel, denn er war suizidal. Die Logopädin fragte mich: „Kannst du den nicht hypnotisieren und ihm das Schlucken suggerieren? Bei mir hat er ein einziges Mal in wochenlanger Arbeit geschluckt, und die Neurologen sagen, es müsste eigentlich gehen.”

Vor dem Hintergrund, was ich bei Erickson gelesen hatte, hab' ich mir überlegt „Wann schluckt man?” Zum Beispiel, wenn man auf mündliche Prüfungen wartet. Man wartet darauf, reingerufen zu werden, man fragt sich, ob heute besonders streng geprüft wird, ob es Wasser zu trinken gibt während der Prüfung, weil man schon einen ganz trockenen Mund hat.

Jener Patient hat mir erzählt, dass er einmal mit dem Motorrad eine Afrikasafari gefahren ist und er nichts mehr zu trinken dabei hatte. - Das war damals ein komplizierter Kommunikationsprozess, denn er musste mir alles aufschreiben. - Er hatte den Impuls, möglichst schnell zurückzukommen. Aber er wusste, wenn er schnell fahren würde, würde der Sprit nicht reichen. Er musste also untertourig langsam fahren, und er hatte stellenweise nur noch einen Gedanken im Kopf: „Und jetzt ein Bier.”

Ich habe eine Hypnose induziert und so etwa gesagt: „Ich muss auf eine Prüfung warten, die Zeit ist bald da, es gibt kein Wasser, wenn ich jetzt auf die Toilette gehe, macht das keinen guten Eindruck. Hoffentlich ist jemand als Beisitzer da, den ich kenne, den ich mag. Hoffentlich hab ich richtig taktiert und es wird das abgefragt, was ich gelernt habe, jetzt ist schon fünf Minuten über die Zeit, hoffentlich hab' ich den Termin nicht versäumt, wie furchtbar, dann muss ich ein Jahr warten, bis ich wieder drankomme. Mein Mund wird immer trockener: jetzt ein Bier, jetzt ein Bier …”

Und heute bereue ich, dass diese Sitzung nicht im Videoraum stattfand, denn die ganze Zeit über hatte er schon 20 - 30 Mal geschluckt.

Ich hab ihm dann suggeriert, dass das so weitergeht und habe in der nächsten Sitzung noch andere Dinge gemacht bis hin zu Altersregression.

Ich hatte mal mitgezählt, wie häufig eines meiner Kinder an der Flasche saugt, um die Flasche leer zu trinken. Und habe dann mit ganz vielen Dingen, vom Küssen bis zum Essen Erinnerungen geweckt, die die Zunge stimulieren. Innerhalb von vier Wochen konnte er dann wieder sprechen, sodass man ihn verstanden hat, er konnte wieder essen, nicht nur Püriertes, und der HNO-Professor hat im Abschlussbericht geschrieben: „Er drückt mit dem Mundboden den Zungenrücken nach oben und löst kompensatorisch den Schluckreflex aus.” Also, der Ablauf war ein anderer, aber er hat ganz normal essen und die Speisen hin und her schieben können, er hat wieder so reden können, dass jeder ihn verstanden hat, und es ging nach einer langen Stagnation plötzlich vorwärts.

Hatte die Symptomatik eine körperliche Ursache oder war das rein psychogen?

Er hatte einen Hirntumor gehabt und während dieser Motorradsafari plötzlich Kopfschmerzen bekommen, die nicht weggingen. Zu Hause wurde der Hirntumor diagnostiziert und dann operiert.

Ich habe auch schon mit Tinnituspatienten gearbeitet, die austherapiert waren, deren Zustand fast ein Jahr konstant geblieben war, und bei einem konnte mit dieser Technik bis zur nächsten Untersuchung sogar das Hörvermögen um 25 % gesteigert werden. Das kann alles Zufall sein, aber ich denke immer daran, was Erickson gemacht hat.

