Aktuelle Ernährungsmedizin 2011; 36(06): 337-340
DOI: 10.1055/s-0031-1292810
Kommentar
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Abbildung von Mangelernährung und Ernährungstherapie im DRG – 2012

Malnutrition and Nutritional Therapy in the 2012 German Diagnosis Related Groups System
J. Ockenga
Deutsche Gesellschaft für Ernährungsmedizin, Medizinische Klinik II m. S. Gastroenterologie, Endokrinologie und Ernährungsmedizin, Klinikum Bremen Mitte
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02 December 2011 (online)

Mangelernährung ist ein häufiges klinisches Problem mit relevantem Einfluss auf das klinische Outcome unserer Patienten. Es gibt gute Evidenz, dass ernährungsmedizinische Interventionen Morbidität und Mortalität der mangelernährten Patienten reduzieren bzw. verhindern können. Um eine adäquate Ernährungstherapie umsetzen zu können, bedarf es entsprechender Strukturen und Ressourcen.

Unter dem Eindruck eines gedeckelten Gesundheitsbudgets ist es unumgänglich, dass die vorhandenen Ressourcen gemäß ihrer medizinischen Notwendigkeit abgebildet und verteilt werden. Auch ernährungsmedizinische Diagnosen und Prozeduren müssen sich im ambulanten und stationären Bereich diesem System stellen.

Für die Vergütung der allgemeinen Krankenhausleistungen wurde für die deutschen Krankenhäuser gemäß § 17b Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG) ein durchgängiges, leistungsorientiertes und pauschalierendes Vergütungssystem eingeführt. Grundlage hierfür bildet das G-DRG-System (German-Diagnosis Related Groups-System), wodurch jeder stationäre Behandlungsfall mittels einer entsprechenden DRG-Fallpauschale vergütet wird.

Die Aufgaben im Zusammenhang mit der Einführung, Weiterentwicklung und Pflege des neuen Vergütungssystems haben die Selbstverwaltungspartner im Gesundheitswesen – die Deutsche Krankenhausgesellschaft, die Spitzenverbände der Krankenkassen und der Verband der privaten Krankenversicherung – der InEK GmbH (Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus) als deutsches DRG-Institut übertragen. Die Selbstverwaltungspartner nach § 17b KHG haben für die erfolgreiche Weiterentwicklung des G-DRG-Klassifikationssystems und zur Förderung dessen Akzeptanz ein Vorschlagsverfahren eingerichtet, welches es den Fachgesellschaften erlaubt, in einen strukturierten Dialog zur Einbindung des medizinischen, wissenschaftlichen und weiteren Sachverstandes mit dem InEK zu treten (www.g-drg.de).

Die Deutsche Gesellschaft für Ernährungsmedizin hat sich auch dieses Jahr – wie in den Jahren davor – an diesem Dialog beteiligt. Für 2012 wurden zum einen Vorschläge zur weiteren Konkretisierung der Diagnose Mangelernährung im ICD-10-GM eingebracht, zum anderen eine differenzierte Abbildung der künstlichen enteralen und parenteralen Ernährung während einer stationären Behandlung vorgeschlagen. Diese Initiativen wurden zusammen mit der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie, der Deutschen Gesellschaft für Gerontologie und Geriatrie e. V. sowie dem Bundesverband Geriatrie e. V., und zum Vorschlag Diagnose Mangelernährung zusätzlich mit der Deutschen Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselerkrankung, der Sektion Metabolismus und Ernährung der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI), der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP), der Deutsche Sepsisgesellschaft e. V., der Deutschen Sepsis-Hilfe e. V., der Arbeitsgemeinschaft Ernährungsmedizin der Deutschen Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) und der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie (DGHO) durchgeführt.

Im Januar 2011 fand ein sehr konstruktives Treffen mit Vertretern der Fachgesellschaften und des DIMDI (Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information) in der Geschäftstelle der DGEM in Berlin statt.

Die daraus resultierenden, modifizierten Vorschläge zur Codierung der Mangelernährung bzw. Ernährungsstörungen wurden vom DIMDI nicht übernommen. Hier gelten auch 2012 die in [Tab. 1] dargestellten ICD-10-GM-Codes. Der Vorschlag für 2012 versuchte unter anderem, den ungewollten Gewichtsverlust stärker als bisher als Kriterium der Mangelernährung zu etablieren. Kritisch vom DIMDI wurde hierbei insbesondere das Problem der (vorklinischen) Dokumentation des Körpergewichts gesehen und damit die Validität der Angaben zum Gewichtsverlauf. Es bleibt anzumerken, dass die jetzige und damit für 2012 gültige Definition der Mangelernährung ([Tab. 1]) durchaus auch das Kriterium des Gewichtsverlustes beinhaltet, allerdings lässt die vorliegende Erläuterung einen großen Raum für Interpretation, was viele aufgrund von Diskussionen mit dem Medizinischen Dienst der Krankenkassen sicherlich bestätigen können. Daher ist es dringend empfehlenswert, das Körpergewicht bzw. die Gewichtsentwicklung der Patienten gut zu dokumentieren.

