Laryngorhinootologie 2000; 79(11): 664-666
DOI: 10.1055/s-2000-8273
HAUPTVORTRAG
Georg Thieme Verlag Stuttgart ·New York

Die perioperative Prophylaxe in der HNO-Heilkunde

W. Elies
  • Bielefeld
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Publication Date:
31 December 2000 (online)

Postoperative bakterielle Wundinfektionen sind ohne Anwendung von Antiinfektiva zu einem gewissen Prozentsatz unvermeidbar. Die sind für den Patienten belästigend bis vital bedrohend, können das Operationsziel zerstören, zwingen zu Zweiteingriffen, verlängern den Krankenhausaufenthalt und sind somit pharmakoökonomisch negativ. Beachtung und Optimierung von Operationstechnik und perioperativem Management sowie operativen Sterilitätskriterien können das bakterielle Infektionsrisiko vermindern, jedoch nicht ausschalten. Eingriffe im Kopf-Halsbereich sind den Infektionsrisikogruppen I (ca. 2 %) und II (ca. 9 %) und III (ca. 22 %) zuzuordnen. Das gemittelte Infektionsrisiko bei typischer Gruppenverteilung im HNO-Bereich ist mit ca. 10 % anzunehmen.

Es muss unser Ziel sein, anstelle der Bekämpfung manifester Infektionen diese Komplikation zu verhindern. Dies kann durch eine sinnvolle perioperative Antibiotikaprophylaxe geschehen, wie sie 1975 durch Lang und 1979 durch Hamelmann definiert wurde. Nach Lang bietet sich die perioperative antibiotische Kurzzeitprophylaxe als Kompromiss oder Wahl des geringeren Übels an. Ihr Prinzip besteht darin, zum Zeitpunkt des operativen Eingriffes und im Operationsgebiet wirksame Spiegelwerte eines Antibiotikums zu gewährleisten. Das Antibiotikum sollte die typischen Keime des Operationsgebietes erfassen. Der Zeitpunkt der Antibiotikaapplikation sowie die Kenntnis der Pharmakokinetik des benützten Antibiotikums sind von entscheidender Bedeutung. Grundsätzlich muss festgehalten werden, dass es einfacher ist, die Ansiedlung von Keimen während der Operation zu verhindern, als ein bereits kontaminiertes Gewebe zu dekontaminieren. So wird 1981 von Lang ausgeführt, dass ein 3 Stunden nach der Operation verabreichtes Antibiotikum kaum mehr in ein Hämatom penetrieren und den Patienten vor einer Infektion schützen kann. Da meist innerhalb einiger Stunden entschieden ist, ob sich nach der intraoperativen Keimeinschleppung eine Infektion entwickelt, kann die Antibiotikagabe auf einen kurzen Zeitraum begrenzt bleiben. Durch kurze, hochdosierte Antibiotikagaben können wesentliche Nachteile einer längeren Therapie (biologische Nebenwirkungen), wie Keimselektion, Änderung der Körperflora und Resistenzentwicklung vermieden werden. Jede sinnvolle Prophylaxe muss präoperativ beginnen, damit schon beim Hautschnitt adäquate Serum- und Gewebespiegel erreicht sind. Dies stellt erfahrungsgemäß sehr hohe Anforderungen an die Disziplin der OP-Organisation. Untersuchungen zum Stellenwert der Antibiotikaprophylaxe während der letzten Jahre haben gezeigt, dass sie in gewissen Bereichen, wie der Herzchirurgie, der Gefäßchirurgie und der Endoprothetik als auch der Abdominalchirurgie unumstritten ist. Auch für die Tumorchirurgie des Kopf-Halsbereiches belegen Ergebnisse von Piccart et al., Maier und Strutz, Mann und Maurer, Geyer und Borneff als auch Elies, den signifikanten Vorsprung mit entsprechend heute gesicherter Indikation. Es stellt sich heute für den Bereich der Weichteileingriffe im Kopf-Halsgebiet die Frage, nach weiteren Indikationen sowie der erforderlichen Zeitdauer der Prophylaxe.

Wir haben 1987 und 1990 gezeigt, dass die perioperative Kurzzeitprophylaxe mit einer Antibiotikaapplikation (one-shot-Prophylaxe) anderen längerdauernden Prophylaxeformen wirkungsequivalent ist. Die drastische Reduktion postoperativer bakterieller Infektionen auf 0 %, wie sie auch von Slattery et al. 1995 beschrieben wird, untermauert die Indikation einer generellen Kurzzeitprophylaxe. Wir haben zwischen 1983 und 1985 in einer kontrollierten klinischen Untersuchung bei 190 Patienten mit Weichteileingriffen im Kopf-Halsbereich der Infektionsrisikoklassen I - III verschiedene Prophylaxeformen verglichen. Es wurden die single-shot- mit der three-shot-Prophylaxe sowie die three-shot-Prophylaxe mit der Langzeitgabe (bis 7 Tage) verglichen (Tab. [1]u.[2]). Die Ergebnisse waren je äquivalent, die Rate postoperativer bakterieller Wundinfektionen lag bei jeweils 0 %. Das verwendete Antibiotikum war eine fixe Kombination aus vier Teilen Mezlocillin und zwei Teilen Oxacillin (Optocillin®). Die Einzeldosis betrug 6 g oder 3 g, abhängig vom Körpergewicht. In der Folgezeit haben wir zur Prophylaxe Ceftriaxon verwendet. Es wurde hier in einer zufallsrandomisierten klinischen Untersuchung 1 g oder 2 g 30 Minuten vor Operationsbeginn intravenös appliziert. Bei insgesamt 484 Eingriffen mit dieser single-shot-Prophylaxe zwischen 1992 und 1997 fand sich keine postoperative bakterielle Infektion (Tab. [3]).

