Z Orthop Unfall 2012; 150(02): 121-125
DOI: 10.1055/s-0032-1311699
Orthopädie und Unfallchirurgie aktuell
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Report – Rehabilitation: Auf der Suche nach Evidenz

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Publication Date:
12 April 2012 (online)

 

Eine verwirrende Vielfalt an Leistungsträgern, Anbietern und Finanzierungsmodellen beherrscht die hiesige Reha-Szene. Klar ist: Wenn Reha wirklich helfen soll, eine alternde Bevölkerung länger fit zu halten, vor allem auch länger fit am Arbeitsplatz, ist eine bessere Differenzierung nötig, wem welche Reha wirklich nützt.

Letztes Jahr in Marienbad? Dort, wo schon Gorki und Gontscharow, Chopin und Wagner? Oder in Bad Saulgau? In Bad Kissingen? Bad Salzuflen? Bad Sebastiansweiler?

Rehabilitation, das riecht immer ein wenig nach Schwefelquelle, ruft Bilder von Badekappen, Trinkhallen, vom Kurorchester im Park hervor, und evoziert auch bange Ahnungen von Abstinenz und Kaltwasserkuren.

Alles Dinge, die heutige Apologeten des Fachs gar nicht mehr sehen. "Es gab ja Zeiten, da bemaß sich der Erfolg einer Rehabilitation daran, dass Sie einen Kurschatten abgegriffen haben", ulkte Prof. Karsten Dreinhöfer von der Charité auf dem letzten DKOU. Doch das sei lange vorbei. Heute ginge es darum, mit dem Patienten konkrete Rehaziele zu vereinbaren und diese dann umzusetzen. Motto: Wie weit wollen Sie in einem halben Jahr wieder laufen können, wie kommen wir dahin und … jetzt dann aber mal ran an das Trainingsgerät.

Und mehr und mehr stellt eine Mediziner- und Forscherszene Methoden und Verfahren von Reha auf den Prüfstand der Evidenzbasierten Medizin. Welche Reha nützt? Wem nützt sie? Lassen sich Langzeiterfolge dokumentieren? Keine Frage, die Szene ist im Umbruch: "Reha ist keine reine Erfahrungswissenschaft mehr", formuliert es Bernd Kladny, Leiter einer Sektion Rehabilitation/Physikalische Medizin der DGOU. Es gebe immer mehr belastbare Daten für erfolgreiche Rehaverfahren (siehe auch das Interview Kladny).

Profitiert hat das Feld ohne Zweifel durch einen von BMBF und Rentenversicherung 1996 ins Leben gerufenen Förderschwerpunkt Rehabilitationswissenschaften, in dem bis 2007 acht Forschungsverbünde an die 40 Millionen Euro bekamen. Etliche davon funktionieren weiter, heute überwiegend mit Mitteln der Rentenversicherung (siehe links in der Online-Version).

Der Versuch einer Zwischenbilanz zeigt aber auch: Vielerorts muss Reha erst noch Maßstäbe und Parameter entwickeln, an denen entlang sich ihr konkreter Nutzen messen lässt. Zugleich wird es eben nur mit mehr Nutzenbelegen gelingen, Reha wirklich zu der Rolle im Gesundheitswesen zu verhelfen, die der Gesetzgeber für sie vorgesehen hat.

Der verankerte Reha im Jahr 2001 nicht nur im neu geschaffenen Sozialgesetzbuch IX, sondern gleich auch noch in weiteren Büchern des verästelten Sozialgesetzes. Seither gilt, in zwei Leitsätzen zusammengefasst:

  1. Reha vor Rente und

  2. Reha vor Pflege (im Detail beides nachzulesen in §8 des SGBIX).

Konkret heißt das zum Beispiel: Bevor jemand vorzeitig wegen Krankheit aus dem Arbeitsleben ausscheiden muss, gilt es mittels Reha alles zu versuchen, ihn doch noch länger im Job zu halten. Und wenn jemand dank einer Reha-Maßnahme von der Pflegestufe 2 wieder in die Stufe 1 käme, dann hätte Reha ebenfalls ihre Aufgabe erfüllt. Angesichts der demographischen Entwicklung befürworten viele Experten einen Ausbau von Reha. Dann, wenn Akutmedizin nicht mehr weiter helfen kann, soll Reha helfen, mit chronischen Schmerzen bestmöglich umzugehen, mit einer Herzschwäche, einem Diabetes und womöglich obendrein auch noch einem Kunstgelenk bestmöglich zu leben.

Enorm verwirrend bleibt bis heute das Geflecht aus unterschiedlichen Zuständigkeiten verschiedener Leistungsträger – wer zahlt? – und Leistungserbringern – wer macht die Reha mit dem Patienten?

Träger sind Renten- und Krankenversicherung, unter Umständen auch Berufsgenossenschaft, Unfallversicherung und die Arbeitsagentur.

Reha im eigentlichen Sinne ist vor allem Sache von Rentenversicherung und GKV. Die Rentenversicherung muss grob gesagt, immer dann ran, wenn es gilt, Menschen im Erwerbsleben zu halten. Sonst ist oft die Krankenkasse zuständig. Zum Beispiel auch für jene Mutter- oder Vater-Kind-Kuren, für die Anfang Februar 2012 neue Richtlinien für die Begutachtung verabschiedet worden sind. Vor allem das Müttergenesungswerk hatte den Kassen Willkür bei der Vergabe vorgeworfen.

Nicht nur dieser Streit zeigt: Die Beurteilungsinstrumente dafür, wer wann welche Reha braucht, sind alles andere als präzise und unumstritten. Seit Jahren schon tüfteln daher manche Arbeitsgruppen an neuen Assessment-Verfahren, mit denen sie genau ermitteln wollen, welche Reha nun wer braucht. Von objektivierbaren Diagnosen ist die Rehabilitationswissenschaft allerdings nach wie vor ein gutes Stück weit weg. Ja, manch Experte bezweifelt, dass sie für Rehabilitation immer und überall möglich sind (siehe auch das Interview Spyra, und das Interview Greitemann).

Die Verwirrung pflanzt sich fort bei einer enorm vielfältigen Begrifflichkeit für verschiedene Formen von Reha. Da wäre die so genannte Medizinische Rehabilitation – im Kern sind es Leistungen, um Menschen mit und nach Krankheit wieder möglichst fit zu kriegen. 80 % aller Medizinischen Rehabilitationen bei der GKV, 20 % bei der Rentenversicherung, sind so genannte Anschlussrehabilitationen, die sich binnen 14 Tagen nach Entlassung an einen Krankenhausaufenthalt anschließen.

Im Detail ist die Zahl an Schulen und Techniken oft kaum überschaubar. Allein für Patienten mit "unspezifischen" Rückenschmerzen gibt es stationäre oder ambulante Reha, nach den verschiedensten Modellen und Philosophien, je nach Klinik mit psychosomatischem, mit somatischem Schwerpunkt, mit oder ohne anschließende Nachbetreuung.

Davon abzugrenzen sind Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (LTA), früher auch berufliche Rehabilitation genannt. Dazu zählt etwa eine Umschulung, wenn ein Bademeister ob unheilbarer Hauterkrankung nicht mehr in seinem Beruf bleiben kann. Medizinische Reha und LTA voneinander zu trennen, entpuppt sich in der Praxis aber zunehmend als unsinnig. In vielen Modellprojekten erprobt vor allem die Deutsche Rentenversicherung (DRV) heute die Kombi von Medizinischer Reha, die bewusst auch die Arbeitssituation eines Betroffenen in den Blick nimmt (siehe auch das Interview Bernhard Greitemann).