Z Geburtshilfe Neonatol 2010; 214(3): 126-127
DOI: 10.1055/s-0030-1255068
Leserbrief

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Leserbrief

Aktuelle Ergebnisqualität der Versorgung von Frühgeborenen < 1 500 g Geburtsgewicht als Grundlage für eine Regionalisierung der RisikogeburtenH. Hummler
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eingereicht 19.05.2010

angenommen 19.05.2010

Publication Date:
24 June 2010 (online)

A.Trotter, F. Pohlandt
Z Geburtsh Neonatol 2010; 214: 55 – 61

Mit großem Interesse haben wir den Artikel zur Ergebnisqualität der Versorgung von Frühgeborenen <1 500 g gelesen, in dem die Autoren die im Internet publizierten Ergebnisdaten der einzelnen Kinderkliniken in Baden-Württemberg analysieren und u. a. zu der Schlussfolgerung kommen, dass die Regionalisierung von Frühgeborenen mit einem Geburtsgewicht <750 g und einem Gestationsalter von <26 SSW in große Kliniken zu einer niedrigeren Mortalität beitragen kann [1]. Diese Untersuchung bestätigt frühere Untersuchungen von Bartels et al. [2] und Phibbs et al. [3], die von der Behandlungsfallzahl abhängige Ergebnisqualität bereits vor mehreren Jahren belegt haben.

Die Analyse von Trotter et al. nimmt im Gegensatz zu den oben genannten Untersuchungen [2] [3] keinerlei Adjustierung für peripartale Risikofaktoren vor, und wäre deshalb für die Analyse des „Zusammenhangs zwischen Leistungsmenge und Ergebnis bei der Versorgung von Früh- und Neugeborenen mit sehr geringem Geburtsgewicht” beim Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) wegen hohem Verzerrungspotenzial nicht berücksichtigt worden.

Weiterhin stammen die der Analyse zugrunde liegenden kumulativen Ergebnisdaten leider aus keinem einheitlichen Erfassungszeitraum und können daher zu einer potenziellen Bias durch gezieltes Weglassen älterer Jahrgänge führen.

Die Analyse korrigiert leider nicht für postnatale Verlegungen. Großen Kliniken der Maximalversorgung werden oftmals schwere und komplexe Fälle postnatal zuverlegt und ein Teil der Kinder verstirbt dort aufgrund der schweren Erkrankung. Weiterhin übernehmen die Kliniken der Maximalversorgung auswärtig behandelte Frühgeborene zur operativen Therapie bei Fehlbildungen und bei nekrotisierender Enterokolitis, zur Lasertherapie bei Retinopathie und zur Shuntanlage bei posthämorrhagischem Hydrozephalus. Die Mortalität und Morbidität zuverlegter Kinder wird selbstverständlich in der Ergebnisqualität dieser Kliniken ausgewiesen obwohl sie oftmals hierfür nicht „verantwortlich” sind. Eine Analyse, die diese Verlegungen nicht berücksichtigt, weist den Kliniken der Maximalversorgung methodisch bedingt eine schlechtere Ergebnisqualität zu und verringert damit mögliche Unterschiede zwischen den analysierten Kliniktypen.

Mehrere große Kliniken nehmen seit Jahren nicht kurativ versorgte Kinder in ihre Ergebnisstatistik auf. Dass dieses Vorgehen nicht von allen Kliniken praktiziert wird, wissen wir aus der Tatsache, dass die Anzahl der lebend geborenen, dann aber verstorbenen Frühgeborenen mit einem Geburtsgewicht <1 500 g in der Perinatalstatistik und der amtlichen Geburtenstatistik regelmäßig erheblich höher ist als in der Neonatalerhebung. In diesem Zusammenhang ist es wichtig zu erwähnen, dass im Jahr 2000 in der Neonatalerhebung Baden-Württemberg immerhin noch 70,3% der gestorbenen Frühgeborenen mit einem Geburtsgewicht <1 500 g aus der amtlichen Statistik, und im Jahr 2004 (letztes Jahr vor dem ersten GBA-Beschluss zur neonatologischen Versorgung) noch 67,4% abgebildet waren. Im Jahr 2008 sind jedoch nur noch 51,5% der Todesfälle (mit Geburtsgewicht < 1 500 g) aus der amtlichen Statistik in der Neonatalerhebung abgebildet (Quelle: Statistisches Bundesamt Wiesbaden). Da kaum anzunehmen ist, dass Todesfälle in der im Internet zu publizierenden Statistik aufgeführt, aber in der Neonatalerhebung nicht berichtet werden, muss man die Datengrundlage für die Mortalitätsanalyse generell in Zweifel ziehen.

