Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2004; 39(2): 110-112
DOI: 10.1055/s-2004-818800
Mini-Symposium
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Carotischirurgie: Lokalanästhesie oder Neuromonitoring

Carotid Artery Surgery: Local Anaesthesia or NeuromonitoringI.  Rundshagen1
  • 1Klinik für Anästhesiologie und operative Intensivmedizin, Universitätsmedizin Charité, Campus Mitte, Berlin
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Publication Date:
09 February 2004 (online)

In der Carotischirurgie können neurologische Komplikationen den Erfolg von rekonstruktiven Eingriffen gefährden. Im wesentlichen sind dafür zwei Pathomechanismen verantwortlich: Zum einen sind neurologische Defizite Folge zerebraler Embolisierung von thrombotischen Gefäßauflagerungen oder atheromatösen Plaques. Zum anderen kann es während des unverzichtbaren Abklemmens der Arteria carotis bei einer ungenügenden Kollateralperfusion zur fokalen Hirnischämie auf der ipsilateralen Hirnhälfte kommen. Es ist unabdingbar, eine drohende Hirnischämie frühzeitig intraoperativ zu erkennen und hirnprotektive Maßnahmen, sei es durch Anwendung eines intraluminären Shunts oder Verbesserung der Kollateralperfusion, einzuleiten. Die Indikation zur selektiven Shunteinlage wird von vielen Operateuren bevorzugt, da die Einlage des intraluminären Shunts mit dem Risiko der arteriellen Dissektion bzw. der Embolie von artheromatösem Material in die Endstrombahn verbunden sein kann. Es gibt keine sicheren Prädiktoren, an Hand derer man präoperativ vorhersagen kann, welche Patienten intraoperativ einen shunt benötigen [1]. Während bei Eingriffen in Lokal-/bzw. Regionalanästhesie die neurologische Beurteilung des Patienten bedingt möglich ist, bieten sich bei Eingriffen in Allgemeinanästhesie verschiedene Techniken zum Neuromonitoring an. Bereits seit Jahrzehnten wird lebhaft diskutiert, welches Anästhesieverfahren am besten für Patienten mit Carotisoperationen geeignet ist.

Während der Premedikationsvisite sind wesentliche Begleiterkrankungen der oft multimorbiden Patienten bei der Planung des anästhesiologischen Vorgehens zu berücksichtigen. Des weiteren sollte bekannt sein, ob es sich um eine symptomatische bzw. asymptomatische Carotisstenose handelt, um ggfls. außer einem bevorzugt invasiven RR-Monitoring erweiterte Überwachungsmaßnahmen zu planen. Die engmaschige neurologische Überwachung der Patienten innerhalb von 24 Stunden postoperativ sollte gewährleistet sein.

Lokal-/Regionalanästhesie: Es stehen verschiedene regionalanästhesiologische Techniken für die Carotischirurgie zur Verfügung: die tiefe und/oder zervikale Plexusblockade und die zervikale Epiduralanästhesie [2] [3] [4] [5]. Bei der tiefen zervikalen Plexusblockade werden in Höhe der Querfortsätze der Halswirbelkörper C 2 - C 4 die Nervenwurzeln durch Injektion von Lokalanästhetika (Gesamtvolumen 15 - 24 ml) betäubt. Bei der Anästhesie des oberfächlichen Plexus cervicalis werden die Nerven auf Höhe ihrer Austrittsstelle (laterale Kreuzung der vena jugularis externa und des musculus sternocleidomastoideus) durch 4 - 8 ml Lokalanästhetika blockiert, um eine ausreichende Anästhesie der Haut im Bereich der Incision zu erreichen. Die zervikale Epiduralanästhesie wird in der Höhe der Halswirbelkörper C 6/7 oder C 7/Th 1 angelegt.

Davies et al. konnten für die Kombination von oberflächlicher und tiefer Plexus-cervikales-Blockade eine hohe Erfolgsrate bei guter Akzeptanz von Seiten der Patienten und Operateure erreichen [2] Allerdings benötigten 62 % der Patienten eine begleitende Sedation. Bei 0,6 % der Patienten (n = 6) zeigten sich klinische Zeichen in Folge einer intravasalen Injektion des Lokalanästhetikums. Bei 2,5 % der Patienten (n = 25) war es notwendig, eine Allgemeinanästhesie einzuleiten.

