PiD - Psychotherapie im Dialog 2012; 13(1): 77-80
DOI: 10.1055/s-0031-1298938
Interview
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

„Gutes tun und es auch zeigen“

Psychotherapeuten und QualitätssicherungHans-Jochen  Weidhaas im Gespräch mit Henning  Schauenburg[1]
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Publication Date:
08 March 2012 (online)

PiD: Lieber Herr Weidhaas, vielen Dank, dass Sie sich Zeit genommen haben und in der Pause einer Sitzung, in der es nicht zuletzt um das Feld der psychotherapeutischen Versorgung in der Zukunft ging, einen Moment herauskommen konnten, für dieses Interview.
Qualitätssicherung ist in der Ärzteschaft und unter Psychotherapeuten ein in Teilen umstrittenes Thema. Um einzusteigen: Wie sehen Sie den Stand im Bereich der Psychotherapie verglichen mit anderen Facharztgruppen?

Hans-Jochen Weidhaas: Qualitätssicherung existiert ja in der Psychotherapie bereits seit Langem, und m. E. auf einem sehr hohen Niveau. Die Ausgangsbasis ist also gut, auch wenn jetzt weitere gesetzliche Vorgaben im Raum stehen.

Zum Beispiel sind Qualitätszirkel unter Psychotherapeuten relativ verbreitet. Bei insgesamt ca. 70 000 Teilnehmern in der Ärzteschaft und bei den Psychotherapeuten werden 23 % aller Qualitätszirkel von Psychotherapeuten betrieben. Dazu kommen die Tutoren dieser Zirkel, die zu 25 % psychologische Psychotherapeuten sind. Damit ist diese Gruppe zahlenmäßig relativ am stärksten vertreten.

Dazu kommt ja immer schon, seit Einführung der Richtlinienpsychotherapie, das Gutachterverfahren, mit dem neben der Indikationssicherung, zusätzlich Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit jeder einzelnen Behandlung vorab geprüft wird. Das hat u. a. zur Folge, dass dadurch auch die eigene wirtschaftliche Situation der Psychotherapeuten gesichert ist. Es gibt nach meiner Kenntnis kein Fachgebiet, das in dieser Weise flächendeckend qualitätsmäßig „durchorganisiert“ ist.

Auf das Gutachterverfahren kommen wir noch genauer zu sprechen. Es gibt unter Therapeuten, jenseits des gesetzlichen und aktuellen Rahmens, anscheinend so etwas wie ein natürliches Bedürfnis, nach „qualitätssichernden“ Maßnahmen.

Die Bereitschaft der Kolleginnen und Kollegen ist auf unserem Gebiet sehr hoch. Beschrieben habe ich eben ja nur die offiziellen Qualitätszirkel der KBV. Es ist den Psychotherapeuten in der ganzen Diskussion oft gar nicht bewusst, dass sie selbst in vielen Fällen Qualitätssicherung betreiben. Denken Sie an alles, was unter den Begriff Supervison / Intervision fällt und zahlenmäßig überhaupt nicht erfasst ist.

Aber es gibt natürlich auch eine andere Ebene, wo ich den Eindruck habe, dass es um Qualitätssicherungsmaßnahmen geht, die eher nicht den Psychotherapiegepflogenheiten entsprechen, die dann eher als von außen aufgedrückt erlebt werden.

Sie sprechen von den Qualitätsindikatoren. Wie ist da im Moment der Stand?

Es gibt den gesetzlichen Auftrag an den Gemeinsamen Bundesausschuss, da bis 2017 etwas vorzulegen. Ich war früher selbst in diesem Gremium und habe seinerzeit als unparteiisches Mitglied dafür plädiert, dass bei der Überarbeitung des Gutachterverfahrens, bei der Umsetzung der Vorschriften der Richtlinien, die Sache so angelegt wird, dass mit Blick auf die gesetzlichen Erfordernisse Mitglieder des Unterausschusses Psychotherapie und des Unterausschusses Qualitätssicherung Arbeitsgruppen bilden, die sich mit weiteren Maßnahmen befassen und so ist es auch geschehen.

