Z Sex Forsch 2004; 17(4): 323-358
DOI: 10.1055/s-2004-832482
Fallbericht

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Phantasie eines Geschlechtswechsels

Zur Psychoanalyse der Transsexualität[*] R. Herold
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Publication Date:
11 January 2005 (online)

Übersicht:

Wenn wir hier einen bereits vor zehn Jahren publizierten psychoanalytischen Behandlungsbericht eines transsexuellen Patienten in leicht veränderter Fassung wieder abdrucken, so geschieht das einerseits in der Absicht, die schwierigen Übertragungs- und Gegenübertragungsprobleme, die auch im Rahmen der psychotherapeutischen Begleitung von Transsexuellen auf dem Weg zur geschlechtsumwandelnden Operation auftreten, wieder stärker ins Bewusstsein zu rufen. Andererseits wollen wir damit eine Diskussion über die falsche Alternative Operation oder Psychotherapie anregen. Dem Autor zufolge geht es im psychoanalytischen Umgang mit transsexuellen Patienten um das Ertragen und Durcharbeiten einer großen Verwirrung und Verzweiflung, die dem Analytiker projektiv identifikatorisch mitgeteilt wird. Diese Gefühle würden häufig und rasch in einer polarisierenden Abwehrbewegung aufgelöst, was dann dazu führe, dass man sich als Analytiker oder Psychotherapeut den Wunsch nach Geschlechtsumwandlung zu eigen mache und mit dem Patienten den Weg der geschlechtsumwandelnden Operation beschreite oder aber einen psychotherapeutischen Zugang zu solchen Patienten für unmöglich halte. Dass ein therapeutischer Zugang zu transsexuellen Patienten möglich ist, zeigt der vorgelegte Behandlungsbericht. Am Ende der sich über mehrere Jahre erstreckenden psychoanalytischen Therapie lebte der Patient weiterhin als Mann, der sich als Frau fühlt. Offen bleibt freilich, ob sich der Patient inzwischen nicht doch zu einer Operation entschlossen hat. Ein Ausgang einer psychotherapeutischen Behandlung von Transsexuellen, wie ihn der Autor schildert, ist aber auch im Rahmen einer psychotherapeutischen Begleitung, die ein Operationsgutachten nicht grundsätzlich ausschließt, möglich. Der transsexuelle Wunsch ist, wie sich in den vergangenen Jahren immer deutlicher gezeigt hat, nicht gleichbedeutend mit einem anhaltenden Wunsch nach einer operativen Geschlechtsumwandlung, auch wenn das zu Anfang einer Psychotherapie mit transsexuellen Patienten häufig so erscheinen mag. Operative Geschlechtsumwandlung und ein Geschlechtswechsel ohne weitgehende operative Eingriffe sind gleichberechtigte Realisierungen des transsexuellen Wunsches.

1 Überarbeitete Fassung des Aufsatzes „Transsexualität: die Phantasie eines Geschlechtswechsels”, der 1994 in dem von Claudia Frank herausgegebenen Band „Wege zur Deutung. Verstehensprozesse in der Psychoanalyse” (Opladen: Westdeutscher Verlag) publiziert wurde

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1 Überarbeitete Fassung des Aufsatzes „Transsexualität: die Phantasie eines Geschlechtswechsels”, der 1994 in dem von Claudia Frank herausgegebenen Band „Wege zur Deutung. Verstehensprozesse in der Psychoanalyse” (Opladen: Westdeutscher Verlag) publiziert wurde

2 Stoller bezieht sich vorwiegend auf den männlichen Transsexuellen, weil er grundsätzlich zwischen weiblichen und männlichen transsexuellen Patienten differenziert - eine Differenzierung, die sich als nicht haltbar erwiesen hat (vgl. Mahler 1975; Springer 1981; Pfäfflin 1993).

3 Wenn ich hier ausschließlich „die Mutter” als Primärobjekt bezeichne, gibt dies die rein statistische Häufigkeitsannahme wieder, dass in den allermeisten Fällen die Mutter das signifikante Objekt des Kindes ist.

4 Siehe dazu die ausführliche Zusammenstellung der Falldarstellungen und theoretischen Beiträge in Pfäfflin (1993 : 77)

Dr. rer. soc. R Herold

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