Psychiatr Prax 2009; 36(6): 297-298
DOI: 10.1055/s-0029-1239617
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Heimweh

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Publication Date:
01 September 2009 (online)

 

"Heimweh:

Anders wird die Welt mit jedem Schritt,den ich weiter von der Liebsten mache; mein Herz das will nicht weiter mit. Hier scheint die Sonne kalt ins Land, hier deucht mir alles unbekannt, sogar die Blumen am Bache. Hat jede Sache so fremd eine Mine, so falsch ein Gesicht. Das Bächlein murmelt wohl und spricht: Armer Knabe, komm bei mir vorüber! Siehst auch hier Vergissmeinnicht.- Ja, die sind schön an jedem Ort, aber nicht wie dort. Fort, nur fort! Die Augen gehen mir über!"

Mörike verdichtet und beschreibt Heimweh hier 1830 als Reaktion auf Trennung, Verlust von heimatlicher Atmosphäre und Weltinteresse. Dabei steht das Gedicht im "milden Glanz" [1] der Natur- und Heimatverbundenheit der deutschen Romantik.

1688 war das Heimweh von Johannes Hofer mit seiner Dissertation in Basel in die Medizin eingeführt worden. Als schwere Gemütskrankheit in den Lehrbüchern bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts vertreten, verschwand es in der zweiten Hälfte des 20.Jahrhunderts wieder und versteckt sich seither in Anpassungsstörungen, F43.2, oder Trennungsängsten bei Kindern, F93.0, oder depressiven Störungen, F32, F33.

Erst im 21. Jahrhundert wird im Zusammenhang mit dem Diskurs über "Heimat" und "Integration von Migranten" neues Interesse am Heimweh deutlich. In diesem Zusammenhang hat auch die Erst-Autorin Heimweh neu kennen gelernt als eines der wichtigsten Themen in Gesprächsrunden mit Migranten (MUIMI Projekt [2]). Anliegen dieser Mitteilung ist es, Heimweh wieder in die psychiatrische Diskussion der Gegenwart einzugliedern, wie dies auch David gefordert hat [3]. Wir sehen Heimweh als häufige emotionale Reaktion auf Trennung und Wohnortwechsel verbunden mit dem Verlust einer heimatlichen Atmosphäre. Wie die Trauer als Reaktion auf eine endgültige Trennung, sehen wir das Heimweh nur dann als Störung an, wenn Dauer und Schwere der Reaktion besonders langdauernd und ungewöhnlich stark sind. Das Alter, die vorausgegangenen Trennungserfahrungen und die eigenen Ressourcen bestimmen dies auf der Seite dessen, der an Heimweh leidet. Aufseiten der aufnehmenden Gruppe/Gesellschaft entscheiden praktische Hilfen und Aufnahmebereitschaft. Diese Besonderheiten festzuschreiben ist aber nicht unser Hauptanliegen. Das Heimweh soll vielmehr bei verschiedenen Personengruppen beispielhaft beleuchtet werden. Dabei wird es keineswegs in jedem Fall als krankhafte Reaktion eingeordnet. Die Bewältigung des Heimwehs und was wir heute schon darüber wissen ist uns bei der großen Gruppe der Migranten besonders wichtig.

Literatur

  • 01 Fritz E . Vom Heimweh. Zürich: Fretz und Wasmuth Verlag, 1949: 9. 
  • 02 Rave-Schwank M .   . Migranten-Treffpunkte nutzen: das MUIMI Projekt Karlsruhe,.  Psychiat Prax. 2008;  35 149-153
  • 03 David M . Die Heimwehkrankheit-medizinhistorische Anmerkungen zur "nostalgischen Reaktion". In: Borde T, David M, Hrsg. Migration und seelische Gesundheit. Frankfurt: MabuseVerlag, 2007: 13. 
  • 04 Spyri J . Heidi. Insel Taschenbuch 351 Inselverlag. Frankfurt: Vertrieb: Suhrkamp TB, Erstausgabe 1880: 139. 
  • 05 Steffi Otto . Bad Kreuznach: persönliche Mitteilung. 
  • 06 Mitscherlich M . Das Drama der Abnabelung. in: Geowissen, Pubertät 41, 2008: 53. 
  • 07 Fisher S . Heimweh. Bern, Stuttgart, Wien: Huber, 1991. 
  • 08 Hofer J . dissertatio medica de Nostalgia oder Heimwehe, zit. nach Fritz Ernst: Vom Heimweh. Zürich: Fretz und Wasmuth, 1949: 66. 
  • 09 Meyers Konversationslexikon 1887, zit. nach David M. Die Heimwehkrankheit. In: Borde T, David M, Hrsg. Migration und Seelische Gesundheit. Frankfurt: Mabuse, 2007: 19. 
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