Aktuelle Dermatologie 2009; 35(5): 186-189
DOI: 10.1055/s-0028-1119559
Von den Wurzeln unseres Fachs

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Dermatologische Besonderheiten im höfischen Roman: Parzival von Wolfram von Eschenbach[1]

Dermatological Peculiarities in Wolfram von Eschenbach's Romance on Parzival E.  G.  Jung
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Publication Date:
30 April 2009 (online)

Einleitung

„Parzival” ist ein höfischer Roman von Wolfram von Eschenbach (vermutlich 1170 – 1220), welchen er, wahrscheinlich in zwei Abschnitten, zwischen 1203 und 1210 verfasste, teilweise wohl auf der Wartburg. Als Quelle diente der unvollendete Text „Perceval” von Chrétien de Troyes (1150 – 1190), den dieser nach 1181 in Flandern schrieb.

In der Parzivalgeschichte [1] spielen zwei eigenständige Figuren mit unterschiedlichen dermatologischen Besonderheiten eine einflussreiche Rolle. Es sind dies „Feirefiz”, der von Wolfram von Eschenbach neu eingeführt wurde, und „Cundrie”, die schon bei Chrétien de Troyes erscheint. Sie sollen hier dargestellt werden. Es stellt sich die Frage, inwieweit die Besonderheiten der Haut in bedeutsamer Beziehung zur Hauptfigur Parzival und dessen Entwicklung stehen.

Feirefiz (vaire fiz, gescheckter Sohn) ist der Halbbruder Parzivals. Beider Vater ist der unstete Ritter Gahmuret, der auf seiner ersten Orientfahrt die heidnische Mohrenkönigin Belakane befreite und heiratete. Mit ihr zeugte er Feirefiz. Wieder zurück, heiratete er Herzeloyde, die Schwester des Gralkönigs Amfortas. Bevor der Sohn Parzival geboren wurde, zog Gahmuret wieder in den Orient, wo er zu Tode kam. Im ersten Buch wird über die Geburt von Feirefiz erzählt: „zur rechten Zeit gebar die Edle (Morenkönigin Belakane) einen zweigefärbten Sohn. Er war schwarz und weiß zugleich! Sie nannte ihn Feirefiz von Anjou. Die ganze Haut und seine Haare waren scheckig wie die Elster” (57,15 – 28). Bezug wird hier wohl auf das Elsterngleichnis im Prolog genommen ([Abb. 1]).

Abb. 1 Die Elster, Symbol der schwarz-weiß gescheckten Haut als Elsterngleichnis im Prolog zum „Parzival”.

Soviel zur Einführung von Feirefiz.

Parzival aber wird Artusritter, heiratet Condwiramurs und trifft auf der Suche nach der inzwischen verstorbenen Mutter zufällig auf die Gralsburg. Dort wird er vom schwerkranken König Amfortas empfangen, versäumt aber die „Mitleidsfrage” und kommt verstört an den Artushof zurück. Nun tritt die Gralsbotin Cundrie auf, schildert Parzivals Herkunft, sein Fehlverhalten bei Amfortas und verflucht ihn. Sie kündigt auch vom Halbbruder Feirefiz „wahrlich er ist schwarz und weiß, der Sohn der Königin von Zazamanc, weiß und schwarz ist er zugleich, Feirefiz von Anjou” (317,8 – 10; 328,17). Parzival weiß nun Bescheid.

Parzival geht auf Wanderschaft, besteht manche Gefahren und Prüfungen, hadert mit Gott und wird vom Einsiedler Trevrizent wieder bekehrt. Nach Jahren trifft er im Feld den Artushof und begegnet dort dem unbekannten Ritter aus dem Morgenland. Es kommt zum Zweikampf. Beide sieggewohnten Ritter erfahren erstmals in ihrem Leben einen gleichwertigen Gegner, gleich gut gerüstet, gleich kraftvoll, mutig und geschickt. Der Kampf bleibt unentschieden, bis das Schwert von Parzival bricht ([Abb. 2]).

Abb. 2 Duell der Halbbrüder Parzival (mit zerfetztem Schild) und Feirefiz mit halbseitig schwarzem Gesicht, aus [3].

Feirefiz legt das seine ebenfalls weg, er kämpfe nicht gegen einen unbewaffneten Ritter. Mit Respekt und Neugier nähern und erkennen sie sich. Nachdem sie die Helme absetzten, erkennt Parzival die Erkennungs-Charakteristik „wie beschriebenes Pergament, wechselweise schwarz und weiß” (747,25 – 27) und aufgrund des elsternartig gescheckten Gesichtes (748,7) den Feirefiz als seinen Halbbruder. Zum Fest der Verbrüderung tritt die Gralsbotin Cundrie wieder auf und beruft Parzival mit Frau Condwiramurs und den Söhnen Kardeiz und Lohengrin zum Gralkönig. Dieser wählt den Halbbruder Feirefiz zu seinem Begleiter bei der Inthronisation. Feirefiz aber, der gefleckt-gescheckte Heide (810,10), vermag den Gral nicht zu sehen. Er wird bekehrt, getauft und heiratet die Gralsträgerin Repanse de Schoye, Schwester von Amfortas und von Herzeloyde, und sie verabschieden sich nach Osten.

