Ultraschall Med 2011; 32(1): 107-108
DOI: 10.1055/s-0030-1270868
ÖGUM-Mitteilungen

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Editorial – Wrongful Birth – Schritt in die richtige Richtung?

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Publication Date:
14 February 2011 (online)

 

Für 1. Juli 2011 ist ein neues Gesetz geplant, das klarstellen soll, dass die Geburt eines behinderten Kindes keinen „Schaden“ darstellt. Diese Gesetzesänderung wurde nötig, da die derzeitige Rechtssprechung missverständlich ist. In mehreren Urteilen des Obersten Gerichtshofes wurden sowohl Ärzte als auch Krankenanstalten zu extrem hohen Geldbeträgen verurteilt. Diese waren als Ersatz für die vermehrten Aufwendungen gedacht, die bei behinderten Kindern anfallen. 1999 wurde den Eltern erstmals ein solcher Mehraufwand zugesprochen. 2008 ging man einen Schritt weiter. Es wurde den Eltern vom obersten Gerichtshof sogar der volle Ersatz für Basisunterhalt und Mehraufwand zugesprochen, da sie argumentierten, sie hätten die Schwangerschaft beendet, wenn sie rechtzeitig darüber aufgeklärt worden wären. Allein für die ersten viereinhalb Lebensjahre machten die Eltern 204.578,52 € geltend! Keine Frage, dass solche gewaltigen Summen Begehrlichkeiten wecken. Seither kam es zu einer großen Anzahl ähnlicher Klagen, schließlich kann ein solches Urteil im günstigen Fall zu einer lebenslangen finanziellen Absicherung führen.

Obwohl die Gesetzeskundigen in ihren Stellungnahmen reflexartig klarstellen, dass die Geburt und Existenz eines Kindes niemals ein Schaden sein kann, müssen sie einräumen, dass die derzeitige Rechtssprechung missverständlich ist. Es ist schwer zu erklären, dass nach geltendem Recht die Geburt eines behinderten Kindes Schadensansprüche für den Arzt auslösen kann, auch wenn das Verhalten des Arztes die Behinderung nicht schuldhaft herbeigeführt hat. Zudem führt die heutige Rechtsprechung zu geradezu demaskierenden Folgen: Der volle Schadensersatz steht den Eltern nämlich nur dann zu, wenn sie erklären, dass sie eine Beendigung der Schwangerschaft hätten vornehmen lassen, wäre ihnen der Befund einer Behinderung zur Kenntnis gekommen. Sagen die Eltern hingegen, sie hätten die Schwangerschaft nicht beendet, dann steht kein Schadenersatzanspruch zu. Es ist klar, wozu ihnen ihre Anwälte raten werden.

Die vorgeschlagene Regelung stellt zuallererst klar, dass aus der Geburt eines gesunden oder behinderten Kindes keine Schadensansprüche entstehen können, sofern dem behandelnden Arzt keine Schuld an der Entstehung und dem Schweregrad der Behinderung trifft. Nun versteht sich wohl von selbst, dass der Arzt in den allermeisten Fällen nicht daran „schuld“ ist, wenn ein behindertes Kind geboren wird. Die Behinderung ist ohne Zutun des Arztes im Laufe der Schwangerschaft entstanden. Dank seiner Kenntnisse der Pränataldiagnostik aber kann der Arzt die Behinderung oft rechtzeitig entdecken! Daraus erhebt sich die Frage, ob er auch schuldlos ist, wenn eine leicht entdeckbare Behinderung unentdeckt bleibt, weil er nicht sorgfältig genug gearbeitet hat? Das ist der eigentliche Kern des Problems! Führt die neue Regelung dazu, dass pränataldiagnostisch tätige Ärzte so etwas wie einen Freibrief bekommen? Gemeint ist nicht ein Freibrief für Behandlungsfehler in der pränatalen Medizin – dafür wäre der Arzt ja weiterhin haftbar – auch nicht für Gynäkologie und Geburtshilfe, sondern ein Freibrief ausschließlich für Haftungsfragen in der Pränataldiagnostik, wenn den Arzt kein ursächliches Verschulden trifft. Würde so ein Freibrief bewirken, dass gerade auf diesem Sektor nicht mehr so sorgfältig und nach letztem Stand des Wissens gearbeitet wird wie bisher? Warum akkurates, zeitraubendes Messen der „nuchal translucency“ im 1. Trimenon, warum das mühsame jährliche Überprüftwerden durch einen ausländischen Verein, warum korrektes Darstellen und Dokumentieren des fetalen Herzens in mehreren standardisierten Ebenen? Das übersehene Down-Syndrom-Kind, der übersehene Herzfehler sind kein Schaden, sind vom Arzt nicht verursacht, die Messungen können also gerne weniger präzise, die Dokumentation lückenhaft oder gar fehlend, die Beratung oberflächlich sein. Das ist wohl kaum der Weg, den der Gesetzgeber wirklich einschlagen will. Wir leben in einer Zeit mit zunehmend höheren Qualitätsanforderungen. Diese spiegeln sich in den präzisen Vorgaben der FMF, wie die NT zu messen ist, beispielhaft wider. Aber auch in den genauen Listen, die in den letzten Jahren in Deutschland und Österreich veröffentlicht wurden und die angeben, welche Schnitte für ein suffizientes Organ-Screening einzustellen und zu dokumentieren sind. Das und die schärferen Vorgaben der Rechtsprechung haben dazu geführt, dass man in den Beratungsgesprächen klar darlegen muss, was nach heutigem Stand des Wissens möglich ist und ob man auch über die dafür nötige Qualifikation verfügt. Es ist nicht vorstellbar von diesem hohen Standard abzugehen. Die Gutachter werden nach wie vor darauf achten, ob nach den publizierten Richtlinien untersucht, dokumentiert und aufgeklärt wurde. Obendrein bleibt die Pflicht bestehen, über die Möglichkeit der Behinderung eines Kindes zu sprechen, wie der Sektionschef im Justizministerium Georg Kathrein im Rahmen der Pressekonferenz von Frau Minister Bandion-Ortner erklärt hat. Er bezeichnete sie sogar als „Kardinalspflicht“. Das heißt, die Ärzte werden weiter detailliert beschreiben müssen, dass es Fehlbildungen gibt, welche Untersuchungsmöglichkeiten zu ihrer Entdeckung zur Verfügung stehen und wer sie mit welcher Qualifikation anbietet.

