Psychiatr Prax 2009; 36(5): 249-250
DOI: 10.1055/s-0029-1233426
Serie ˙ Szene ˙ Media Screen
Sprachkritik
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart ˙ New York

Abkürzungen: semimaligne Neoplasie der Sprachkultur

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Publication Date:
06 July 2009 (online)

 

Abkürzungen (ABK) sind eine aus einem Land, welches üblicherweise mit drei Buchstaben abgekürzt wird und dessen wichtigste Städte NYC und LA heißen, hingebungsvoll importierte Methode der Verdichtung von Information (INF). Sowieso in den Artikeln (ART) wissenschaftlicher Fachzeitschriften (WF), aber auch in deren Abstracts (AB) und nicht zuletzt in Arztbriefen (ARB). Wo der Umfang nach Zahl der Zeichen strikt limitiert ist wie in den meisten WF, macht es Sinn, statt in jedem Absatz erneut "Demenz vom Alzheimer-Typ" oder "emotional instabile Persönlichkeitsstörung, Borderline-Typ" zu schreiben, die Kürzel "DAT" bzw. "BPS" zu verwenden. So weit, so gut. Auch auf der Powerpoint-Folie im Kongressbeitrag (KB) ist "Schizophrenia" offenbar unansehnlich lang und wird, inzwischen schon sehr verbreitet, zu einem legeren SchX, sozusagen der Sch-Krankheit, wie das berüchtigte unaussprechliche F-Wort in dem Land mit den drei Buchstaben. Psychische Krankheiten sind in der englischsprachigen Literatur schließlich, sofern von Relevanz, zur Gänze unter MMD (major mental disorder) oder SMI (severe mental illness) subsumierbar, mit den Untergruppen SchX, BD (bipolar disorder) und MD (major depression). Aber der kommunikative Fortschritt sollte sich nicht auf ART in englischsprachigen WF und KB beschränken, sondern dank der zunehmend ubiquitären Verfügbarkeit von INF zieht er auch unaufhaltsam in ARB ein. Wir haben gelernt, den Jargon unserer internistischen Kollegen mit STENT, COPD und ähnlichen kenntnisreichen Fachbegriffen zu verstehen, ohne uns durch unbedarftes Nachfragen als fachliche Laien outen zu müssen, wissen inzwischen, dass AP den Internisten etwas anderes bedeutet als den Chirurgen, HWI den Urologen etwas anderes als den Internisten, und mehr noch, wir halten dagegen: Epikritisch können wir dem HA (Hausarzt) mitteilen, dass unsere Pat. mit der Diagnose BPS (DD: SchX) und einer bekannten Komorbidität mit ADS/HKS und einer PTBS bei uns pharmakologisch mit einem SSRI und psychotherapeutisch mit DBT und EMDR behandelt wurde, an der BT und AT teilnahm und anschließend nach einer Diskussion des Falls in der HPK ins ABW gehen wird. Die Weiterbetreuung wird vom SPDi und der PIA übernommen, zur Tagesstrukturierung wird die Pat. in der WfbM angemeldet. Schließlich kann man im Grunde jedes Substantiv (SUB) platzsparend und sinnkomprimierend durch eine ABK ersetzen. Zugegeben, Menschen mit konservativen Lesegewohnheiten könnten meinen, die konsequente Umwandlung aller SUBs in ABK würde die Lesbarkeit nicht nur von ARB, sondern auch von ART in WF und auch deren ABS erschweren. Einen weiteren entscheidenden Raumgewinn und damit Fortschritt werden wir dennoch erst dann erzielen, wenn wir konsequent beginnen, außer den SUBs auch häufige Verben systematisch abzukürzen. Eine gewisse Doppeldeutigkeit von ABK muss dabei in Kauf GEN WER, fachkundige und phantasiebegabte LES werden den SI trotzdem VERS. AE WER VER BED sow VOR, dass ss in der KRY end VERF. (Am Ende werden wir die Verdichtung des Bedeutungsgehalts so weit voranbringen, dass sich selbiger in der Kryptografie endgültig verflüchtigt.)

Tilman Steinert, Weissenau

Email: tilman.steinert@zfp-zentrum.de

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