NOTARZT 2012; 28(04): 168-170
DOI: 10.1055/s-0032-1305072
Fortbildung
Der toxikologische Notfall
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Sonntagsessen

J. Kruse
Charité – Universitätsmedizin Berlin, Campus Virchow Klinikum, Klinik für Nephrologie und internistische Intensivmedizin (komm. Direktoren: Prof. Dr. A. Jörres und Prof. Dr. R. Schindler)
,
F. Martens
Charité – Universitätsmedizin Berlin, Campus Virchow Klinikum, Klinik für Nephrologie und internistische Intensivmedizin (komm. Direktoren: Prof. Dr. A. Jörres und Prof. Dr. R. Schindler)
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Publication Date:
14 August 2012 (online)

Der Fall

Alarm des Hubschraubernotarztes in ein Einfamilienhaus am Rande Berlins zum Stichwort Reanimation. Bei seinem Eintreffen sieht der Notarzt einen 23-jährigen Mann auf dem Boden liegend, intubiert und von einem Rettungsassistenten mit Beutel beatmet. Der angeschlossene Monitor zeigt einen regelmäßigen Sinusrhythmus um 80/min. Eine Dame stellt sich als Nachbarin und Ärztin vor und berichtet, dass der junge Patient während des gemeinsamen Mittagessens mit den Eltern plötzlich mit dem Körper vornübergesackt und mit dem Kopf auf die Tischplatte aufgeschlagen sei. Danach habe er nicht mehr reagiert. Die Eltern hätten sie gerufen und sie habe Pulslosigkeit und tiefe Bewusstlosigkeit festgestellt und sofort mit Herzdruckmassage begonnen. Der zeitgleich von der Freundin des Mannes angerufene Rettungsdienst sei wenige Minuten später eingetroffen und konnte mit seinem Monitor Kammerflimmern als Ursache des Kreislaufstillstandes feststellen, welches durch einmalige Defibrillation zu beseitigen war. Da der Patient bewusstlos geblieben war, habe sie ihn intubiert und beatmet. Seither habe er gut tastbare Pulse, einen Blutdruck von 150/90 mm Hg und beginne wieder selbst zu atmen.

Der Notarzt legte dem Patienten 2 Verweilkanülen, infundierte isotone Elektrolytlösung und sedierte ihn mit Propofol. Danach organisierte er telefonisch ein Intensivbett in der Universitätsklinik und transportierte den jungen Patienten dorthin.

Nach Aufnahme in der Rettungsstelle wurde der Patient mit kontrastmittelgestütztem CT („Traumaspirale“) untersucht, das keinen pathologischen Befund ergab. Insbesondere eine Lungenarterienembolie und eine Aortendissektion konnten ausgeschlossen werden. Anschließend wurde der Patient auf die internistische Intensivstation übernommen.

Die weitere Anamnese im Gespräch mit der Freundin des Patienten und dessen Eltern ergab bisher keinerlei Vorerkrankungen. Er arbeite als Informatiker und habe sich in der letzten Zeit oft gestresst gefühlt. Medikamenteneinnahme oder ein Substanzabusus war den Angehörigen nicht bekannt. Laut Freundin hatten beide am Vorabend des Ereignisses eine Diskothek besucht, dort allerdings nur einige Longdrinks konsumiert und viel getanzt.

Klinisch zeigte sich ein leptosomer bewusstloser Patient mit prompter Lichtreaktion der mittelweiten Pupillen, beiderseits belüfteten Lungen ohne Rasselgeräusche und erhaltener Diurese. Das 12-Ableitungs-EKG zeigte nicht ischämietypische aszendierende Hebungen aus dem S. Die QTc-Dauer wurde mit 443 ms berechnet. Auffällig war anfänglich ein trotz Analgosedierung deutlich erhöhter Blutdruck von bis zu 200/110 mm Hg ohne sonstige Zeichen einer unzureichenden Sedierung oder Analgesie.

Laborchemisch fanden sich normale Elektrolyte und die Blutgasanalyse ergab eine gute Oxygenierung. Das anfänglich gering erhöhte Laktat normalisierte sich innerhalb von zwei Stunden. Die initiale Kreatinkinase war mit 118 U/l ebenso normal wie das Troponin-T.

Echokardiografisch wurden die links- und rechtsventrikuläre Ejektionsfraktion jeweils mit 55 % ermittelt. Alle Herzhöhlen wiesen normale Abmessungen auf. Hinweise auf Klappenvitien, regionale Wandbewegungsstörungen oder Zeichen der Rechtsherzbelastung fanden sich nicht.

Da somit keine primär kardiale Ursache für das Kammerflimmern zu erkennen war, keine Elektrolytauffälligkeiten vorlagen und der toxikologische Schnelltest im hauseigenen Zentrallabor nicht wegweisend war, wurden Blut und Urin zur toxikologischen Analyse versandt.

Leitlinienkonform war der Patient zwischenzeitlich mit einem Kühlanzug versehen worden und wurde dann für 24 Stunden auf 32 °C gekühlt. Nach Ende der Kühl- und Aufwärmungsphase wurde die Analgosedation mit Midazolam und Fentanyl beendet. Zu diesem Zeitpunkt konnten normale somatosensorische Potenziale (Medianus-SEP) und ein Normalwert der neuronenspezifischen Enolase von 13 µg/l ermittelt werden.

Drei Tage nach dem Ereignis bewegte der Patient die linke Hand als erste Wachreaktion, nach weiteren 3 Tagen war er so wach, dass er den Endotrachealtubus nicht mehr tolerierte und bei gutem Gasaustausch dann extubiert wurde. In den Folgetagen konnte er problemlos mobilisiert werden. Neurologisch fanden sich außer einer retrograden Amnesie bis kurz vor dem Ereignis keine Auffälligkeiten, insbesondere intellektuell waren keine Beeinträchtigungen wahrnehmbar.

Weder das Kernspintomogramm des Herzens (Myokarditis?) noch die Koronarangiografie (KHK?) sowie wiederholte Elektrokardiogramme, ein Ajmalintest hinsichtlich Brugada-Syndrom noch Echokardiografien ergaben pathologische Veränderungen, die den Kreislaufstillstand erklären konnten. Auch Bestimmungen von Parvovirus B19 und dem Herpesvirus 6 waren nicht wegweisend. Eine Myokardbiopsie wurde nicht durchgeführt. Die anfänglich bestimmten, normalen Kaliumkonzentrationen sprachen gegen Hyperaldosteronismus und spätere Untersuchungen hinsichtlich aldosteronproduzierender Tumoren oder Phäochromozytom waren ohne pathologisches Ergebnis. Die toxikologische Untersuchung im Speziallabor ergab im Urin qualitativ einen positiven Befund für Amphetamine, der jedoch im Serum nicht verifiziert werden konnte. Wenngleich also Amphetamine ursächlich gewesen sein konnten, wurde letztlich vorsorglich ein AICD implantiert. Die während des Eingriffs vorgenommene programmierte Kammerstimulation ergab keine Erhöhung der Kammervulnerabilität. Siebzehn Tage nach dem Ereignis wurde der Patient in ein Rehabilitationszentrum verlegt.

 
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