Tab. 1

Mögliche ICD-10-GM-Version 2012 Diagnosencodes zur Erfassung von Mangelernährung oder Ernährungsproblemen im Deutschen DRG-System (Vorabversion 2012 unter www.dimdi.de/static/de/klassi/diagnosen/icd10/htmlgm2012).

Diagnosecode

Diagnose

Definition/Definition inkl.

exklusive

E40–E46

Hinweis: Der Grad der Unterernährung wird gewöhnlich mittels des Gewichts ermittelt und in Standardabweichungen vom Mittelwert der entsprechenden Bezugspopulation dargestellt. Liegen eine oder mehrere vorausgegangene Messungen vor, so ist eine fehlende Gewichtszunahme bei Kindern bzw. eine Gewichtsabnahme bei Kindern oder Erwachsenen in der Regel ein Anzeichen für eine Mangelernährung.

Liegt nur eine Messung vor, so stützt sich die Diagnose auf Annahmen und ist ohne weitere klinische Befunde oder Laborergebnisse nicht endgültig. In jenen außergewöhnlichen Fällen, bei denen kein Gewichtswert vorliegt, sollte man sich auf klinische Befunde verlassen. Bei Gewichtswerten unterhalb des Mittelwertes der Bezugspopulation besteht mit hoher Wahrscheinlichkeit dann eine erhebliche Unterernährung, wenn der Messwert 3 oder mehr Standardabweichungen unter dem Mittelwert der Bezugspopulation liegt; mit hoher Wahrscheinlichkeit eine mäßige Unterernährung, wenn der Messwert zwischen 2 und weniger als 3 Standardabweichungen unter diesem Mittelwert liegt, und mit hoher Wahrscheinlichkeit eine leichte Unterernährung, wenn der Messwert zwischen 1 und weniger als 2 Standardabweichungen unter diesem Mittelwert liegt.

  • alimentäre Anämien (D50-D53)

  • Folgen der Energie- und Eiweißmangelernährung (E64.0)

  • Hungertod (T73.0)

  • intestinale Malabsorption (K90.-)

  • Kachexie infolge HIV-Krankheit [Slim disease] (B22)

E40

Kwashiorkor

erhebliche Mangelernährung mit alimentärem Ödem und Pigmentstörung der Haut und der Haare

Kwashiorkor-Marasmus (E42)

E41

alimentärer Marasmus

inkl. erhebliche Mangelernährung mit Marasmus

Kwashiorkor-Marasmus (E42)

E42

Kwashiorkor-Marasmus

inkl. erhebliche Energie- und Eiweißmangelernährung [wie unter E43 aufgeführt]:

  • intermediäre Form

  • mit Anzeichen von Kwashiorkor und Marasmus gleichzeitig

E43

nicht näher bezeichnete erhebliche Energie- und Eiweißmangelernährung

erheblicher Gewichtsverlust [Unterernährung] [Kachexie] bei Kindern oder Erwachsenen oder fehlende Gewichtszunahme bei Kindern, die zu einem Gewichtswert führen, der mindestens 3 Standardabweichungen unter dem Mittelwert der Bezugspopulation liegt (oder eine ähnliche Abweichung in anderen statistischen Verteilungen). Wenn nur eine Gewichtsmessung vorliegt, besteht mit hoher Wahrscheinlichkeit eine erhebliche Unterernährung, wenn der Gewichtswert 3 oder mehr Standardabweichungen unter dem Mittelwert der Bezugspopulation liegt. Inkl. Hungerödem

E44.-

Energie- und Eiweißmangelernährung mäßigen und leichten Grades

E44.0

mäßige Energie- und Eiweißmangelernährung

Gewichtsverlust bei Kindern oder Erwachsenen oder fehlende Gewichtszunahme bei Kindern, die zu einem Gewichtswert führen, der 2 oder mehr, aber weniger als 3 Standardabweichungen unter dem Mittelwert der Bezugspopulation liegt (oder einer ähnlichen Abweichung in anderen statistischen Verteilungen). Wenn nur eine Gewichtsmessung vorliegt, besteht mit hoher Wahrscheinlichkeit eine mäßige Energie- und Eiweißmangelernährung, wenn der Gewichtswert 2 oder mehr, aber weniger als 3 Standardabweichungen unter dem Mittelwert der Bezugspopulation liegt.

E44.1

leichte Energie- und Eiweißmangelernährung

Gewichtsverlust bei Kindern oder Erwachsenen oder fehlende Gewichtszunahme bei Kindern, die zu einem Gewichtswert führen, der 1 oder mehr, aber weniger als 2 Standardabweichungen unter dem Mittelwert der Bezugspopulation liegt (oder einer ähnlichen Abweichung in anderen statistischen Verteilungen). Wenn nur eine Gewichtsmessung vorliegt, besteht mit hoher Wahrscheinlichkeit eine leichte Energie- und Eiweißmangelernährung, wenn der Gewichtswert 1 oder mehr, aber weniger als 2 Standardabweichungen unter dem Mittelwert der Bezugspopulation liegt.

