Psychother Psychosom Med Psychol 2010; 60(2): 73-77
DOI: 10.1055/s-0029-1237371
Kurzmitteilung

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Der Einfluss des frühkindlichen Krippenbesuchs auf die Psyche im jungen Erwachsenenalter

The Impact of Day Nursery in Early Childhood on Psyche in Younger AdulthoodHendrik Berth1 , Peter Förster2 , Friedrich Balck1 , Elmar Brähler3 , Yve Stöbel-Richter3
  • 1Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden, Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie
  • 2Forschungsstelle Sozialanalysen Leipzig
  • 3Universität Leipzig, Selbständige Abteilung für Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie
Further Information

Publication History

eingereicht 28. Mai 2008

akzeptiert 27. Januar 2009

Publication Date:
14 September 2009 (online)

Zusammenfassung

Der Einfluss eines frühkindlichen Kinderkrippenbesuchs auf die spätere psychische und soziale Entwicklung wird seit Langem kontrovers diskutiert. Krippengegner argumentieren, dass die frühe Trennung von der Mutter zu gravierenden, negativen psychischen Folgen im späteren Leben führen würde. Anhand von Daten einer Untersuchung mit n=383 ostdeutschen jungen Erwachsenen (21. Welle der Sächsischen Längsschnittstudie, 54,2% weiblich, mittleres Alter 34,2 Jahre) im Jahr 2007 wurde der Einfluss eines Krippenbesuchs auf verschiedene psychische Indikatoren geprüft. Mittels standardisierter Fragebögen wurden u. a. Angst, Depressivität, Körperbeschwerden, Bindung, Zukunftszuversicht, Bedrohungserleben und allgemeine politische Einstellungen untersucht. Die Ergebnisse zeigen zunächst eine Reihe von Geschlechtsunterschieden, z. B. ein schlechteres psychisches Befinden der Frauen. Der Krippenbesuch als abhängige Variable wirkte sich nur auf einen der untersuchten Indikatoren aus: Studienteilnehmer, die nicht in der Krippe waren, fühlen sich durch potenzielle Stress auslösende Lebensereignisse, wie z. B. Arbeitslosigkeit, bedrohter. Die Varianzanalyse erbrachte weiterhin einige Interaktionen zwischen Geschlecht und Krippenbesuch. Die Daten belegen insgesamt nicht, dass der Besuch einer Kinderkrippe einen schädlichen Einfluss auf die Psyche im Erwachsenenalter hat. Sie zeigen allerdings auch nicht, dass sich ein Krippenbesuch auf die untersuchten Merkmale besonders förderlich auswirkt. Vor dem Hintergrund der aktuellen politischen Diskussionen um den Ausbau der (frühkindlichen) (Ganztags-)Betreuung bedarf es daher differenzierter Untersuchungen, die etwa die Qualität der Kinderbetreuung stärker berücksichtigen.

Abstract

The influence of day nursery in early childhood on later mental and social development has been controversially discussed for a long time. Opponents of day nurseries express the considerable concern that serious negative mental consequences in later life result from early separation from the mother. A sample of n=383 respondents (54.2% women, aged 34.2 years on average) from the twenty-first wave of the Saxony Longitudinal Study (2007) was analyzed regarding the impact of day nursery in early childhood on different psychological indicators measured later. By applying standardized instruments several aspects were examined such as anxiety, depression, the occurrence of common somatic symptoms, attachment, confidence towards the future, experiences of menace, and common values towards political aspects. The findings show various gender differences, e. g. women report a worse mental health. Yet, only one of the examined indicators can be explained by day nursery in early childhood: respondents who had not been in day nursery felt more threatened by potential stressful life-events, e. g. unemployment. Furthermore the analysis of variance indicates some interaction effects between gender and day nursery in early childhood. Data doesn’t support the critic that day nursery in early childhood negatively influences mental health at a later age. A particular positive impact of day nursery in early childhood on the examined aspects cannot be assumed, either. Facing the ongoing political debate on the expansion of day nursery facilities, further research is needed focusing more in detail on qualitative aspects of day nursery.

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Korrespondenzadresse

Dr. rer. medic. habil. Hendrik Berth

Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden

Technische Universität Dresden

Medizinische Psychologie

Medizinische Soziologie

Fetscherstraße 74

01307 Dresden

Email: berth@wiedervereinigung.de

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