Tab. [4] zeigt die Art der Eingriffe bei der single-shot-Prophylaxe mit unterschiedlichen Dosen (1 g vs 2 g) von Ceftriaxon und Cefotiam bei jeweils 100 Patienten. Auch hier fand sich keine postoperative bakterielle Wundinfektion. Verglichen mit den Angaben von Kruse et al. sowie Mann et al. kann ein signifikanter Vorteil der single-shot-Prophylaxe für alle Weichteileingriffe des HNO-Bereiches abgeleitet werden.

Für die Nasennebenhöhlenchirurgie ist der Wert einer Prophylaxe umstritten und extrem schwierig zu validieren. Wir verabreichen über 5 Tage oral Cefuroximaxetil als Leitsubstanz der oralen Cephalosporine. Wir gehen von der Überlegung aus, dass hierdurch die Bildung von infektiösem, unter dem Schorf gelegenen Sekret, welches die Rezidivneigung bei der Polyposis nasi verstärkt, verhindert wird.

Gleiches gilt auch für eine Kurzzeittherapie in der Mikrochirurgie des Mittelohres. Hier konnte schon Helms 1990 zeigen, dass die Einheilungsrate von Trommelfelltransplantaten bei nicht infizierten Ohren wesentlich verbessert ist. Auch wir konnten dies mit Ceftazidim als auch mit Ciprofloxacin nachweisen. Auch pharmaökonomische Gründe sprechen für eine Prophylaxe, da je nach angenommener Infektionsrate zwischen 1 - 10 % Sparpotenziale zwischen DM 42 000 - 447 000 bestehen. Werden zu den Krankenhauskosten die volkswirtschaftlichen Belastungen gezählt, erhöht sich der pharmaökonomische Benefit auf das Doppelte.

Nach Literatur und eigenen Erfahrungen scheint die Art des verwendeten Antibiotikums keine singulär ausschlaggebende Rolle zu spielen. Sämtliche Untersuchungen mit verschiedenen Cephalosporinen der 1. - 3. Generation mit oder ohne Kombination von Metronidazol haben ähnliche Ergebnisse gezeigt. Im Vordergrund scheinen pharmakokinetische Eigenschaften, wie Gewebe- und Sekretkonzentrationen, Bakterizidie und Betalaktamasestabilität zu stehen. Hinzu muss die Überlegung genommen werden, dass intraoperativ eindringende Keime durch Störung ihrer für die Anhaftung wesentlichen Glycokalix (Costerton et al. 1981) in der Gewebekontamination und Induktion einer bakteriellen Infektion durch entsprechende Antiinfektiva erfolgreich gehindert werden. Zusätzlich werden analog des Spektrums der Antiinfektiva, die am häufigsten vorkommenden Leitkeime des Operationsgebietes erfasst. Neben der Antibiotikaprophylaxe darf keinesfalls auf klassische Grundsätze der operativen Technik verzichtet werden. Grundregeln der aseptischen, atraumatischen, anatomisch optimalen, nur zeitlich begrenzten Chirurgie sowie der Einsatz von Saugdrainagen und bei entsprechendem Bedarf der Anlage von Druckverbänden müssen beachtet werden. Erst die Kombination dieser Maßnahmen führt zu einer optimierten Chirurgie.

Literatur

  • 1 Blair E A, et al. Cost analysis of antibiotic prophylaxis in clean head and neck surgery.  Arch Otolaryngol-Head-Neck-Surg. 1995;  121 269-271
  • 2 Costeron J W, Irvin R T, Cheng K J. The bacterial glycocalix in nature and disease.  Am Rev Microbiol. 1981;  35 299-324
  • 3 Elies W. Antibiotikaprophylaxe bei nicht infizierten Halsweichteileingriffen.  In: Mikrobiologische Aspekte bei Erkrankungen im HNO-Bereich. Stuttgart; Fischer-Verlag, 1990
  • 4 Geyer G, Borneff M. Perioperative Prophylaxe mit Mezlocillin und Metronidazol bei Patienten mit Orpharynx-, Hypopharynx- und Larynxtumoren.  Z Antimikro Antineopl Chemother. 1986;  3 - 5 587-595
  • 5 Lang E. Prinzipielle Probleme der Antibiotikaprophylaxe. In: Von Eckert P, Zang L (Hrsg) 2. Saarbrücker Gespräche. München; Zuckschwerdt-Verlag, 1982
  • 6 Lode H. Basis der Antibiotikaprophylaxe. In: Von Eckert P, Zwang L (Hrsg) 2. Saarbrücker Gespräche. Perioperative Antibiotikatherapie. München; Zuckschwerdt-Verlag
  • 7 Maier W, Strutz J. Perioperative Ein-Dosis-Prophylaxe mit Cephalosporinen im HNO-Gebiet. Eine prospektive randomisierte Studie.  Laryngo-Rhino-Otol. 1992;  71 365-369
  • 8 Mann W, et al. Perioperative Kurzzeitprophylaxe in der Kopf-Hals-Chirurgie.  Laryngo-Rhino-Otologie. 1990;  3 121-176
  • 9 Piccart M, Dor P, Klastersky J. Antimicrobial prophylaxis of infections in head and neck surgery.  Scand J Infect Dis. 1983;  39 92-96
  • 10 Rosin H. Ein neues Konzept zur Antibiotika-Prophylaxe in der Vaginal- und Kolon-Chirurgie.  Deutsches Ärzteblatt. 1986;  83 883-891
  • 11 Slattery W H, et al. Prophylactic antibiotic use in clean, uncontaminated neck dissection.  Laryngoscope. 1995;  105 244-246

W. Elies

Akademisches Lehrkrankenhaus Städtische Kliniken Bielefeld-Mitte

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