Bonnet et al. wendeten die zervikale Periduralanästhesie als alternatives regionalanästhesiologisches Verfahren für die Carotischirurgie bei 394 PatientInnen an [3]. Hypotension (10,9 %) und Bradykardie (2,8 %) wurden als häufigste Nebenwirkungen beobachtet. Bei zwei Patienten kam es zur Durapunktion und bei 6 Patienten zur Punktion epiduraler Venen. Bei 3 Patienten mit chronisch obstruktiver Lungenerkrankung trat eine Exazerbation der respiratorischen Insuffizienz auf, so dass eine Allgemeinanästhesie und die mechanische Ventilation erforderlich wurde. Die Autoren schlussfolgerten, dass das Verfahren für Patienten mit ausgeprägter chronisch obstruktiver Lungenerkrankung nur mit besonderer Vorsicht anzuwenden sei, da sich die respiratorische Insuffizienz verstärken kann. Eine kontinuierliche Überwachung der Herz-Kreislaufparameter wurde als unabdingbar während zervikaler Epiduralanästhesie erachtet.

Als wesentlicher Vorteil der Carotischirurgie am wachen Patienten wird die Möglichkeit erachtet, den neurologischen Status des Patienten unmittelbar beurteilen zu können. Bei der Überwachung der zerebralen Funktion steht die verbale Kommunikation mit den Patienten im Vordergrund, weiterhin kann zur Beurteilung die Motorik (Händedruck, „Quietschente”) und Sensibilität der kontralateralen Extremität herangezogen werden. Jede neurologische Verschlechterung, insbesondere während des Abklemmens der Arterie, kann hierüber frühzeitig entdeckt werden und zu therapeutischen Maßnahmen führen. Allerdings schränkt eine ggfls. zusätzlich erforderliche Sedierung des Patienten die neurologische Beurteilung ein. Prinzipiell ist die Kooperationsfähigkeit des Patienten Voraussetzung für eine Operation unter Lokalanästhesie. Als möglicher Nachteil wird eine schmerzbedingte Stressinduktion mit nachfolgender myokardialer Ischämie unter der Operation diskutiert. Außerdem sollte die Operation möglichst zügig durchgeführt werden.

Allgemeinanästhesie: Hierbei wird die Carotischirurgie unter Intubationsnarkose durchgeführt. Eine Vielzahl an Anästhetika steht dafür zur Verfügung, wobei bevorzugt Substanzen verwendet werden, die eine größtmögliche kardiovaskuläre Stabilität und eine rasche Extubation zur neurologischen Beurteilung ermöglichen [6] [7] [8]. So konnten durch ein target-controlled-infusion-Regime mit Propofol Episoden von Hypotension und Bradykardie im Vergleich zur balancierten Anästhesie reduziert werden [6]. In einer anderen Untersuchung zeigte sich nach einer Remifentanil-Desfluran-Anästhesie eine verbesserte Mitarbeit bei neurologischen Testinstrumentarien als nach Gabe von Fentanyl und Desfluran [7]. Als mögliche Vorteile der Allgemeinanästhesie werden ein potenziell neuroprotektiver Effekt von Anästhetika und eine größere Akzeptanz von Seiten der Operateure, die ohne Zeitdruck die Operation durchführen können, diskutiert. Nachteil ist die mangelnde klinische Beurteilung des neurologischen Befundes während der Allgemeinanästhesie. Daher sind verschiedene Verfahren des Neuromonitorings herangezogen worden, um eine drohende Hirnischämie unter Allgemeinanästhesie frühzeitig anzuzeigen.