Auch in der KBV beschäftigt sich eine strukturübergreifende Arbeitsgruppe mit der Entwicklung von Qualitätsindikatoren, da die fachliche Besonderheit der Psychotherapie widergespiegelt werden muss.

Spontan fällt mir allerdings kein Qualitätsindikator ein, von dem ich sagen könnte, er bildet adäquat ab, was uns als Psychotherapeuten zentral wichtig ist.

Haben Sie trotzdem ein Beispiel für einen Qualitätsindikator wie er auf eine Psychotherapiepraxis zukommen könnte?

Ja, z. B. die medizinisch-organische Abklärung. Die wiederum ist bei den psychologischen Psychotherapeuten ja sogar gesetzliche Vorschrift. Also die werden die Kollegen leicht nachweisen können und insofern werden sie da schon eine „1,0“ kriegen, d. h. eine hundertprozentige somatische Abklärung aller ihrer Patienten. Andere Parameter, wie die Schilddrüsenhormonbestimmung bei Depressiven oder, ob bei bestimmten Konstellationen die Angehörigen einbezogen wurden, sind auch denkbar. Das sind aber alles Dinge, die ein wenig plump wirken, und ob die uns dann weiterbringen, in dem Sinn, dass wir damit bestimmte Indikatoren erfüllen, das sei mal dahingestellt. Ein anderer Strang beim G-BA könnte sein, das Gutachterverfahren wie eine „second opinion“ zu sehen, wie dies bei hochpreisigen Medikamenten schon der Fall ist.

Was andererseits aber nicht passieren darf, ist noch mehr bürokratische Belastung. Wir haben in der KBV die Zielsetzung, Bürokratie abzubauen. Wenn sie denn aber unumgänglich sein sollte, weil eine gesetzliche Vorschrift erfüllt werden muss, dann muss eine Maßnahme auch adäquat finanziert werden, das gilt auch beim Gutachterverfahren.

Es geht ja auch bei der Frage, was Ideal-Indikatoren wären, das ist mein Eindruck aus der Leitlinienkonferenz, darum, dass sie relevant für den Alltag sein müssen. Damit sind sie aber meist sowieso selbstverständliche Bestandteile der Versorgung. Mein Eindruck ist immer, dass die Psychotherapeuten selbst sich am wenigsten Sorgen machen müssen, dass sie irgendwelche Qualitätsanforderungen auf dieser Ebene nicht erfüllen können.

Das ist völlig richtig, ich vermute, dass das von uns beinahe standardmäßig erfüllt wird, und bin überzeugt, dass 99 % der Kolleginnen und Kollegen die Dinge so machen wie gefordert, man muss es aber auch nachweisen.

Das ist für mich die Überleitung zu einem anderen wichtigen Thema, dem TK-Projekt: Also der Gegenüberstellung von Gutachterverfahren und Fragebogen-Monitoring von Therapieverläufen als zwei unterschiedlichen Wegen der Qualitätssicherung?
Es gibt ja Psychotherapiestudien, die zeigen, dass die meisten (leider definitiv nicht alle) Therapeuten im Schnitt gute Ergebnisse, aber dass alle auch ihre individuellen Schwachpunkte haben. Im Verlauf des Therapeutenlebens führt das meist dazu zu wissen, mit wem man nicht gut arbeiten kann. Es könnte für den Einzelnen durchaus sehr informativ sein zu sehen, dass er oder sie beispielsweise in Bezug auf depressive Verstimmungen im Schnitt gut helfen kann, aber Patienten in anderen Bereichen nicht gut vorankommen (soziale Ängste, oder sexuelle Probleme z. B.). D. h. es könnte sein, dass eine direkte Rückmeldung der eigenen Verläufe, in Relation zu einem durchschnittlichen Symptomverlauf von allen anderen Patienten, erlaubt, eigene Stärken und Schwächen zu entdecken.

Ja, und das ist ja genau eine Möglichkeit, die im G-BA derzeit diskutiert wird. Das Problem ist, dass man schon vor zehn Jahren soweit war, diese Vorschrift in Richtlinien umzusetzen, was aber nicht geschah, vor allem weil bisher die Frage nicht zu lösen war, wer hat bei der Dokumentation solcher Therapieverläufe den Zugriff auf die gewonnenen Daten?