Interessanterweise hat Ernest Rossi Erickson mal gefragt, ob er damals imaginativ gearbeitet hat, um seinen Körper wieder in Griff zu bekommen. Erickson sagte darauf: „Nein, ich habe nicht imaginativ gearbeitet, ich habe mit realen Erinnerungen gearbeitet.”

Da ist ein interessanter Unterschied: In der Literatur über mentale Trainingstechniken und Rehabilitation wurden Metastudien zitiert, ob mentales Training im Sport überhaupt wirkt. Man hat festgestellt, es wirkt. Dann hat jemand diese Metauntersuchung noch mal einer Metauntersuchung unterworfen und hat alle Untersuchungen aus dem Profispitzensport auf die eine Seite genommen, und alle Untersuchungen mit Amateuren auf die andere und hat festgestellt, dass praktisch der gesamte gemessene Effekt der Gesamtstudie aus dem Profispitzensport kommt.

Denselben Unterschied hat Erickson gemacht. Er hat nicht imaginativ gearbeitet, sich nicht vorgestellt: „Was würde ich gerne machen, wenn ich wieder gesund wäre?”, sondern er hat sich erinnert, wie er kochendes Wasser übers Bein geschüttet hat, er hat reale Erinnerungen benutzt, er hat alte Muster reaktiviert.

Das gilt auch beim Bewegungstraining: Nach einer OP ist es besser, die alten Sachen zu reaktivieren, die der Körper schon kennt, als neue zu erlernen, denn in einem schlechten Zustand neu zu lernen, ist schwierig.

Wenn jemand wie Sergej Bubka, der den Weltrekord im Stabhochsprung immer noch hält, nach einer Verletzung mentales Training macht, hat er Dutzende von Situationen im Gedächtnis:

Leichtsinnig die Anfangshöhe gerissen, zwei Höhen ausgesetzt, im letzten Sprung sich an die Spitze gesetzt, anschließend Weltrekord auflegen lassen, Nationalhymne, Siegerehrung, Blick zum Trainer … Damit kann man mentales Training machen, finde ich. Wenn ich dagegen ein Video von ihm angucke und danach den Stab in die Hand nehme, müsste ich schon sehr virtuos imaginieren und halluzinieren, um anschließend einen Stabhochsprungversuch wagen zu wollen.

Hast du persönlich Erfahrung mit Schmerzhypnose? Behandelst du Schmerzpatienten, z. B. mit Migräne?

Schmerzen sind nicht mein Spezialgebiet, aber ich behandle ab und zu Kopfschmerzpatienten. Ich hatte selber sehr lange Migräne und habe irgendwann kapiert, dass ich die immer bekomme, wenn ich mich überfordere. Ich habe lange gebraucht, um zu verstehen, dass die Ernährung eine Rolle spielt, dass ich im Stress dazu neige, zu viel Süßes zu essen. Und als ich dann diesen Teil im Griff hatte, bekam ich eine andere Art von Kopfschmerz. Immer dann, wenn der Workshop vorbei war, oder im Urlaub hat's mich flachgelegt. Und so die letzten fünf bis sechs Jahre habe ich praktisch null Kopfschmerzen.

Ich benutze ein Bild, das ich von Deborah Ross habe, die uns Anfang der 80er-Jahre medizinische Hypnose beigebracht hat:

Das heißt einerseits, mich zu entspannen, in eine Trance zu gehen, mir vorzustellen, dass der Nacken von der Sonne beschienen wird, die Muskulatur durch Massage gelockert wird, sich die Gefäße öffnen. Aber: Es gehen von den Augäpfeln nach hinten Eiszapfen und kühlen die Blut zuführenden Gefäße, die das Blut im Kopf hochpumpen. Und als ich das zum ersten Mal während starkem Kopfweh gemacht hab', hat sich das sofort reduziert. Danach bin ich angenehm eingeschlafen, aber ein bis drei Stunden später mit dem schlimmsten Kopfschmerz aller Zeiten aufgewacht. Ich habe jeden Pulsschlag im Kopf gespürt.

