Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2003; 38(10): 621-622
DOI: 10.1055/s-2003-42510
Editorial
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Entwicklungen und Tendenzen in der Notfallmedizin

Developments and Trends in Emergency MedicineH.  A.  Adams1 , A.  Flemming1
  • 1Zentrum Anästhesiologie - Abteilung II der Medizinischen Hochschule Hannover im Klinikum Hannover Oststadt
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Publication Date:
25 September 2003 (online)

Das vorliegende Heft der AINS befasst sich schwerpunktmäßig mit der Notfallmedizin. Nach einer historischen Einführung von P. Sefrin [8] wird im Beitrag von M. Fischer et al. [3] die Effektivität und Effizienz von Rettungsdienstsystemen mit und ohne implementiertem Notarzt dargestellt. Ein Fallbericht von S. Hempe und P. Lierz [4] berichtet über einen eher seltenen Notarzt-Einsatz bei einem Tauchunfall mit seinen spezifischen Herausforderungen, während der Beitrag zur Fort- und Weiterbildung von C.A. Schmittinger aus der Innsbrucker Arbeitsgruppe [7] die neuesten medikamentösen Aspekte der kardiopulmonalen Reanimation beleuchtet.

Die Vielgestaltigkeit dieses Heftes ist beispielhaft für die historische Entwicklung und den aktuellen Stand der Notfallmedizin in Deutschland. Eine klinische Notfallmedizin hat es wohl erst nach deren präklinischer Etablierung gegeben. Schon immer ging es darum, den Arzt oder Helfer zum Patienten zu bringen und nicht umgekehrt; und schon immer nahmen sich zahlreiche Laienhelfer und - wohl nur einige - Ärzte dieser Aufgabe an. Und bei diesem Spagat ist es auch unter den heutigen fachlichen und organisatorischen Bedingungen geblieben.

Dass die aktuelle Struktur des Rettungsdienstes nicht unumstritten ist und in manchen Bereichen an ihre Grenzen stößt, ist unübersehbar. Schlagworte machen die Runde: Kostentreiber, Ärztemangel, fehlende Versorgung in der Fläche, rollender sozialpsychiatrischer Dienst, Paramedic und Feldscher, Regelkompetenz. An allen ist etwas daran, aber kein Einwand ist so überzeugend, dass er die Grundstruktur des jetzigen Systems infrage stellen könnte, sofern nur die Kraft zu einer sinnvollen Weiterentwicklung gefunden wird.

Der Rettungsdienst und - damit untrennbar verbunden - der Katastrophenschutz sind heute unumstrittener Teil der staatlichen Daseinsvorsorge. Diese staatliche Aufgabe steht auf der historischen Basis des Ehrenamtes in den Feuerwehren und Sanitätsorganisationen, die sich dieser Aufgabe schon unterzogen haben, als der Staat noch nicht daran dachte. Umso dankbarer sollten wir für den heutigen, gefestigten Rahmen sein. In diesem ursächlich medizinischen Bereich ist eine verantwortliche ärztliche Beteiligung unverlässlich. Der - noch nicht allgemein etablierte - Ärztliche Leiter Rettungsdienst hat in diesem System die Aufgabe, ärztlichen Sachverstand einzubringen, die nichtärztlichen Mitarbeiter anzuleiten und in allen Teilbereichen zur Qualitätssicherung beizutragen. Wichtigstes Führungselement des Rettungsdienstes ist die Rettungsleitstelle, die heute zwingend die Integration von Rettungsdienst, kassenärztlichem Notfalldienst, Feuerwehr und Katastrophenschutz erfordert. Darin liegt die beste Gewähr, lebensgefährliche Fehlentscheidungen und Überschneidungen sowie überflüssige Doppelarbeit zu vermeiden. Darüber hinaus sind beträchtliche Kosten zu sparen, wenn die immer noch zahlreichen lokalen Leitstellen zu leistungsfähigen regionalen Zentren zusammengefasst werden.

Der in Deutschland sowie in Österreich und der Schweiz fest etablierte Notarzt [1] hat mit einer zwar begrenzten, aber klar definierten Weiterbildung die Aufgabe, den Patienten mit gesicherten Vitalfunktionen und geschützt vor Folgeschäden in eine geeignete medizinische Einrichtung zu bringen. Das dabei zu versorgende Spektrum an Krankheitsbildern und Unfällen aller Fachgebiete und Altersstufen macht diese Aufgabe so reizvoll und erfordert den Generalisten mit speziellen Fähigkeiten, der sehr wohl seine Überlegenheit über entsprechende Systeme ohne implementierten Notarzt unter Beweis gestellt hat [2] [3] [6]. Und wer wollte die immer differenzierten Möglichkeiten der kardiopulmonalen Reanimation nutzen oder die Versorgung von polytraumatisierten Patienten oder Kleinkindern mit respiratorischer Insuffizienz übernehmen, wenn nicht ein dafür besonders qualifizierter und ebenso engagierter Arzt? Dabei ist es keineswegs ein Widerspruch und leicht nachvollziehbar, dass die Rettungsassistenten auf einem klaren Rechtsstatus mit definierter Kompetenz bestehen, da sie immer wieder, ob gewollt oder ungewollt, eigentlich-ärztliche Aufgaben übernehmen müssen. Hier darf aber das Kind nicht mit dem Bad ausgeschüttet werden [5]. Die nichtärztlichen Mitarbeiter im Rettungsdienst müssen in deren eigenem Interesse vor Überforderung geschützt werden - nur zu schnell wird aus dem erkämpften Recht eine juristisch eingeforderte Pflicht.