Neuromonitoring: Zur Überwachung der Hirnstrukturen, die während der Carotisschirurgie durch Ischämie gefährdet sind, werden bevorzugt somatosensorisch evozierte Potenziale (SEP) nach elektrischer Stimulation des Nervus medianus am kontralateralen Handgelenk herangezogen. Das Signal wird nach repetitiver Stimulation des Nerven über dem somatosensorischen Kortexareal abgeleitet. Die Einzelsignale werden gemittelt, so dass das reizevozierte Potenzial von der Zufallsaktivität des spontanen Elektroencephalograms unterschieden werden kann. Eine Verminderung der Amplitude und eine Latenzverzögerung von mehr als 1 ms der primären kortikalen Reizantwort N 20 P 25, welche die Ankunft des Signals im sensorischen Kortex widerspiegelt, gelten als sensible Parameter bei drohender Hirnischämie. Es wird kontrovers diskutiert, welche SEP-Parameter und welche Schwellenwerte am besten geeignet ist, anhand derer die Indikation zur Anlage eines intraluminären Shunts intraoperativ gestellt werden kann [9] [10] Grundsätzlich muss bei der Interpretation der SEP-Befunde berücksichtigt werden, dass auch Anästhetika zu Amplituden- und Latenzveränderungen der SEP führen, welche teilweise unter nozizeptiver Stimulation antagonisiert werden [11]. Ein SEP-Monitoring ist unter Gabe von intravenösen Anästhetika sehr gut durchführbar, da die Amplitude des N 20 P 25-Komplexes nur wenig reduziert wird [12]. Zu beachten ist, dass die Verabreichung von Lachgas vermieden werden sollte, da es zu einer starken Amplitudenreduktion führt [13]. Ebenso ist zu berücksichtigen, dass bei Patienten, die einen Apoplex erlitten haben, die SEP-Befunde bereits präoperativ pathologisch verändert sein können [14]. Kürzlich wurde nachgewiesen, dass bei wachen Patienten, die sich unter Lokalanästhesie einer Carotisoperation unterzogen, bereits eine Amplitudenreduktion von 30 - 40 % der SEP-Komponente N 20 P 25 mit einem neurologischen Defizit korrelierte [15].

Zur zerebralen Überwachung wurden weiterhin Parameter des spontanen Elektroenzephalograms, der Hirndurchblutung (transkranielle Dopplersonographie, zerebrale Sauerstoffsättigung) als auch biochemische Indikatoren der neuronalen Zellschädigung eingesetzt. In wieweit sich insbesondere die biochemischen Verfahren eignen werden, dass therapeutische Maßnahmen frühzeitig eingeleitet werden können, ist derzeit noch nicht zu beantworten.

Lokalanästhesie versus Allgemeinanästhesie: Tangkanakul et al. haben eine systematische Literaturrecherche durchgeführt, ob eines der Anästhesieverfahren eindeutige Vorteile bringt [16]. Sie schlossen drei randomisierte und 17 nicht randomisierte Studien in ihre Meta-Analyse ein und kamen zu dem Ergebnis, dass das Datenmaterial unzureichend sei, um entsprechend der Kriterien der evidenz-basierten Medizin eine Aussage zu der Fragestellung zu treffen. Anhand der nicht randomisierten Studien zeichnete sich ein geringer Vorteil für die Regionalanästhesie ab im Sinne einer Reduktion des perioperativen Apoplexes und der 28-Tage-Mortalität. Die Autoren schlossen einen Bias der nicht randomisierten Studien, der möglicherweise die Ergebnisse beeinflusst haben könnte, nicht aus. Unabhängig von der Abwägung, welches Verfahren im allgemeinen von Vorteil ist, wird die Allgemeinanästhesie für nicht kooperative Patienten und Patienten mit deutlicher respiratorischer Insuffizienz das Verfahren der Wahl bleiben.

Literatur

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  • 2 Davies M J, Silben B S, Scott D A, Cook R J, Mooney P H, Blyth C. Superficial and deep cervical plexus block for carotid artery surgery: A prospective study of 1000 blocks.  Reg Anesth. 1997;  22 442-446
  • 3 Bonnet F, Derosier J P, Pluskwa F, Abhay K, Gaillard A. Cervical epidural anaesthesia for carotid artery surgery.  Can J Anaesth. 1990;  37 (3) 353-358
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  • 16 Tangkanakul C, Counsell C, Warlow C. Local versus general anaesthesia for carotid endarterectomy.  The Cochrane Library. 2003;  (1) 1-22

Korrespondenzadresse

PD Dr. med. Ingrid Rundshagen

Klinik für Anästhesiologie und operative Intensivmedizin, Universitätsmedizin Charité, Campus Mitte

Schumannstraße 20/21

10117 Berlin

Email: ingrid.rundshagen@ charite.de

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