Meine Theorie rückblickend, was da abgelaufen ist:

Ich habe total entspannt und durch die Erweiterung der Gefäße wurde zu viel Blut in den Kopf gepumpt, das machte die Schmerzen. Und als ich das das nächste Mal in der Einschlafphase gemacht habe, habe ich mir intensiv selbst suggeriert: Es entspannt alles, der Massagebrunnen geht weiter, gleichzeitig geht diese Eiskühlung an den Stellen, wo das Blut in den Kopf strömt, weiter, diese Gefäße bleiben kontrahiert, auch wenn sich die Muskulatur sonst entspannt. Denn rückblickend habe ich das als Dilemma erlebt: Entweder man verspannt, was nicht gut ist fürs Kopfweh, aber wenn man die Blutgefäße öffnet, ist das auch nicht gut. Und mit dieser Mischung aus Kältevorstellung (Eiszapfen hinten vor den Augäpfeln) und Wärmevorstellung (warme Dusche in den Nacken) hab ich das in den Griff gekriegt.

Manche Patienten mögen diese Vorstellung von Eiszapfen hinter den Augäpfeln nicht. Denen schlag ich dann einen Spezialduschkopf vor, der massierende Wirkung hat. Isoliert vom warmen Duschstrahl spritzt eiskaltes Wasser an bestimmte Stellen, an denen man ja intuitiv hinten immer massiert. Alles entspannt, nur diese Stellen werden gekühlt, und dadurch wird verhindert, dass Blut hochgepumpt wird. Das war das wichtigste Bild neben Ernährung und Stressreduktion, und Frühwarnsystem installieren: Was ist das erste Anzeichen für die Attacke? Und dann die Konsequenz ziehen, anstelle aus Pflichtgefühl weiter zu arbeiten.

Also: entspannen und gleichzeitig den gleichlaufenden Blutfluss sichern, sonst folgt Entspannungsmigräne am Wochenende.

Zu deinem Ha-Ha-Handbuch: Welche Funktion, denkst du, haben Witze in der Therapie? Dein Gehirn merkt sich die richtigen Witze und gibt sie zum richtigen Zeitpunkt wieder her. Wie machst du das?

Das war ganz ursprünglich eine Überlebenstechnik in meiner Herkunftsfamilie. Ich kann mich erinnern, dass mein Großvater schon gesagt hat, als ich noch ein ganz kleines Kind war: „Der lacht noch, wenn's Haus umfällt.” Es gab so was wie schwarzen Humor in meiner Familie. Mein Großvater hat es geliebt, mit Wortspielen zu hantieren, z. B.: Als ein Enkelkind auf die Welt kam, sagte er auf Nachfragen: „Ja, so ist es schon recht, aber es hat leider nur einen rechten großen Zeh.” Das hat die Leute schockiert, aber dann hat er erklärt, dass halt alle Kinder nur einen rechten großen Zeh haben. Später dann, ich war sehr schüchtern - ich war oft als Fotograf auf Partys, weil ich mich sonst nicht auf Partys getraut hab - war es eine Möglichkeit sich zu profilieren, also außer zu fotografieren, Witze zu erzählen. Wenn ich das heute analysiere, kam das eben daher. Und ich habe mich interessanterweise bereits auf mein Englisch-Abi mit Playboy Party Jokes auf Englisch vorbereitet und schon in der Schulzeit habe ich angefangen, lustige Sprüche zu sammeln (z. B. „mit einem Messer im Rücken geht unsereiner noch lange nicht nach Hause”). Wenn ich so was in der Zeitung entdeckt habe, habe ich es in ein kleines Buch geschrieben und gesammelt.

Und das ist auch weiterhin eine Überlebenstechnik? Hilft das auch Patienten in schwierigen Situationen?

Ja, ja, Humor hilft immer: „Humor ist die Schwimmweste des Lebens.” Man sagt ja auch: „Das ist nicht mehr zum Lachen.” Auch in Therapien suggeriert Humor indirekt Hoffnung.

