Der Klinikarzt 2018; 47(10): 433
DOI: 10.1055/a-0662-3488
Editorial
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Bodyguards für Ärzte und medizinisches Personal!

Matthias Leschke
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Publication Date:
31 October 2018 (online)

Selige Zeiten waren das, als die Berufs-Trias Lehrer, Pfarrer und Arzt unangefochtenes Ansehen in der Bevölkerung genoss. Den Lehrer achtete man als Wissensvermittler ins Leben, den Pfarrer als Kontaktperson zu Gott und den Arzt als Herr über Leben und Tod. Das hat sich radikal verändert. Lehrer werden heute von den Eltern missachtet, den Pfarrer braucht man angesichts des allgemeinen Glaubensverlustes nur noch für Taufe und Beerdigung und Ärzte behandelt man als geldgierige, zum Betrug neigende Dienstleister, die ihre Patienten in Notaufnahme und Praxis kaltblütig schmoren lassen und sich mit IGeL die Taschen voll stopfen. Wen wundert es da, als die tödliche Messerattacke auf einen Allgemeinmediziner im badischen Offenburg durch die Medien geisterte? Der Täter war ein Asylbewerber aus Somalia, doch sollten wir uns nicht alles mit der Mutter aller Probleme, der Migrantenflut (so Innenminister Horst Seehofer) erklären. Deutsche Patienten führen sich keinen Deut besser auf. Man hat sich daran gewöhnt, dass auf unseren Straßen Rettungssanitäter und Notärzte angepöbelt, ja tätlich angegriffen werden.

Unsere Notfallambulanzen in den Kliniken sind eigentlich für Menschen gedacht, denen es wirklich schlecht geht. Sollte man meinen. Die Notfallambulanzen platzen in den meisten Kliniken aus den Nähten. Nicht der eher stattlichen Zunahme der Notfälle wegen, sondern weil es unsere Zeitgenossen bequemer finden, am Abend oder Wochenende medizinischen Beistand zu suchen, als möglicherweise lange Wartezeiten der niedergelassenen Fachärzte in Kauf zu nehmen. Außerdem ist es bequemer, nach Feierabend die Notaufnahme im Krankenhaus aufzusuchen und dort Halsschmerzen oder Bauchkribbeln ärztlich begutachten zu lassen. Freilich bedingt dieser Ansturm auf die Notfallambulanzen lange Wartezeiten. Eheeinst fügte man sich geduldig in die Reihe der Wartenden ein, weil einem der Anstand sagte, einer kommt nach dem anderen. Schon gar nicht wollen manche Ambulanz-Besucher einsehen, dass das Personal die Reihenfolge für die Untersuchung nach der Schwere der Verletzung oder Krankheit festlegt. Wenn die Notärzte gleich 2 Schwerverletzte betreuen, findet der Mann, der den Fuß verstaucht hat, dieses Procedere als persönliche Beleidigung. Es ist an der Tagesordnung, dass unwillige Patienten schnell ihre Beherrschung verlieren und eine Krankenschwester aggressiv gegen die Brust stoßen oder den Arzt am Kittel zerren und Schläge androhen.

Was ist das für eine Zeit, in der sich Ärzte für Eskalationslehrgänge anmelden und das medizinische Assistenzpersonal Selbstverteidigungslehrgänge absolvieren muss! Gewalt in der medizinischen Praxis ist längst keine Ausnahmesituation mehr, sondern wohl an der Tagesordnung. Wird nicht bereits von den Ärztekammern gefordert, das Thema Gewalt im Studium und Weiterbildung zu integrieren?

Man erwartet heute vom Arzt, dass er eine Krankheit effizient und rasch behandelt wie ein Automechaniker einen Motorschaden behebt. Dass die Bevölkerung fast jeglichen Respekt vor der Ärzteschaft verloren hat, dazu haben auch gewisse Institutionen kräftig beigetragen: Es vergeht kein Tag, an dem nicht eine Krankenkasse die komplette Ärzteschaft des Abrechnungsbetrugs, der inkompetenten Diagnostik oder Ignoranz gegenüber den Patienten bezichtigt. Wobei die Medien den kleinsten Vorfall lustvoll aufgreifen und die gesamte Ärzteschaft als verlogen, verkommen und geldgeil durchs Land treiben. Staatsanwälten verschafft es offenbar ein lustvolles Gefühl, wieder einmal einen Arzt an der Angel zu haben und sein mutmaßliches Vergehen zur allgemeinen Ärzteschelte zu nutzen. Offenbar ist vielen nicht klar, welchen Schaden sie mit dieser Haltung sich selbst zufügen. Das ärztliche Geschäft kann nur dann erfolgreich sein, die Therapie nur dann eine Chance haben, wenn sich zwischen Arzt und Patient ein tiefes Vertrauensverhältnis entwickelt. Wir wissen doch, dass nicht nur Pillen und Skalpell die Krankheit verscheuchen, sondern dass die Psyche einen wesentlichen Anteil an der Gesundung hat. Medizin profitiert zu einem wesentlichen Teil auch von der Magie zwischen Patient und Arzt. Wenn ich dem Arzt von Anbeginn an mit dem Verdacht begegne, dass er seinen Job nicht mit Leidenschaft betreibt und möglicherweise einer der Scharlatane ist, wie uns die Medien glauben machen – wenn ich meinem Arzt nicht mehr zutraue, dass er mit seinem Wissen und seiner Erfahrung mein Bestes anstrebt, mir die Gesundheit wieder schenken will, dann degeneriert Medizin zu einer Tätigkeit, die Google-Algorithmen besser hinkriegen.

Respekt scheint heute langsam zur Mangelware – zuweil auch unter Kollegen – zu werden. Wo Respekt vor dem Mitmenschen schwindet, redet man nicht mehr miteinander, hört man sich nicht mehr mit Geduld zu: Da platzt einem schnell der Kragen, da dominiert der Egoismus, da gilt dann schnell das Faustrecht. Anstatt Probleme zu diskutieren, haut man einfach anfänglich erst verbal, später zuweilen auch körperlich kräftig zu. Ist das ein gesellschaftlicher Trend?