Laryngorhinootologie 2003; 82(11): 756-757
DOI: 10.1055/s-2003-44542
Rundtischgespräch
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Phoniatrie und HNO-Heilkunde zum Thema: Diagnostische und therapeutische Probleme bei organischen Stimmstörungen

Phoniatry and ENT on: Diagnostic and Therapeutic Problems with Organic Voice DisordersE.  H.  Eckel, H.  Glanz, M.  Hess, T.  Nawka, H.-J.  Schultz-Coulon1
  • 1Klinik für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, Kopf- und Halschirurgie, Städtische Kliniken Neuss
Further Information

Publication History

Publication Date:
21 November 2003 (online)

Bei organischen Stimmstörungen spielen neben differenzialdiagnostischen Erwägungen funktionelle Gesichtspunkte eine bedeutende Rolle. Phonatorische Dysfunktion und organpathologische Veränderung können sich gegenseitig nachteilig beeinflussen. Einerseits kann eine hyperfunktionelle Phonationstechnik zu reaktiven Schleimhauthyperplasien führen, andererseits können organpathologische Veränderungen eine Umstellung des Phonationsmechanismus im Sinne einer reaktiven Hyperfunktion bewirken. Umgekehrt kann eine gute Stimmtechnik eine organpathologische Beeinträchtigung des Schwingungszyklus der Glottis bis zu einem gewissen Grade kompensieren. Vor diesem Hintergrund betonen alle Gesprächsteilnehmer die Notwendigkeit einer präoperativen Funktionsdiagnostik, in deren Mittelpunkt Stroboskopie und Dokumentation von Stimmleistung und Stimmklang stehen. Aus laryngologischer Sicht wird von Frau Glanz der differenzialdiagnostische Wert der Stroboskopie betont, von phoniatrischer Seite ergänzen Herr Nawka und Herr Hess, dass die stroboskopische Bewegungsanalyse wichtige Details bezüglich der Verformbarkeit des Stimmlippenepithels offenbart und damit Hinweise auf die zu erwartende postoperative Funktion geben kann. Herr Eckel demonstriert, wie nützlich im alltäglichen klinischen Betrieb eine ordinalskalierte Einschätzung und Dokumentation von Stimmleistungen für den prä- und posttherapeutischen Vergleich sein kann und Herr Nawka ergänzt dies mit Hinweisen auf die weitergehenden computergestützten Möglichkeiten der Stimmschallanalyse mit numerischer Dokumentation. Unabhängig vom großen Fortschritt auf dem Gebiet der apparativen Stimmanalyse sei jedoch, so Herr Hess, die Anamnese des Patienten von großer Bedeutung für jede prognostische Beurteilung.

Klassisches Beispiel für den Circulus vitiosus zwischen Hyperfunktion und Gewebshyperplasie sind Phonationsverdickungen (Stimmlippenknötchen), weshalb einer mikrochirurgischen Abtragung eine logopädische Übungsbehandlung sowohl vorausgehen als auch nachfolgen muss (so genanntes Sandwich-Konzept der Behandlung). Zur chirurgischen Abtragung von Phonationsverdickungen betont Frau Glanz, dass man ebenso wie bei Stimmlippenpolypen nach Möglichkeit auf Laserchirurgie verzichten sollte, um thermischen Kollateralschäden mit nachfolgender Einschränkung der Schwingungsfähigkeit durch Narbenbildung vorzubeugen. Die Phoniater Nawka und Hess unterstützen das und zeigen, dass mit Lupenlaryngoskop und speziellem Mikroinstrumentarium ein Stimmlippenpolyp bzw. ein Stimmlippenknötchen auch indirekt in Lokalanästhesie abgetragen werden kann ohne Gefährdung der Glottisfunktion. Herr Eckel hält dagegen, dass die indirekte Abtragung besonderer Übung und Geschicklichkeit bedarf und man sich auf der sicheren Seite befinde, wenn man Knötchen oder Polyp mikroskopisch kontrolliert in Narkose abtrage, insbesondere bei Sängern.

Auch beim Reinke-Ödem hat man den funktionellen Aspekt besonders im Hinblick auf die Operationsindikation zu beachten. Ein Reinke-Ödem ist nicht notwendigerweise eine Indikation zur mikrochirurgischen Intervention. Wenn weder Stimmbeschwerden noch suspekte Schleimhautveränderungen (Leukoplakie) bestehen, sollte eine Abtragung des Ödems nicht indiziert werden, da in 8 - 10 % der Fälle die Stimmfunktion unter einem solchen Eingriff leidet. Aus diesem Grunde weist Frau Glanz auf die Notwendigkeit einer möglichst sparsamen Schleimhautresektion hin, und Herr Hess unterscheidet zwischen einer obligaten respiratorischen Operationsindikation und einer stimmfunktionellen, mit der man sehr zurückhaltend umgehen müsse. Herr Eckel unterstützt dies, indem er daran erinnert, wie mangelhaft die chirurgischen und übungsfunktionellen Rehabilitationsmöglichkeiten für Defekt- und Narbenbildungen nach Reinke-Ödem-Abtragung sind, besonders, wenn vordere Synechien entstanden sind. Verhindern lassen sich derartig fatale Folgen nur, so Herr Nawka und Herr Eckel, wenn man den Reinke'schen Raum bei der Operation schont und für genügend restliche Schleimhautbedeckung der Stimmlippen, insbesondere der vorderen Kommissur, sorgt. Darüber hinaus, so ergänzt Herr Nawka, hänge die Prognose entscheidend von der Beeinflussung der ätiologischen Faktoren (Inhalationsnoxen, berufliches und privates Umfeld, Stimmfunktion) ab.