Eine Kollegin, deren Mann Chefarzt der Psychiatrie ist, hat mir erzählt, es sei ein wichtiger Patient, wohl ein Politiker, am Freitagabend nach Dienstschluss zu ihm gekommen. Ihr Mann habe sich nicht getraut, den Patienten einfach wegzuschicken, und habe selber das Aufnahmegespräch gemacht. Dann sei etwas Peinliches passiert: er sei kurz eingeschlafen, Sekundenschlaf. Er habe als Psychoanalytiker reflektiert, was das wohl zu bedeuten habe, von wegen Übertragung-Gegenübertragung, und ob er mit dem Mann überhaupt noch arbeiten könne. Am Montag stellte der Chefarzt fest, dass der Patient sich am folgenden Morgen bereits wieder auf eigene Verantwortung selbst entlassen hatte und angemerkt hatte: „Wissen Sie, wenn dieser berühmte Arzt, der schon so viele Patienten gesehen hat, bei mir in der Therapie gelangweilt einschläft, dann hab' ich gewusst, so schlimm kann's um mich nicht stehen.”

Humor hat eine ähnliche Funktion. Beim Patienten kommt indirekt an: „Solange der noch so Sprüche macht, kann er ja nicht völlig geschockt sein.”

Was im Übrigen stimmt. Wenn einer sich wegen einer Phobie anmeldet, dann erzählt, dass er auch noch eine Zwangsproblematik hat und Medikamentenabusus und ich dann denke: „O Gott, hätte ich den bloß überwiesen, das kann ich mit meinem engen Terminplan ja gar nicht machen”, dann sinkt die Humorrate. Dann entsteht eine Stimmung von Hilflosigkeit. Und doch kann ich dann immer noch versuchen, Humor wieder ins Spiel zu bringen: „Denken Sie da nicht manchmal, General Custer hätte die Schlacht gewinnen können, wenn die Indianer einzeln über den Hügel gekommen wären?” - vielleicht schafft man's dann doch noch mit Humor.

Ich erzähle eigentlich fast nie Witze in der Therapie, obwohl viele Leute das glauben. Aber das tu ich höchstens mal, wenn die Therapie abgeschlossen ist. Aber ich benutze relativ oft Aphorismen wie: „Gott schuf Mütter, weil er nicht alles selber machen wollte.”

Ich hab' noch eine interessante Geschichte von einer Hornhautverletzung:
Letztes Jahr in Wigry/Ostpolen, wo wir schon seit 14 Jahren eine Seminarwoche machen, hat Steffi Schramm von der Uni Düsseldorf drei Studentinnen mitgebracht.

Eine davon hatte nach einem Tag ein total verschwollenes Auge und erzählte, dass sie vor mehr als zwei Jahren bei einem Jogging lief, als jemand vor ihr einen Ast aufspannte, der dann zurückschlug, ihr genau ins Auge. Sie verspürte einen Schmerz wie von 1000 Nadeln. In der Klinik fand man einen Hornhautriss, verband ihr das Auge, ordnete drei Tage Bettruhe an. Das hat sie damals nicht ausgehalten, machte die Verbände runter, rief den Papa an, der holte sie ab, fuhr sie nach Hause, 1200 km. Das Auge war danach nicht besser, sie wurde mehrfach operiert, zwei Hornhautabschabungen, eine mit Sticheln, wo versucht wurde, mit Hilfe von Narbengewebe den Riss zu heilen. Sie hatte aber dauernd Beschwerden, seit ca. 14 Monaten, und da in Polen meldeten sich die Beschwerden massiv zurück.

Ihre Dozentin sagte: „Wir müssen sie morgen mit dem Auto nach Düsseldorf in die Klinik bringen.” Das waren immerhin 1200 km und ich sah bereits mein Organisationsteam Richtung Deutschland entschwinden. Fliegen durfte sie in diesem Zustand nicht, weil die veränderten Druckverhältnisse die Lage verschlimmert hätten.

