Pneumologie 2024; 78(05): 287-289
DOI: 10.1055/a-2253-3857
Pneumo-Fokus

Kommentar zu „Atezolizumab als Erstlinientherapie bei älteren Patienten mit NSCLC“

Contributor(s):
Christian Schulz

Patienten mit reduziertem Allgemeinzustand (ECOG-Status ≥2), Alter ≥70 Jahre und/oder klinisch bedeutsamen Begleiterkrankungen repräsentieren 40–50% der Patienten mit neu diagnostiziertem nicht kleinzelligen Lungenkarzinom (NSCLC) im lokal fortgeschrittenen oder metastasierten Stadium. Diese Ausgangssituation hat Einfluss auf die Therapieintensität sowie die Prognose der Patienten. Platinbasierte Therapiekonzepte sind mehrheitlich nicht realisierbar. Zusätzlich erfüllt dieses Kollektiv häufig Ausschlusskriterien für die Teilnahme an klinischen Studien und ist demzufolge nicht abgebildet in Phase-III-Studien, welche die Evidenz für Therapiealgorithmen und Leitlinienempfehlungen für die Behandlung von NSCLC-Patienten generieren.

IPSOS ist die erste randomisierte Phase-III-Studie, die bei Patienten im lokal fortgeschrittenen oder metastasierten NSCLC-Stadium mit ECOG-Status ≥2 und Kontraindikation für eine platinbasierte Erstlinientherapie die Wirksamkeit einer Erstlinientherapie mit dem PD-L1-Antagonisten Atezolizumab gegenüber einer platinfreien Chemo-Monotherapie mit Vinorelbin oder Gemcitabin untersuchte, sofern eine ALK-Translokation oder eine typische EGFR-Mutation ausgeschlossen werden konnte.

Unter Berücksichtigung des Alters (Median 75 Jahre) und eines ECOG-Status 2 bei >75% der Patienten wird das adressierte NSCLC-Kollektiv adäquat abgebildet. IPSOS zeigt anhand des primären Endpunkts des Gesamtüberlebens einen signifikanten Unterschied zwischen den Behandlungsarmen zugunsten der Atezolizumab-Gruppe mit einer 22%igen Risikoreduktion zu versterben gegenüber der Chemotherapie-Kontrollgruppe. Das mediane Überleben wurde um 1,1 Monate von 9,2 auf 10,3 Monate verbessert. Eine verbesserte Ansprechrate von 16,7% vs. 7,9% steht im Einklang mit diesem Ergebnis. Ein stabilisierender Einfluss auf die Lebensqualität sowie die Symptomkontrolle der Patienten in der Atezolizumab-Gruppe konnte begleitend beobachtet werden. Trotz längerer Therapiedauer wurden unter Atezolizumab weniger (16,3 vs. 33%) schwerwiegende Nebenwirkungen (Grad 3–4) beobachtet. Die bessere Wirksamkeit von Atezolizumab konnte unabhängig von der Expression des Biomarkers PD-L1 auf den Tumorzellen beobachtet werden.

IPSOS überzeugt durch eine klar definierte Arbeitshypothese und adressiert ein Therapiefeld mit einer aktuell nicht zufriedenstellenden Evidenzgrundlage für Therapieentscheidungen bei einem großen Kollektiv von NSCLC-Patienten. Die Patientenrekrutierung mit Entscheidung gegen eine platinbasierte Erstlinientherapie erfolgte unter Berücksichtigung unterschiedlicher klinischer Ausgangssituationen an den Studienzentren und wurde somit unter übertragbaren „Real-world“-Bedingungen vorgenommen. Interessanterweise zeigte sich in IPSOS im Chemotherapie-Arm mit 9,2 Monaten gegenüber historischen Daten ein deutlich längeres Überleben, wodurch möglicherweise die Wirksamkeit von Atezolizumab im Kontext des IPSOS-Kollektivs abgeschwächt zur Darstellung kommt.

Zusammengefasst liefert die Studie IPSOS unter Berücksichtigung von überzeugenden klinischen Endpunkten (Ansprechen, Lebensqualität und Überleben) bei einem zugleich günstigen Toxizitätsprofil die Grundlage für eine neue evidenzbasierte Therapieoption für Patienten mit einem lokal fortgeschrittenen oder metastasierten NSCLC bei Patienten mit reduziertem Performance-Status (insbesondere ECOG-Status 2), die sich aus unterschiedlichen Gründen (Alter und/oder Begleiterkrankungen) nicht für eine platinbasierte Erstlinientherapie qualifizieren. IPSOS besitzt somit das Potenzial, eine immunonkologische Erstlinientherapie mit dem PD-L1-Antagonisten Atezolizumab als Therapieoption in den Leitlinien zu verankern.



Publication History

Article published online:
17 May 2024

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