Psychother Psychosom Med Psychol 2003; 53(11): 446-454
DOI: 10.1055/s-2003-43389
Originalarbeit
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Psychische Erkrankungen in der primärärztlichen Versorgung

Treatment of Psychological Disorders by the Family DoctorSebastian  Hartmann1 , Siegfried  Zepf1
  • 1Institut für Psychoanalyse, Psychotherapie und Psychosomatische Medizin, Universitätskliniken des Saarlandes
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Publication History

Eingegangen: 6. September 2002

Angenommen: 28. Mai 2003

Publication Date:
05 November 2003 (online)

Zusammenfassung

Im Zusammenhang mit einer systematischen Replikation der 1994 in den USA durchgeführten Consumer-Reports-Study für Deutschland, untersuchten die Autoren mithilfe des ins Deutsche übersetzten Originalfragebogens auch 191 Patienten, die wegen psychischer Beschwerden ausschließlich durch ihren Hausarzt behandelt worden waren. Einzig für das Verhalten bzw. die Haltung des behandelnden Arztes ließ sich dabei ein signifikanter Einfluss auf das Behandlungsresultat, die Besserung der Beschwerdesymptomatik und die Behandlungszufriedenheit der Patienten ermitteln. Eine supportive ärztliche Haltung erhöhte die Chance auf eine Symptombesserung und Therapiezufriedenheit deutlich. Darüber hinaus gaben Patienten, die sich durch ihren Arzt unterstützt fühlten, auch eine wesentlich bessere Wirksamkeit einer möglichen medikamentösen Begleitbehandlung an und klagten über deutlich weniger unerwünschte Nebenwirkungen als die Patienten, die sich durch den Arzt nicht unterstützt fühlten.

Abstract

The authors investigated 191 patients with psychological disorders that had been treated exclusively by their family doctor. They used a questionnaire which systematically replicated the Consumer-Reports-Study executed in the USA in 1994. The investigation came to the conclusion that only the behavior and the attitude of the treating doctor showed influence on the result of treatment, the improvement of the symptoms and the satisfaction with the treatment. A supportive attitude increased the chance of improvement of the symptoms and the patients' satisfaction clearly. In addition, patients who felt supported by their doctor also indicated a significantly better effectiveness of a supplementary medication and complained clearly less about unwanted side effects than the patients who felt not supported by the doctor.

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1 Die Outcomekriterien sind in beiden Studien nicht völlig kongruent: Die Gegenüberstellung von „erfolgreich” (BMG-Studie) und „symptombessernd” (unsere Untersuchung) scheint deshalb zulässig, weil aus der Sicht der Patienten beide Begriffe im Zusammenhang mit Behandlungsresultaten eine sehr ähnliche Bedeutung haben dürften. Analoges gilt für die Begriffe „Verständnis” und „Support”, denn „Support” meint in unserer Untersuchung die Kombination aus Interesse des Arztes an den psychischen Problemen des Patienten und einer darin wurzelnden emotionalen Unterstützung durch den Arzt, was gemeinhin als „Verstandenwerden” bezeichnet wird. Ferner - und deshalb hatten wir keine methodischen Bedenken - handelt es sich bei der Gegenüberstellung beider Untersuchungen nicht um einen statistischen Vergleich, sondern um einen deskriptiven.

2 Allerdings ließ sich die Umkehrhypothese, dass erfolglos behandelte und unzufriedene Patienten im Nachhinein ihren Arzt als weniger supportiv einschätzten als die erfolgreich behandelten und zufriedenen Patienten, in einer solchen retrospektiven Untersuchung statistisch nicht ausschließen, weil die zeitliche Reihenfolge zwischen der Einschätzung des ärztlichen Verhaltens und der Einschätzung des Behandlungserfolgs durch den Patienten retrospektiv nicht zu klären war. Befunde aus anderen Untersuchungen [24] [25] [26], wonach sich zwischen 69 und 93 % der Patienten in allgemeinärztlichen Praxen über eine unzureichende Gesprächsbereitschaft und emotionale Unterstützung durch den Arzt beklagen, sprechen allerdings dafür, dass auch die negative Einschätzung des ärztlichen Verhaltens durch etwa 44 % der Patienten aus der vorliegenden Untersuchung wohl mehrheitlich dem tatsächlichen Verhalten der behandelnden Ärzte entsprach; insofern scheint die Annahme der Ursprungshypothese, dass das ärztliche Verhalten das Behandlungsergebnis beeinflusste, legitim.

Dr. med. Sebastian Hartmann

Universitätskliniken des Saarlandes · Institut für Psychoanalyse, Psychotherapie und Psychosomatische Medizin

Haus 2

66421 Homburg/Saar

Email: s.hartmann@rz.uni-sb.de

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