Fazit: Feirefiz als Mischling der schwarzen Mutter mit einem keltischen Ritter ist nicht homogen braun pigmentiert, sondern zeigt ab der Geburt die mehr oder weniger schwarze Grundfarbe der Mutter mit einem Muster von mosaikartig angeordneten, weißen Arealen, was den gescheckten Aspekt ergibt, schwarz und weiß. Die Mutter küsste bei der Geburt schon die weißen Stellen liebevoll (57,15 – 22) und benannte ihn „Feirefiz”. Feirefiz ist also kein normaler Mischling, sondern Einzelkind mit einer angeborenen und persistenten Pigmentstörung ohne assoziierte Symptome, wie sie beim Piebaldismus vorkommt. Eine erworbene Pigmentstörung Vitiligo kommt demnach nicht in Frage. Allenfalls kommt noch eine nävoide, postzygotische somatische Mutation in Betracht, wobei die mutierten Areale entweder dunkelrot (Feuermal), mit bräunlichen Verhornungsstörungen (ichthyosiform oder Darier-artig), pigmentiert oder eben weiß erscheinen. Ein Solitärfall also von einer autosomal-rezessiven Pigmentanomalie (Piebaldismus) oder eine nävoide, somatische Mutation ohne Vererbbarkeit [2] [3].

Die Gralbotin Cundrie ist dem Artushof zusammen mit ihrem gleichgestalten Bruder Malcreatiure von der indischen Königin Secundille geschenkt worden. Dort in Indien gebe es zahlreiche missgebildete Menschen, offenbar Nachkommen der ungehorsamen Töchter von Adam (518,519): Cundrie tritt zweimal als Gralbotin in Szene, einmal bei der Verfluchung von Parzival und dann wieder bei dessen Berufung zum Gralkönig.

Cundrie, „la surziere” (Hexe, Zauberin), wird nachdrücklich geschildert als hochintelligente Frau, aber missgebildet. Latein, arabisch und französisch spricht sie, beherrscht Dialektik, Geometrie und Astrologie (312,19 – 26) und ist vortrefflich höfisch gekleidet. Sie ritt auf einem Maulesel und wirkte nicht sehr damenhaft. Doch ihr Benehmen: Raserei! (312,4). So viel zum Verhalten von Cundrie.

Ihr Äußeres war erschreckend und so beschrieben:

Behaarung: die Kopfhaare als Zopf, schwarz, starr und hässlich, „weich” wie Schweine-Rückenborsten, die Brauen verzopft, bis an das Haarband hoch, das Gesicht ganz behaart, Hände wie Affenfell; sie brauchte keinen Hut, die Sonne hätte ihr nichts getan, sie konnte die behaarte Haut mit ihren Strahlen nicht mehr bräunen (313, 314,1 – 9; 780,25 – 28).

Die Fingernägel wuchsen wild, wie Löwenkrallen.

Das Gesicht ist entstellt, die Ohren wie ein Bär, Hundeschnauze, lange Zähne, Eberzähne, und die Lippen bläulich wie ein Veilchen. Die Augen leuchten gelb wie Topase.

Cundries Bruder Malcreatiure war genau ihr Ebenbild, grauslich anzusehen. Eckzähne wie ein wilder Eber, sein Haar war nicht ganz so lang wie bei Cundrie, doch stachlig kurz, wie Igelfell (517,21 – 27)!

Fazit: Angeborene Hypertrichose und Onychogryphose bei zwei Geschwistern, vergesellschaftet mit einem Gesicht, das an Akromegalie erinnert, wohl autosomal-rezessiv vererbt. Es könnte sich um das sehr seltene Syndrom „Akromegaloides Gesicht mit Hypertrichose” handeln, dem allerdings die Onychogryphose fehlt. Es darf dabei nicht übersehen werden, dass retrograde Diagnostik immer hypothetisch bleiben muss.

1 Herrn Prof. Dr. Fritz Peter Knapp, Ordinarius der Älteren Deutschen Philologie (Mediävistik) der Universität Heidelberg zu seinem 65. Geburtstag am 6. Juli 2009 in herzlicher Zuneigung gewidmet.

Literatur

  • 1 Lachmann K. Wolfram von Eschenbach: Parzival. Bibliothek des Mittelalters. Bd. 8 / 1 und 8 / 2. Frankfurt a. M.; Deutscher Klassiker Verlag 1994:
  • 2 Jung E G, Ulmschneider H. Das moderne „Happle-Konzept” der Naevi mit historischen Bezügen.  Akt Dermatol. 1996;  22 129-131
  • 3 Jung E G. Was ist ein Naevus?.  Akt Dermatol. 1999;  25 60-65
  • 4 Famira H. Feirefiz, der zweier varwe war.  Seminar, Journal of Germanic Studies. 1986;  22 267-276
  • 5 Wapnewski P. Wolframs Parzival, Studien zur Religiosität und Form. 3. Reihe. Heidelberg; Germanische Bibliothek 1955: 135ff
  • 6 Bumke J. Parzival und Feirefiz-Priester Johannes-Loherangrin. Der offene Schluss des „Parzival” von Wolfram von Eschenbach.  Deutsche Vierteljahresschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte. 1991;  65 236-264
  • 7 Knapp F P. Vorlesung Wolfram von Eschenbach, Universität Heidelberg WS 2008 / 9. 
  • 8 Muschg A. Der rote Ritter, eine Geschichte von Parzival. Frankfurt/Main; Suhrkamp 1993:
  • 9 Haustein J. Deutsche Literatur am Landgrafenhof und in Thüringen unter Hermann I.  In: Blume D, Werner M (Hrsg). Elisabeth von Thüringen – eine Europäische Heilige. Petersberg-Verlag 2007: 60-61
  • 10 Heinzle J (Hrsg). Wolfram von Eschenbach: Willehalm. Tübingen; Niemeyer 1994:
  • 11 Der Landgrafenpsalter (Faks.) von 1213. Württembergische Landesbibliothek Stuttgart; 1992:

1 Herrn Prof. Dr. Fritz Peter Knapp, Ordinarius der Älteren Deutschen Philologie (Mediävistik) der Universität Heidelberg zu seinem 65. Geburtstag am 6. Juli 2009 in herzlicher Zuneigung gewidmet.

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