Das ist ein absolut sensibles Gebiet. Ich kann nur hoffen, dass man diesbezüglich zu einem vernünftigen Ergebnis kommt und es möglich wird, Therapien in Verlauf und Ergebnis standardisiert zu evaluieren. Das möchte ich den Kollegen und Kolleginnen schon deswegen anraten, weil sonst u. U. psychotherapeutische Leistungen an sich zur Disposition gestellt werden könnten.

Ich halte es daher für notwendig gegenüber den Krankenkassen, gegenüber der Öffentlichkeit, gegenüber den anderen Fächern nachzuweisen, dass das, was wir in der Psychotherapie leisten, tatsächlich einen Wert hat, eine nachhaltige Wirkung – und zwar unter den Bedingungen unseres Versorgungssystems. Wir hatten bisher die Zuversicht, dass dies der Fall ist. Im bisherigen System, also dem alleinigen Gutachterverfahren, haben wir eben genau dies nicht und das ist eine ganz klare Schwäche. Es gibt keine Evaluation z. B. über einen Zeitraum von ca. einem halben Jahr oder einem Jahr nach Therapie o. Ä. Ob der G-BA es schafft, diese Probleme zu lösen, weiß ich nicht. Ich hoffe aber sehr, dass man dort zu einem guten Abschluss kommt.

Ansonsten hat ja das TK-Modell die Hypothese, dass Evaluation und Rückmeldung zu besseren Ergebnissen führt, nicht verifizieren können. Es gibt sogar ein leichtes Plus für das Gutachterverfahren. Es gibt aber starke Kräfte auf der Kassenseite und auch bei den Psychotherapeuten, die das Gutachterverfahren abschaffen wollen. Die DPtV, der ich angehöre, zählt ja zu denjenigen, die es nicht abschaffen, sondern vereinfachen bzw. erleichtern wollen, das halte ich auch für notwendig.

Was heißt vereinfachen?

Ein Vorschlag lautet, den Befreiungstatbestand zu erhöhen, also wenn man so und so viele Therapien gemacht bzw. Anträge gestellt hat, dass dann die zu beantragende gutachterfreie Stundenzahl erhöht wird bzw. die Zahl der Bewilligungsschritte reduziert wird. Also z. B. in der VT, der Bewilligungsschritt von 15 Sitzungen, den kann man schon als obsolet betrachten.

Oder die Idee, dass man begründet schon sehr früh eine größere Sitzungsanzahl bewilligt bekommt, um sich dann eben weitere Gutachterberichte zu ersparen, was ja bei schweren Erkrankungen denkbar ist. Der Status quo ist aus meiner Sicht jedenfalls nicht mehr zu halten. Das Verfahren ist insgesamt 40 Jahre alt und sollte überdacht werden. Dabei sollte es keinesfalls grundsätzlich infrage gestellt werden, so sieht das auch mein Berufsverband. Die KBV tut dies nach meiner Kenntnis auch nicht, wobei der Vorstand sich dazu noch nicht konkret geäußert hat.

Aber der Grundsatz weniger Bürokratie, mehr Transparenz und Evaluation und vor allen Dingen, wenn es zu Belastungen kommt, dass diese von den Kassen finanziert werden müssen, das fordert auch die KBV.

Also die Kompromisslinie wäre, dass dann auch die Krankenkassen ein bisschen sparen, nämlich an den Honoraren für die Gutachter, weil es dann einfach weniger Gutachten gäbe.

Genau. Ein anderes Modell, das nach meiner Kenntnis diskutiert wird, ist das Stichprobenmodell. Das bedeutet, dass man nicht in jedem Fall ein Gutachten braucht, sondern nur noch in Stichproben.

Das im TK-Modell getestete Monitoring, also eine zusätzliche psychometrische Begleitung der Behandlung, wird ja auch im GBA diskutiert. Damit sind wir dem Schritt, Verlauf und Ergebnis zu evaluieren, natürlich näher gekommen. Diese fallbezogene, individuelle Betrachtung halte ich persönlich für essenziell.