E45

Entwicklungsverzögerung durch Energie- und Eiweißmangelernährung

inkl.: alimentär:

  • Entwicklungshemmung

  • Kleinwuchs

körperliche Retardation durch Mangelernährung

R46

nicht näher bezeichnete Energie- und Eiweißmangelernährung

Inkl.: Mangelernährung o. n. A. Störung der Protein-Energie-Balance o. n. A.

R63.-

Symptome, die die Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme betreffen

  • Bulimie o. n. A. (F50.2)

  • Essstörungen nichtorganischen Ursprungs (F50.-)

  • Mangelernährung (E40-E46)

R63.0

Anorexie

inkl.: Appetitverlust

  • Anorexia nervosa (F50.0)

  • Appetitverlust nichtorganischen Ursprungs (F50.8)

R63.3

Ernährungsprobleme und unsachgemäße Ernährung

inkl.: Ernährungsproblem o. n. A.

  • Ernährungsprobleme beim Neugeborenen (P92.-)

  • Fütterstörung nichtorganischen Ursprungs beim Kleinkind (F98.2)

R63.4

abnorme Gewichtsabnahme

R63.6

ungenügende Aufnahme von Nahrung und Flüssigkeit infolge Vernachlässigung der eigenen Person

  • Verhungern infolge Anorexie (R63.0)

  • Verhungern infolge Nahrungsmittelmangels (T73.0)

  • Verdursten infolge Flüssigkeitsmangels (T73.1)

  • Vernachlässigung der eigenen Person o. n .A. (R46.8)

R63.8

sonstige Symptome, die die Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme betreffen

Erfreulicherweise konnte jedoch erreicht werden, dass ab 2012 eine künstliche enterale und parenterale Ernährung auch dann als eigenständige Prozedur erfasst wird, wenn sie als medizinische Nebenbehandlung im stationären Umfeld erfolgt. Die genauen Details sind in [Tab. 2] aufgeführt. Damit kann jetzt zum ersten Mal der Mehraufwand für eine künstliche enterale oder parenterale Ernährung als Teil einer multimodalen Therapie im stationären Umfeld außerhalb der Intensivstationen als kostenintensive Therapie differenziert abgebildet werden.

Tab. 2

OPS-2012 Prozeduren-Codes für die Abbildung einer künstlichen enteralen und parenteralen Ernährung im DRG System 2012 (Vorabversion 2012 einsehbar unter www.dimdi.de/static/de/klassi/prozeduren/ops301/opshtml2012/index.htm). Die neu ab 2012 verfügbaren OPS-Codes sind kursiv hinterlegt.

Prozeduren-Code

Definition

Hinweis

8–015

enterale Ernährungstherapie als medizinische Hauptbehandlung

die Erstellung des Behandlungsplans ist im Code enthalten

8–015.0

über eine Sonde

8–015.1

über ein Stoma

8–015.2

therapeutische Hyperalimentation

8–015.x

sonstige

8–015.y

N.n.bez.

8–016

parenterale Ernährungstherapie als medizinische Hauptbehandlung

die Erstellung des Behandlungsplans ist im Code enthalten

8–017

enterale Ernährung als medizinische Nebenbehandlung

Bei intensivmedizinisch behandelten Patienten ist ein Code aus diesem Bereich nicht anzugeben. Die Erstellung des Behandlungsplans ist im Code enthalten. Die enterale Ernährung erfolgt über eine Sonde bzw. ein Stoma

8–017.0

mindestens 7 bis höchstens 13 Behandlungstage

8–017.1

mindestens 14 bis höchstens 20 Behandlungstage

8–017.2

mindestens 21 Behandlungstage

8–018

komplette parenterale Ernährung als medizinische Nebenbehandlung

bei intensivmedizinisch behandelten Patienten ist ein Code aus diesem Bereich nicht anzugeben. Eine komplette parenterale Ernährung enthält die Makronährstoffe Glukose, Fette und Aminosäuren und die Mikronährstoffe fett- und wasserlösliche Vitamine und Spurenelemente. Die Erstellung des Behandlungsplanes ist im Code enthalten. Die parenterale Ernährung erfolgt zentralvenös

8–018.0

mindestens 7 bis höchstens 13 Behandlungstage

8–018.1

mindestens 14 bis höchstens 20 Behandlungstage

8–018.2

mindestens 21 Behandlungstage

Jetzt ist es wichtig, diese Codes auch anzuwenden, da in 2013 eine retrospektive Betrachtung und Kostenkalkulation der 2012 erhobenen Daten erfolgen wird. Danach wird endgültig entschieden, ob diese Codes Bestand haben werden. Allen Anwendern empfehlen wir dringend, die mit einer künstlichen Ernährung assoziierten Kosten den einzelnen Patienten zu zuordnen – wie es zum Beispiel bei Blutkonserven in deutschen Krankenhäusern regelhaft erfolgt. Insbesondere die Kalkulationshäuser müssen dies zeitnah umsetzen, da hier die Basisdaten für die Erlöskalkulation erhoben werden.