Psychiatr Prax 2009; 36(6): 299-300
DOI: 10.1055/s-0029-1239619
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Szene
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Die Pflegevisite als Teil einer modernen sozialpsychiatrischen Behandlung

Harald Hammerl1 , Hermann Spießl1, 2
  • 1Klinik und Poliklinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie der Universität am Bezirksklinikum Regensburg
  • 2Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik, Bezirkskrankenhaus Landshut
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Publication Date:
01 September 2009 (online)

 

Die "Zeit am Patienten" ist für alle in der Psychiatrie Tätigen durch eine überbordende Dokumentation und Administration in den letzten Jahren immer weniger geworden. Maßnahmen für eine effektive und effiziente Patientenversorgung im stationären Bereich sind daher von zunehmender Wichtigkeit. Eine solche Maßnahme könnte in der psychiatrischen Pflege die sog. Pflegevisite darstellen, bei der die zuständige Pflegekraft - analog zur Arztvisite - gemeinsam mit dem Patienten Maßnahmen und Ziele der Pflege regelmäßig bespricht. Mit dem Begriff "Pflegevisite" ist hier also nicht die Pflegevisite als Instrument des Qualitätsmanagements gemeint, bei der zwei Pflegefachkräfte (davon eine in Leitungsfunktion) den Patienten - oft in zeitlich großen Abständen - besuchen und seine Fortschritte sowie den pflegerischen Unterstützungsbedarf einschätzen.

Die Pflegevisite wird werktäglich durch das anwesende Pflegepersonal zu einer festgelegten Zeit am Ende der Therapien durchgeführt. Die Pflegevisite - sie dauert pro Patient zwischen fünf und zehn Minuten - findet in einem ruhigen Raum in angenehmer Atmosphäre statt. Um die Sicherheit der Mitarbeiter zu gewährleisten, wird die Personensicherungsanlage bereit gelegt. In der Pflegevisite haben alle Patienten der Station die Gelegenheit den abgelaufenen Tag "Revue passieren" zu lassen. Ausgangsbasis ist dabei das aktuelle Befinden des Patienten, aber auch das Befinden über den Tag gesehen, was Schwankungen beinhalten kann.

Der Pflegeprozess bildet einen wesentlichen Baustein der Pflegevisite. Die durch die jeweiligen Bezugspflegepersonen festgelegten Pflegemaßnahmen werden gezielt thematisiert. Es wird mit dem Patienten reflektiert, an welchen Therapien teilgenommen wurde, an welchen nicht oder nicht ganz und weshalb. Im Weiteren wird Bezug genommen auf Verbesserungen oder Verschlechterungen des psychischen und/oder körperlichen Zustandes, wobei auch ein längerer Zeitraum reflektiert werden kann.

Durch eine gezielte Gesprächsführung - offen, empathisch und wertschätzend, unter Wahrung der notwendigen Nähe und Distanz (analog zur Gesprächsführung nach Rogers) - wird dem Patienten die Möglichkeit gegeben, sich über den abgelaufenen Tag zu äußern, auf Schwierigkeiten und Leichtigkeiten einzugehen und einen Ausblick zu geben, was er an diesem Tag noch machen möchte, wie er den Abend noch gestalten will.

Ein wichtiges und nicht zu unterschätzendes Element der Pflegevisite in der stationären Psychiatrie ist die gezielte Kontaktförderung zwischen Patienten mit gleich gelagerten Interessen. Häufig kann dem einen oder anderen Patienten ein Mitpatient zum Spaziergang "vermittelt" werden, auch abendliche "Karten-/Kickerspielrunden" oder Gesellschaftsspiele werden durch das Pflegepersonal initiiert oder bereits laufende Freizeitaktivitäten unter den Patienten unterstützt. Es besteht somit die Möglichkeit den Patienten auf Freizeitmöglichkeiten hinzuweisen oder auf "Verknüpfungen" zu anderen Patienten zu verweisen.

Für den Patienten stellt die regelmäßige Pflegevisite oftmals eine Erleichterung dar, weil er die Gewissheit hat, sich am Ende des Tages in jedem Fall gegenüber dem Stationspersonal konkret äußern und seine Wünsche und Bedürfnisse anbringen zu können. So muss der Patient nicht unbedingt nach einer geeigneten Pflegeperson suchen, wenn er seinerseits ein Anliegen anbringen möchte.

Den Pflegenden wird durch die regelmäßige Pflegevisite die Möglichkeit geboten, sich "ein Bild" vom Patienten zu machen. Da zu diesem Zeitpunkt in der Regel noch Ärzte oder Psychologen auf der Station anwesend sind, kann konkret und unmittelbar ggf. auch auf Krisen (z.B. Suizidalität) durch entsprechende Maßnahmen (z.B. Krisengespräch, medikamentöse Therapie, Verlegung) eingegangen werden.

Nicht unerwähnt darf schließlich die angemessene (kurze!) Dokumentation der Pflegevisite bleiben. Sie dient der/dem Bezugsschwester/-pfleger wie auch dem therapeutischen Team als wichtige Informationsquelle im Gesamtbehandlungsverlauf.

Zusammenfassend stellt die Pflegevisite - analog zur Arztvisite - ein geeignetes Instrument dar, um gezielt in einem festen Setting auf die aktuellen Belange der Patienten zeiteffizient eingehen zu können. Eine hohe Fach- und Methodenkompetenz der Pflegenden ist dafür Voraussetzung. Die Erfahrungen und Rückmeldungen der Patienten wie auch der Pflegenden sind meist sehr positiv. Die Pflegevisite ist ein Mosaikstück im komplexen stationären Therapieangebot einer psychiatrisch-psychotherapeutischen Klinik - nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Hermann Spießl, Landshut

Email: h.spiessl@bkh-landshut.de

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