Eine alleinige Qualitätssicherung, wie sie Indikatoren darstellen, die keine inhaltliche Aussage macht, sondern indizierte Handlungsschritte zählt, halte ich dagegen für gefährlich, weil Psychotherapie immer eine ganz individuelle, patientenbezogene Angelegenheit ist und bleiben muss. Deswegen brauchen Sie am Ende ein Verfahren, das den einzelnen Krankheitsfall zum Gegenstand hat und nicht irgendeine Indikation, und was man dergleichen im Allgemeinen tut. Das wäre zu wenig.

Die Frage bleibt, wie schon gesagt: Was passiert mit den Daten?
Klar ist, wenn die Evaluation unmittelbare Konsequenzen hätte, dann würden alle in der QS Erfahrenen von einem solchen Vorgehen dringend abraten. Das produziert nur schlechte bzw. falsche Daten?
Worum es doch geht, ist, dass der Einzelne im Bezug auf einen spezifischen Patienten und in Bezug auf sich selbst Informationen zurückgespiegelt bekommt. Viele kennen das ja seit Jahren aus der Lehre.

Genau. Das ist schon interessant, wenn ich eine Rückmeldung über eigene Schwächen und Lücken bekomme, zu sehen, wo stehe mit meiner Praxis und meiner Therapie. Gibt es in meiner Tätigkeit kritische Punkte, kann ich eine Weiterbildung o. ä. machen. Das würde der Psychotherapie insgesamt mehr Respekt einbringen. Es gibt ja in der politischen Diskussion durchaus Stimmen, die Zweifel haben, ob Psychotherapie überhaupt wirkt, immer noch.

60 Jahre nach Eysenck …

Ja, und ich denke, wir tun gut daran darzulegen, dass das, was wir tun, ein wichtiger Beitrag im Gesundheitswesen ist. Man soll das nicht unterschätzen. In Zeiten des knappen Geldes wird diese Diskussion immer wieder geführt.

Deswegen ist es für Psychotherapeuten eine Art Lebensversicherung, nicht nur gut zu arbeiten, sondern das auch zu dokumentieren und – siehe Transparenzgebot – zu zeigen.

Jetzt komme ich schon zum letzten Bereich, der etwas mit der Auseinandersetzung mit dem gesellschaftlichen Umfeld, vielleicht auch mit dem ärztlich-therapeutischen Umfeld und der Infragestellung der Psychotherapie zu tun hat. Es wird in der letzten Zeit ja viel diskutiert, hinsichtlich zu wenig Psychotherapeuten bei steigender Inanspruchnahme. Es ist ja klar, dass epidemiologisch wichtige Prävalenzen zunehmen und die Schwelle der Menschen, die krank sind, Praxen aufzusuchen, sinkt.
Wie werden sich die Bedarfszahlen in der Psychotherapie entwickeln? Wo sind da gerade die Frontlinien der Auseinandersetzung?

Mittlerweile wird von niemandem mehr infrage gestellt, dass es mehr Sitze geben wird, dass es einen Bedarf gibt. Der wird bei mindestens 2500 neuen Sitzen liegen. Je nachdem, wie die künftige Bedarfsplanung aussieht, schwankt der zusätzliche Bedarf zwischen 2500 und 8000 Sitzen, das ist noch ein bisschen spekulativ, aber es ist unbestritten, dass es zusätzlichen Bedarf gibt.

Das ist aber gleichzeitig das Problem: Denn wenn man sagt, da gibt es einen zusätzlichen Bedarf muss man auch die Frage beantworten, wie dieser bitteschön finanziert werden soll. Da kommt man ganz rasch in eine schwierige Diskussion. Und eine KBV kann es sich nicht leisten, vor dieser Frage die Augen zu verschließen, auch ich nicht.

Und deswegen habe ich nach der Vertreterversammlung vom 30. September 2011 einen Brief an Herrn Bundesminister Daniel Bahr geschrieben, die Beschlüsse der Vertreterversammlung, wonach man unsere Leistungen ausbudgetiert, zu berücksichtigen. Dies hätte zur Folge, dass die Krankenkassen, die ja diese Therapie genehmigen, sie auch finanzieren.