Die Autoren seien darauf hingewiesen, dass sie beim Vergleich der Mortalität von Frühgeborenen zwischen den Bundesländern in Abb. 4 bedauerlicherweise das Bundesland Bremen zweimal aufgeführt haben: einmal auf Platz 3 und weiterhin auf dem letzten Platz.

Die Studie von Rogowski et al. [4] wird von den Autoren als Argument für die geringe Aussagekraft der Fallzahl als Surrogatmarker für Behandlungsqualität angeführt. Es ist in diesem Zusammenhang wichtig, darauf hinzuweisen, dass Rogowski et al. die Mortalität von freiwillig an einem Netzwerk teilnehmenden Kliniken untersucht hat, die alle eine Fallzahl von mehr als 20 Frühgeborenen <1 500 g Geburtsgewicht pro Jahr behandelt haben. Für noch geringere Fallzahlen kann anhand dieser Studie also keine Aussage getroffen werden.

Die Studie von Tucker wird von den Autoren als Argument für die Bedeutung von strukturellen Randbedingungen verwendet [5]. Die Arbeit von Tucker belegte, dass Neugeborenenintensivstationen (NICUs) mit hoher Fallzahl 1988/1999 in England eine höhere Mortalität zu verzeichnen, allerdings auch kränkere Patienten behandelt hatten. Eine Adjustierung für den Schweregrad der Erkrankung zeigte, dass die höhere Fallzahl nicht mit einer höheren Mortalität vergesellschaftet war. Diese Publikation wurde aber 2003 von einem Expertenpanel im Department of Health zum Anlass genommen, die überlasteten großen NICUs mit einem Sofortprogramm finanziell zu unterstützen. Seit dieser Expertenkonferenz wurde die Anzahl der NICUs mit dem höchsten Versorgungslevel in England gezielt im Sinne einer Regionalisierung von ca. 180 auf derzeit 35 (mit Netzwerkstruktur) abgesenkt. Die Behandlungsgrenze für diese Kliniken liegt bei <28 Schwangerschaftswochen.

Es sei noch darauf hingewiesen, dass Prof. Pohlandt seit 2005 nicht mehr im Universitätsklinikum Ulm tätig ist, und dass die derzeitige Leitung der Ulmer Neonatologie aus den oben genannten Gründen die Schlussfolgerung der Autoren bzgl. Frühgeburten ≥750 g Geburtsgewicht und ≥26 Schwangerschaftswochen für nicht richtig hält.

Literatur

  • 1 Trotter A, Pohlandt F. Aktuelle Behandlungsqualität der Versorgung von Frühgeborenen <1 500 g Geburtsgewicht als Grundlage für eine Regionalisierung der Risikogeburten.  Z Geburtshilfe Neonatol. 2010 Apr;  214 (2) 55-61
  • 2 Bartels DB, Wypij D, Wenzlaff P. et al . Hospital volume and neonatal mortality among very low birth weight infants.  Pediatrics. 2006 Jun;  117 (6) 2206-2214
  • 3 Phibbs CS, Baker LC, Caughey AB. et al . Level and volume of neonatal intensive care and mortality in very-low-birth-weight infants.  N Engl J Med. 2007 May 24;  356 (21) 2165-2175
  • 4 Rogowski JA, Horbar JD, Staiger DO. et al . Indirect vs. direct hospital quality indicators for very low-birth-weight infants.  JAMA. 2004 Jan 14;  291 (2) 202-209
  • 5 Tucker J. UK Neonatal Staffing Study Group . Patient volume, staffing, and workload in relation to risk-adjusted outcomes in a random stratified sample of UK neonatal intensive care units: a prospective evaluation.  Lancet. 2002 Jan 12;  359 (9301) 99-107

Korrespondenzadresse

Prof. Dr. H. Hummler

Leiter Sektion Neonatologie und Pädiatrische Intensivmedizin

Klinik für Kinder- und Jugendmedizin Universitätsklinikum Ulm

89070 Ulm

Phone: +49/0731/500 57168

Fax: +49/0731/500 57108

Email: helmut.hummler@uniklinik-ulm.de

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