Psychiatr Prax 2024; 51(04): 224
DOI: 10.1055/a-2292-5292
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„Unter Verrückten sagt man DU“

„Unter Verrückten sagt man DU“

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De Gregorio L. Unter Verrückten sagt man Du. Berlin: Suhrkamp, 2024, Gebunden, 299 Seiten, 20 EUR; ISBN: 978-3-518-77905-7

Was passiert, wenn eine Ethnologin, eine Philosophin, eine Journalistin und eine Erfahrene die Psychiatrie von heute beschreiben? Welcher Erkenntnisgewinn blüht uns, wenn diese vier unsere Umgangsformen im Hilfesystem zugleich phänomenologisch betrachten und von Innen beschreiben? Welchen Stellenwert hat der Trialog, die partizipative Forschung /das Hamburger SuSi-Projekt, die Peer-Bewegung in dieser komplexen Betrachtung?

Lea de Gregorio vereint alle vier Berufungen, jongliert gekonnt mit ihren Perspektiven. Selbst die Angehörigen-Sicht kommt nicht zu kurz – die eigene (als Enkelin) und die der anderen (Mutter, Freundinnen, Partner). Derart vierfach gespiegelt steht die Psychiatrie ziemlich nackt da. Diese Kollage entwickelt eine große Kraft – sprachlich und inhaltlich.

Und viele grundlegende Fragen wirken nach: Was machen wir da eigentlich in der Notfallambulanz oder auf der Akutstation und warum? Helfen Diagnosen, sich selbst besser zu verstehen oder überwiegt die Entfremdung von der eigenen Lebensgeschichte? Wer bestimmt die Sprache, wer hat die Deutungshoheit? Und wenn Therapien wirken, was alles andere als selbstverständlich ist, geschieht das über geschickt eingesetzte Techniken oder Substanzen oder wirkt die authentische ehrliche Begegnung?

Im mächtigen Strom der Psychiatrie bleiben Inseln; auf denen sind die Patent:innen unter sich: Stationszimmer, Raucherraum, Küchenecke …. Manche halten sich fest, andere nerven, viele reden über das, was wirklich anliegt – im stationären Überlebenskampf oder im bevorstehenden / zurückliegenden Leben. „Unter Verrückten sagt man Du“. Beim Lesen habe ich mich immer wieder gefragt: Gehöre ich dazu? Möchte ich dazu gehören?

Auf jeden Fall empfehle ich das Buch zu lesen: – den Profis, die über den Tellerrand schauen wollen, – den Erfahrenen, die sich Ermutigung wünschen, – den Angehörigen, die nicht zufrieden sind, wie es läuft, – den Interessierten, die hinter die Kulissen schauen wollen, – den Normalos, die neugierig geblieben sind, was Verrücktheit bedeutet, – den Funktionär:innen und Politiker:innen, auf die es ankommt, wenn wir was verändern wollen, – sowie den Leser:innen, die sich an guter Sprache freuen. Auch wenn man bedenkt, dass sich die genannten Zielgruppen überschneiden: Ganz schön viele Menschen könnten dieses Buch mit Gewinn lesen.

Thomas Bock, Hamburg

E-Mail: bock@uke.de



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Article published online:
08 May 2024

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