Der Klinikarzt 2009; 38(1): 3
DOI: 10.1055/s-0029-1202490
Editorial

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Pharma und Medizin – reiner und abgefeimter Klüngel?

Achim Weizel
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Publication Date:
30 January 2009 (online)

Schaut man sich in Buchhandlungen in der Abteilung Gesundheit um, gibt es ganz klar 2 Schwerpunkte: Zum einen sind dies sogenannte Gesundheitsratgeber, zum anderen – und das immer häufiger – sind dies Bücher, die sich kritisch mit dem Medizinbetrieb auseinandersetzen. Titel wie „Kranke Geschäfte” (Rowohlt, 2007), „Der Pharma–Bluff” (KomPart, 2005) oder „Korrupte Medizin” (Kiepenheuer & Witsch, 2008) deuten die Tendenz der Werke schon im Titel an. Dabei berufen sich die Autoren immer auf dieselben „Kronzeugen”: angefangen von Peter Sawicki über Peter Schönhöfer, Ellis Huber, Karl Lauterbach, Gerd Glaeske bis hin zu Ulrich Schwabe.

Die Hauptvorwürfe der Abhandlungen sind schnell skizziert: Zum einen gebe die Pharmaindustrie deutlich weniger für die Forschung aus als sie behauptet. Darüber hinaus würden die Marketingausgaben die Aufwendungen für die Forschung übersteigen. Auch die Zahl der eigentlich innovativen Produkte sei sehr gering, die meisten neu zugelassenen Präparate seien Scheininnovationen. Zudem bezahle die Pharmaindustrie die Forschung, die damit nicht unabhängig sei. Gleichzeitig unterdrücke sie ungünstige Studienergebnisse. Kritisiert wird auch die – zu enge – Beziehung zwischen Meinungsbildnern und der Industrie. Daher sei die Fortbildung im Sinne der Pharmafirmen gelenkt. Und Geschenke und Einladungen der pharmazeutischen Unternehmen würden dazu beitragen, die Ärzte im Sinne der Pharmaindustrie zu beeinflussen. In der Presse würden ebenfalls Meldungen lanciert, die zwar neutral erscheinen, aber von der Pharmaindustrie bezahlt sind.

Zweifellos sind die Vorwürfe nicht völlig unberechtigt. Wie immer im Leben gibt es aber auch eine 2. Seite: Ohne die Industrie gäbe es keinen therapeutischen Fortschritt, da staatliche Stellen die für die Zulassung notwendigen Studien nicht finanzieren können oder wollen. Dementsprechend – das wird oft vergessen – trägt die Industrie auch das volle finanzielle Risiko eines potenziellen Misserfolgs. Zudem ist es aufgrund der zum Teil hohen Dichte ausgereifter Mittel in einigen Indikationen enorm schwierig geworden, neue Medikamente zu entwickeln. Auch das sollte man anerkennen.

Auch die flächendeckende Fortbildung der Ärzte, das ist jedem Insider klar, überlassen die offiziellen Organe der Ärzteschaft weitgehend den Firmen und beschränken sich auf die Zertifizierung. Jeder Arzt, der eine solche Veranstaltung besucht, kennt jedoch den Veranstalter und kann sich sein eigenes Urteil bilden. Erfahrungsgemäß verzichten viele Pharmaunternehmen inzwischen sogar auf „Werbeblöcke” zugunsten von neutraler Information. Und die Referenten sind gehalten, potenziell bestehende Interessenskonflikte anzugeben. Jeder Zuhörer kann sich also seine Meinung über den Redner bilden. Zudem ist die heutige Ärztegeneration kritischer ausgebildet worden und kann über das Internet jederzeit die relevanten Daten auf ihre Evidenz hin überprüfen.

Inzwischen ist die Problematik der engen Verknüpfung von Medizin und Industrie sogar auf höchster wissenschaftlicher Ebene angekommen, nämlich im Nachgang zur Verleihung des letzten Nobelpreises für Medizin. An der Wertigkeit der Entdeckung der Beziehung zwischen Virusinfektion und Gebärmutterkrebs gibt es selbstverständlich keinen Zweifel. Die wissenschaftliche Basis für die Empfehlung der Impfung ist schon etwas umstrittener. Völlig unverständlich ist mir jedoch, dass die offensichtlich engen Beziehungen des Herstellers des Impfstoffes und dem Nobelpreiskomitee erst nach der Verleihung des Preises bekannt wurden. Und so wird uns der „Einfluss der Pharmaindustrie auf den Gesundheitssektor” sicherlich auch in der Zukunft begleiten, dann aber hoffentlich etwas mehr unter Berücksichtigung beider Seiten.

Prof. Dr. Achim Weizel

Mannheim

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