Diese Option ist aber jetzt infolge des „Schäuble-Briefes“ weg vom Fenster. Ich habe heute Morgen bei der Staatssekretärin Ulrike Flach das Thema nochmals angesprochen: Wir kriegen diese Regelung politisch nicht durch, das wird leider nicht gelingen.

Dass es einen Budget-Aufwuchs gibt?

Nein, dass die Leistungen der Psychotherapie ausbudgetiert werden und damit außerhalb der morbiditätsorientierten Gesamtvergütung liegen und durch die Kassen zusätzlich zu finanzieren sind. Hinzu kommt, dass das Bundesministerium für Gesundheit selbst, auch das habe ich heute Morgen gesagt, uns aufgefordert hat, in Sachen Missbrauchsopfer tätig zu werden. Das ist ja von Frau Bergmann und der von ihr eingesetzten Arbeitsgruppe gefordert worden, wir sollten doch die Versorgung dieser Patienten verbessern, vor allem dadurch, dass man unnötige Wartezeiten nicht weiter im System hat. Dafür wiederum braucht man mehr Psychotherapeuten und das kostet zusätzliches Geld.

Das ist genau das, was das Leben in diesem Hause so schwer macht, wenn von überall der Wunsch kommt: macht mehr. Wenn man den Wunsch umsetzt und dann die Finanzen fehlen, und das dann zulasten anderer Fachgruppen geht, dass geht natürlich nicht. Wenn man aber anerkennt, dass es einen Bedarf gibt, diesen Bedarf auch politisch anerkennt, dann muss man ihn bitteschön auch finanzieren. Schäuble hin, Schäuble her.

Das ist ganz klar auch meine Position, nur mit der sind wir nicht durchgedrungen oder werden nicht durchdringen. Ich habe die Befürchtung, dass uns hier die Politik im Regen stehe lässt und sagt, das müsst ihr halt in den Regionen mit den Kassen nachverhandeln. Die gesetzlichen Grundlagen werde es dafür geben, angeblich. Das sieht man bei den Experten der KBV aber anders. Deswegen gab es diese Forderung, diesen Mehrbedarf, von dem alle Welt redet, auch die Krankenkassen seit 2002 in jedem Report, bitteschön auch zusätzlich zu finanzieren.

Eine Strategie seitens der Krankenkassen ist ja zu sagen, wir flexibilisieren das psychotherapeutische Angebot und haben dann z. B. durch genauere, gezieltere Therapieangebote, die aber auch kürzer und effektiver sind, die Möglichkeit mehr Patienten psychotherapeutisch zu behandeln. Stichwort: Selektiverträge …

Selektivverträge halte ich dann für sinnvoll, wenn sie Add-on-Verträge sind, d. h. wenn für ein bestimmtes Krankheitsbild oder bestimmte Verfahren zusätzliche Möglichkeiten geschaffen werden. Wie bisher in Baden-Württemberg oder Nordrhein z. B. für ADHS, so etwas halte ich für sinnvoll. Für gefährlich halte ich Verträge, wie sie jetzt in Baden-Württemberg geschlossen wurden, die einen Kollektivvertrag förmlich ersetzen sollen, die zudem auch noch in der ganzen Fläche wirken.

Das ist ja kein Selektivvertrag, der Versorgung in einer bestimmten Fragestellung verbessert, sondern dieser Vertrag ist ja als Alternative zur Regelversorgung formuliert, zum Kollektivvertrag.

Wobei in dem Moment, so wie ich es verstanden habe, wo es noch genügend Kollegen gibt, die in der Regelversorgung, sprich in der Richtlinien-Psychotherapie tätig sind, keine große Gefahr besteht, weil ja jeder Patient für sich entscheiden kann, trotzdem Richtlinientherapie zu machen.

Das ist völlig richtig. Aber in diesem Selektivvertrag sind nun einige Dinge gemacht worden, die in der Profession aus meiner Sicht noch nicht ausreichend diskutiert sind. Sie können in einem solchen Selektivvertrag vom gesamten Kapitel 4 des SGB V abweichen. Das heißt, von allen Richtlinien, die wir überhaupt haben, also auch von den Psychotherapierichtlinien.