Sie hatte große Schmerzen, sie tat mir Leid. Ich komplementierte sie ins Bett und bot ihr eine Schmerzhypnose an. Die Dozentin wollte mit dabei sein und sehen, was man in einem solchen Fall macht, einer meiner Praktikanten auch.
Ich habe mir von ihr kurz schildern lassen, was los war. Sie sagte, manchmal nachts reibe sie sich das Auge, das sei vielleicht nicht gut. Aber sonst hatte ich nicht viele Stichworte. Ich habe mir überlegt, was man in der Kürze der Zeit machen kann zur Schmerzkontrolle, und habe eine Technik benutzt, die man auch in der Geburtsvorbereitung einsetzt:

Es gibt immer einen Punkt im Körper, der sich relativ am wohlsten fühlt, und mit jedem Einatmen breitet sich dieses Wohlgefühl aus, und mit jedem Ausatmen fließt jeder Schmerz, der keine Signalfunktion hat, über die linke Hand oder das rechte Bein ins Universum ab. Ich konnte ihr ja nicht suggerieren „Reib' nicht im Auge”. Stattdessen habe ich ihr gesagt: „Wann immer deine rechte Hand den Impuls hat, zum entzündeten Auge zu gehen, wird sich dieser Impuls auf die linke Hand übertragen. Die linke Hand wird ans linke, gesunde Auge gehen, und dort ist das Modell gespeichert, in welche Richtung das andere Auge zu heilen hat.”

Rapid eye movements sind auch nicht gut, dachte ich weiter. Ich habe ihr suggeriert, alle traumatischen Altlasten für zwei bis drei Nächte zurückstellen, nur zu träumen, was unbedingt nötig ist, und im Übrigen mit extremer hypnotischer Zeitverzerrung in objektiv kurzer Zeit subjektiv sehr lange zu träumen, dann wieder in einen erholsamen Tiefschlaf sinken, in dem sich ihr Körper regenerieren kann. Der ist nämlich gesund. Es gibt nur eine kleine entzündete Stelle, und die geballte körpereigene Abwehr wird sich auf diesen kleinen Entzündungsherd richten und den beschleunigt abheilen.

Das war um zehn Uhr abends. Sie kam um acht Uhr zum Frühstück: Es war nichts mehr zu sehen!

Ich arbeite seit 30 Jahren mit Hypnose. Wenn das bei mir in Rottweil passiert wäre, wäre ich sofort in die Augenklinik gefahren. Niemals wäre ich an das Problem mit Hypnose rangegangen. Sie blieb die ganze Woche da, hat die Kajaktour mitgemacht, hatte keinerlei Beschwerden mehr.

Die Augenärzte haben festgestellt, dass es verheilt zu sein scheint. Seit eineinhalb Jahren hat sie nun keine Probleme mehr.

Als ich sie beim Frühstück damals fragte „Was weißt du denn noch, was da gestern Abend war?”, sagte sie: „Eigentlich nichts mehr”, und griff sich unbewusst ans linke, ans gesunde Auge. Da musste ich lachen, sie stutzte, sagte „Ach ja, du hast mir, glaube ich, suggeriert, ich solle nicht ans kranke Auge greifen, sondern ans gesunde”.

Das war eine der erstaunlichsten Geschichten der letzten Jahre, die ich erlebt habe. Man hätte der jungen Frau einen langen Leidensweg ersparen können, wenn man das früher gemacht hätte, bereits in der Augenklinik. Man hätte sie mit Hypnose leicht dazu bringen können, drei Tage in der Augenklinik ruhig zu liegen. Auch unter dem Kostengesichtspunkt und den Sparnotwendigkeiten im Gesundheitswesen ist das eine interessante Fallgeschichte[1].

1 Dieser Fall ist ausführlich in Ebell/Schukall (Hrsg): Warum therapeutische Hypnose? Pflaum-Verlag, 2004 erschienen.

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