Richtungweisend wäre eine Gesetzesänderung dann, wenn sie zur Ausdehnung der Aufklärung vor Beginn der Pränataldiagnostik führt. Seit der von vielen als besonders problematisch angesehenen OGH-Entscheidung 2006 (Salzburg), fühlen sich die Ärzte unter dem besonderen Druck, über alle nur denkbaren Verästelungen der fetalen Entwicklung aufzuklären. Die Schwangeren werden damit extrem verunsichert und diese Angst kann die Freude an dem werdenden Kind überlagern. Sollte eine Gesetzesänderung gerade hier zur Beruhigung führen, könnte das auch Frauenministerin Heinisch-Hosek zur Zustimmung bringen. Allerdings ist richtig dosierte Aufklärung immer schwierig, besteht sie doch darin, auf jene Frauen Rücksicht zu nehmen, die nicht alles wissen wollen und jene ehrlich zu informieren, die auch die schlimmsten Konsequenzen, den „worst case“, kennen wollen. Zudem ist Aufklärung, auch wenn sie in bester Absicht durchgeführt wird, immer unvollkommen. Wie sehr, sehen wir gerade am fetalen Gehirn. Zum Zeitpunkt des Organ-Screenings, also in der 20.–22. Schwangerschaftswoche, besteht das Risiko, dass unsere Prognosen selbst bei Zuhilfenahme modernster Techniken und letzter Erkenntnisse immer wieder falsch sein können und damit zu nicht gerechtfertigten Schwangerschaftsbeendigungen führen. Diese problematischen Punkte der Aufklärung sollten allen bewusst sein. Wenn dieses Bewusstsein den Weg zu neuen Leitlinien respektvollen Aufklärens weist, so ist die jetzt so emotional aufgeheizte Diskussion sinnvoll.

Ziel der Expertenkommission war es vermutlich, viel unnötige Last von den Schultern der Schwangeren und Ärzte zu nehmen. Das sollte aber nicht dazu führen, dass Pränataldiagnostiker in Zukunft weniger sorgfältig, ja fahrlässig oberflächlich untersuchen dürfen und trotzdem von den Konsequenzen ihres Handelns ausgenommen werden. Wünschenswert wäre, dass das neue Gesetz so formuliert wird, dass es gestattet, die Schwangeren nicht mehr mit negativen Informationen zu überfrachten – es sollte aber auch die begrüßenswerte Entwicklung hin zur mehr Qualität nicht torpedieren! Wie das alles angesichts der unklar definierten und zumeist viel zu spät einsetzenden „Kardinalspflicht zur Aufklärung“ klappen soll, bleibt dahingestellt.

Das Gesetz ist vorerst nur angekündigt. Abzuwarten bleibt, wie es letztlich lauten wird. Wird es genügend Klarheit für Schwangere und Ärzte schaffen, wird es die Entwicklung hin zu höherer Qualität unterstützen und wird es robust genug sein, sich auf der Ebene der europäischen Rechtsprechung zu behaupten?

Erich Hafner
Leiter der Arbeitsgruppe Gyn /Geburtshilfe der ÖGUM

Erich Hafner

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