So hat man die Antrags- und Genehmigungspflicht in diesem Vertrag nicht mehr, auch das Gutachterverfahren entfällt. Da freuen sich viele darüber, weil sie sich entlastet fühlen, kann man ja auch verstehen. Aber sie haben eben auch die bisherigen Kontingente nicht mehr. Das hört bei 60 auf und danach kommt dann evtl. eine lebenslange, unterstützende Therapie. Klar ist aber, wir haben mit demselben Geldvolumen mehr Durchlauf.

Dann ist es so kalkuliert, dass man anfangs einer Therapie sogar ein höheres Vergütungsniveau zahlen kann, das macht die Sache natürlich zusätzlich attraktiv.

Aber was man auch bedenken muss, es gilt hier nicht mehr der Verfahrensbezug, sondern der Indikationsbezug. Damit meine ich, die Logik, die wir in der Richtlinie haben, dass jedes Verfahren das gesamte Spektrum der Krankheiten behandeln kann, eben den Indikationskatalog der Richtlinien, diese Logik ist hier aufgegeben.

Stattdessen haben Sie bei bestimmten Erkrankungen eine Zuordnung der Verfahren, nach Evidenz. Das ist nun etwas, was die Psychotherapie, so wie wir sie 40 Jahre in Deutschland hatten, natürlich massiv verändern würde, bis hin zur Ausbildung, die ja immer noch den Verfahrensbezug kennt.

Auch in der Ärzteweiterbildung ist immer noch der Verfahrungsbezug da. Wir wären dann auf dem Weg zu einer Allgemeinen Psychotherapie. Das kann man wollen. International gibt es ja auch diese Vorstellung, aber es ist nicht diese Art von Psychotherapie, die wir seit 40 Jahren in der Richtlinie hatten, und die Auswirkungen, die damit verbunden sind, die müssen eben auch benannt werden.

Fest steht: Es soll am Ende für dasselbe Geld kürzer und schneller behandelt werden. Psychotherapie zu beschleunigen ist aber eine heikle Geschichte, weil sie möglicherweise Ergebnisse bekommen, deren Nachhaltigkeit nicht so besonders ausfällt.

Na ja, da würde ich jetzt als Therapieforscher sagen, das kann man ja empirisch anschauen, ob das wirklich so ist.

Aber deswegen ist es so wichtig, dass man aus der konkreten Versorgungsrealität überhaupt Daten hat. Die haben wir bisher nicht.

Im TK-Projekt sind ein paar Daten zusammengekommen.

Aber auch Sie wissen, wenn man das unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten dem G-BA vorlegen würde, würde der sagen, nicht verwertbar. Das hat er auch so gemacht, weil es eben verschiedene methodische Schwächen gibt. Das sehen viele anders, das weiß ich. Ich bin kein Therapieforscher, weiß nur, dass die Einschätzungen kontrovers sind.

Das TK-Modell ist aber insofern eine tolle Sache, als eine Krankenkasse tatsächlich das Geld aufgebracht hat, überhaupt einmal so eine Fragestellung zu initiieren. Das ist an sich schon wertvoll. Aber das Projekt als eine Versorgungsstudie zu betrachten, dafür reicht die methodische Qualität wohl nicht aus.

Also, die Zeiten mehr oder weniger geschlossener psychotherapeutischer „Communities“, die ihre Therapien anbieten, gehen evtl. zu Ende und die Forderung, dass sie sich unter Beweis stellen, wird immer stärker.

Das wird wohl so sein und ich halte es auch für notwendig, wenn man das eigene Fachgebiet absichern will.

In der heutigen politischen Diskussion, bei diesen engen finanziellen Mitteln und dem Druck, den die Krankenkassen mit den Zusatzbeiträgen haben, muss das unser Interesse sein.

Daher sollten wir als Psychotherapeuten nicht nur Gutes tun, sondern es eben auch nachweisen.

Lieber Herr Weidhaas, ganz vielen Dank, ich denke, das war ein schönes Schlusswort.

1 Interview wurde am 23.11.2011 geführt.

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