Die Kosten des Rettungsdienstes liegen derzeit bei 2 % aller Aufwendungen der gesetzlichen Krankenversicherung. Das ist sicher nicht zuviel für ein System, dass überall, jederzeit und alleinverantwortlich verfügbar ist. Es gibt also eigentlich nicht viel zu sparen - aber trotzdem ist einigen Entwicklungen Einhalt zu gebieten. Plausible Schätzungen gehen davon aus, dass nur etwa ein Drittel aller Notarzt-Einsätze auch tatsächlich den Arzt vor Ort erfordert - nur zu oft ist der Notarzt zum Mädchen für Alles geworden. Hier kommt den Leitstellen eine wichtige Steuerungsfunktion zu. Ein verständlich definierter und damit praktikabler Indikationskatalog für den Notartz-Einsatz ist keineswegs bundesweit etabliert; er stellt jedoch ein wesentliches Element der Rechtssicherheit und auch der Kostenkontrolle dar. Ein effektiverer Einatz des Notarztes mit entsprechend verminderten Einsatzzahlen würde die Belastung der Kliniken senken, die ja den Großteil der Notärzte stellen, und damit auch die Gefahr des Mangels vor allem in der Fläche vermindern. Und sicher ließe sich auch manche Gelegenheit zur Zusammenlegung von Notarzt-Stützpunkten nutzen, ohne dass die Versorgung der Bevölkerung tatsächlich gefährdet wird. Dass diese im Ergebnis auf dem Lande so gut sein soll wie in der Stadt, ist selbstverständlich.

Alles in Allem steht die präklinische Notfallmedizin vor der schönen Aufgabe, von einer guten Basis aus die Herausforderungen der Zukunft zu meistern. Es soll und muss gelingen - denn wer weiß, wann er selbst einmal auf dieses System angewiesen sein wird?

Literatur

  • 1 Adams H A, Kirchhoff K :. Refresher Course - Aktuelles Wissen für Anästhesisten. Nr. 28, 22. und 23. Juni 2002, Nürnberg. Deutsche Akademie für Anästhesiologische Fortbildung (Hrsg). Ebelsbach; Diomed 2002: 15-26
  • 2 Christenszen E F, Melchiorsen H, Kilsmark J, Foldspang A, Søgaard J. Anesthesiologists in prehospital care make a difference in certain groups of patients.  Acta Anaesthesiol Scand. 2003;  47 146-152
  • 3 Fischer M, Krep H, Wierisch D, Heister U, Hoeft A, Edwards S, Castrillo-Riesgo L G, Krafft T. Effektivitäts- und Effizienzvergleich der Rettungsdienstsysteme in Birmingham (UK) und Bonn.  Anästh Intensivmed Notfallmed Schmerzther. 2003;  38 630-642
  • 4 Hempe S, Lierz P. Akutes Lungenödem bei einer Taucherin.  Anästh Intensivmed Notfallmed Schmerzther. 2003;  38 648-650
  • 5 Richter H, Poloczek S. Invasive ärztliche Maßnahmen durch Rettungsassistenten - eine kritische Betrachtung.  Der Notarzt. 2003;  19 141-146
  • 6 Schmidt U, Frame S B, Nerlich M L, Rowe D W, Enderson B L, Maull K I, Tscherne H. On-scene helicopter transport of patients with multiple injuries - comparison of a german and an american system.  J Trauma. 1992;  33 548-553
  • 7 Schmittinger C A, Wenzel V, Herff H, Stadlbauer K H, Krismer A C, Voelckel W G, Strohmenger H U, Lindner K H. Medikamentöse Therapie bei der kardiopulmonalen Reanimation.  Anästh Intensivmed Notfallmed Schmerzther. 2003;  38 651-675
  • 8 Sefrin P. Geschichte der Notfallmedizin in Deutschland - unter besonderer Berücksichtigung des Notarztdienstes.  Anästh Intensivmed Notfallmed Schmerzther. 2003;  38 623-629

Prof. Dr. med. H. A. Adams

Zentrum Anästhesiologie - Abteilung II der Medizinischen Hochschule Hannover im Klinikum Hannover Oststadt

Podbielskistraße 380

30659 Hannover

Email: adams.ha@mh-hannover.de

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