Zeitschrift für Palliativmedizin 2012; 13(6): 279
DOI: 10.1055/s-0032-1319026
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Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Buchbesprechung – Abschied braucht Zeit

Contributor(s):
Manfred Gaspar
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Publication History

Publication Date:
03 December 2012 (online)

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Abschied braucht Zeit – Palliativmedizin und Ethik des SterbensChristoph Müller-Busch2010, 295 Seiten, Suhrkamp medizinHuman, 10 € (D), 10.30 € (A), ISBN 978-3-518-46368-0

Unversehens ist da ein Buch auf dem schier unübersehbaren Taschenbuchmarkt, das sofort ins Auge springt. Prägnant sein Titel: Abschied braucht Zeit. Wesentlich sein Untertitel: Palliativmedizin und Ethik des Sterbens. Berufen, über dieses Thema zu schreiben, sein Autor: H. Christoph Müller-Busch, ehemaliger Präsident der DGP und amtierender Sprecher des Arbeitskreises Ethik der DGP. 295 Seiten komprimierte Erfahrung liegen damit vor, extrahiert aus Vorträgen, Publikationen und Vorlesungen des Autors in den zurückliegenden 15 Jahren.

Die Gliederung umfasst 14 Kapitel, die, vordergründig betrachtet, eklektisch aneinandergereiht erscheinen – beim näheren Hinsehen jedoch einen profunden Einblick und Überblick über palliativmedizinische Grundlagen und Spezifitäten geben, und im Ergebnis dann – soweit bei diesem komplexen Thema möglich – Durchblick ermöglichen.

Palliativ: Geschichte eines Wortes und einer Idee steht am Beginn. Eine „Crash-“ Einführung in das Thema, die auch alten Hasen Neues vermitteln kann. Dann wird es spezieller, z. B. mit der Frage, ob Intensivmedizin und Palliativmedizin Widerspruch oder Ergänzung bedeuten. Weiter geht es mit Gedanken über Tötung auf Verlangen, ärztliche Beihilfe zum Suizid und Palliativmedizin als medizinische und ethische Herausforderung. In Kapitel 4 „Respekt vor Autonomie – das Recht des Schwächeren und die Dominanz des Stärkeren“ werden fast beiläufig Fragen aufgeworfen und mögliche Antworten umfassend erörtert: „Gibt es überhaupt noch ein natürliches Sterben? Was bedeutet Autonomie für den Sterbeprozess? Gibt es ein Recht auf einen guten, einen würdigen Tod, wenn die letzte Lebenszeit so sehr durch die Dominanz des Stärkeren bestimmt wird?

Weiter geht es um Schmerz bei Sterbenskranken, Scham, Ekel und Schuld am Lebensende, Gedanken zu Nahtodphänomenen, Bedeutung der Hoffnung in der Medizin, Humor bei Sterbenden, Trauer, Rituale und Angehörige und um die Frage des eigenen guten Todes.

Die Kapitelinhalte sind geprägt von profunder praktischer Erfahrung des Autors und umfassender theoretischer Einbindung in den Kontext wesentlicher Literatur – sowohl der rein fachlichen als auch der schöngeistigen – und einer idealtypischen palliativmedizinischen Grundhaltung. Mit großer Offenheit gibt Christoph Müller-Busch auch Persönliches preis, wie z. B. seine eigene Patientenverfügung, und, wie nicht anders von ihm zu erwarten, auch viel humorvolles: „Eine sichtlich schwächer werdende ältere Dame versucht, ihren verzweifelten Kindern, die nie mit ihr über Sterben und Tod sprechen wollten, mit einem Witz den Tod zu erklären: „ Zwei brennende Kerzen unterhalten sich. Fragt die eine: „Meinst du, der Wind könnte uns was antun?“, darauf die andere: „Davon kannst Du ausgehen!“.

Vier Bücher in einem liegen hier vor: Ein Buch zum Lernen, eines zur Hilfe beim Lehren, zum Nachdenken und eines als Kraftquell für alle Sterblichen. Welch Fülle!

Manfred Gaspar, St. Peter-Ording