Bei der Kehlkopfpapillomatose läuft man bei rezidivfreudigen Fällen Gefahr, aus stimmfunktionellen Gründen die Operationsfrequenz zu erhöhen und damit das Risiko postoperativer Narbenbildungen zu steigern. Aus diesem Grunde, so Herr Eckel, ist die Indikation für Wiederholungseingriffe sehr sorgfältig mit den Wünschen und dem Umfeld des Patienten abzustimmen. Herr Nawka zeigt anhand von Beispielen, dass eine intraepitheliale Laserabtragung mit hoher Wattleistung (> 7 Watt), aber kurzer Exposition (< 0,1 s) und mit kleinem Spot (0,2 mm) im Interesse der Funktionserhaltung vorteilhaft ist, und Herr Hess erinnert noch einmal daran, dass auch bei der Papillomatose wiederholte logopädische Stimmübungen nützlich sind, um eine reaktive Hyperfunktion zu verhindern oder abzubauen.

Beim Kontaktgranulom ist die Diskussion um die Ätiologie und damit um das richtige therapeutische Konzept noch nicht abgeschlossen. Klar ist für Herrn Eckel, dass sich wiederholtes Operieren nicht lohnt, da die Rezidivquote bei über 90 % liegt. Herr Hess sieht eine Operationsindikation nur bei Störung der Stimmfunktion. Herr Nawka empfiehlt, bei der Behandlungsstrategie zu berücksichtigen, dass beim Kontaktgranulom wahrscheinlich eine Mischätiologie, d. h. ein Zusammenwirken einer psychosomatischen Dysfunktion mit ösophagopharyngealem stillem Reflux vorliegt, man also logopädische Behandlung und gastroenterologische Beratung bezüglich einer Antirefluxtherapie indizieren solle.

Bei der irreversiblen einseitigen Stimmlippenlähmung besteht Konsens, dass jeder chirurgischen Intervention eine logopädische Übungsbehandlung vorzuschalten ist. Für die chirurgische Stimmrehabilitation gibt es erstens die endolaryngeale Augmentation durch mikrolaryngoskopische Knorpelimplantation (Glanz) sowie durch Injektion von Fett, Polydimethylsiloxan oder Kollagen und zweitens die offene translaryngeale Medialisation mit Implantation von autogenem Knorpel, Siliconbolzen, Keramik, Titanspange oder Goretex. Welchem Verfahren der Vorzug zu geben ist, ist derzeit nicht absehbar.

Vielfältig sind auch die Verfahren und methodische Modifikationen zur Atemwegserweiterung bei beiderseitiger Rekurrenslähmung. Sie reichen von der Tracheotomie und Versorgung mit Sprechkanüle über die endoskopischen oder offenen Lateralisationsverfahren bis zu Resektionsverfahren und Reinnervationsverfahren. Die derzeit wohl verbreitetste Methode, so Herr Eckel, ist die posteriore Chordektomie nach Dennis und Kashima, die Herr Nawka noch durch eine Schleimhautplastik und partielle Arytaenoidektomie erweitert. Herr Hess weist darauf hin, dass nach Glottiserweiterung eine logopädische Behandlung sinnvoll sein kann, wenn der Patient durch zu hohen Luftverbrauch beim Sprechen zur Hyperventilation neigt.

Zum Schluss berichtet Frau Glanz über die chirurgischen Möglichkeiten zur Stimmrehabilitation, wie Synechielösung, Schleimhautunterfütterung durch Knorpelimplantation oder Bildung einer Pseudostimmlippe durch Schleimhautverschiebelappen. Herr Eckel empfiehlt, mit solchen rekonstruktiven Eingriffen zu warten, bis erstens ein Tumorresiduum oder Frührezidiv ausgeschlossen ist und zweitens eine spontane Verbesserung der Stimmleistung trotz guter Ausheilung nicht eintrat. Herr Nawka macht schließlich darauf aufmerksam, dass sich bei manchen dieser Patienten spontan eine Taschenfaltenstimme entwickelt, die funktionell den chirurgischen Rehabilitationsmaßnahmen ebenbürtig sein kann.

Prof. Dr. H.-J. Schultz-Coulon

CA der Klinik für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, Kopf- und Halschirurgie, Plastische Operationen, Phoniatrie und Pädaudiologie · Städtische Kliniken Neuss · Lukaskrankenhaus GmbH · Preußenstraße 84 · 41464 Neuss

    >