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Open Access 2021 | OriginalPaper | Buchkapitel

9. Preisregulierungen im internationalen Vergleich

verfasst von : Dr. Sabine Vogler

Erschienen in: Arzneimittel-Kompass 2021

Verlag: Springer Berlin Heidelberg

Zusammenfassung

Zusammenfassung

Im europäischen und internationalen Vergleich ist das deutsche Preisniveau von Arzneimitteln hoch – insbesondere das von neuen patentgeschützten Medikamenten. Preisregulierungen können dazu beitragen, die nachhaltige Finanzierung des Solidarsystems zu sichern. In diesem Beitrag werden Preisregulierungen im internationalen Umfeld präsentiert. In den meisten europäischen Staaten sind die Herstellerpreise von Arzneimitteln ab Markteintritt reguliert, zumindest für jene Medikamente, deren Kosten jedenfalls teilweise von den (öffentlichen) Zahlern getragen werden. Rabattabkommen (Managed Entry Agreements) sind in vielen Ländern ein gängiger Ansatz, um den Marktzugang zu hochpreisigen Arzneimitteln zu ermöglichen; sie sind allerdings meist intransparent. Neue Beschaffungsmodelle mit einer von der konsumierten Menge unabhängigen Umsatzgarantie für die pharmazeutischen Unternehmer werden in ein paar Ländern pilotiert. Im Rahmen eines integrierten Ansatzes wird Preisregulierung als Teil eines Maßnahmenpakets verstanden, das etwa auch Horizon Scanning und HTA umfasst. In jüngerer Zeit kooperieren Länder mit gemeinsamen Preisverhandlungen bzw. Arzneimittelbeschaffungen.
Zusammenfassung
Im europäischen und internationalen Vergleich ist das deutsche Preisniveau von Arzneimitteln hoch – insbesondere das von neuen patentgeschützten Medikamenten. Preisregulierungen können dazu beitragen, die nachhaltige Finanzierung des Solidarsystems zu sichern. In diesem Beitrag werden Preisregulierungen im internationalen Umfeld präsentiert. In den meisten europäischen Staaten sind die Herstellerpreise von Arzneimitteln ab Markteintritt reguliert, zumindest für jene Medikamente, deren Kosten jedenfalls teilweise von den (öffentlichen) Zahlern getragen werden. Rabattabkommen (Managed Entry Agreements) sind in vielen Ländern ein gängiger Ansatz, um den Marktzugang zu hochpreisigen Arzneimitteln zu ermöglichen; sie sind allerdings meist intransparent. Neue Beschaffungsmodelle mit einer von der konsumierten Menge unabhängigen Umsatzgarantie für die pharmazeutischen Unternehmer werden in ein paar Ländern pilotiert. Im Rahmen eines integrierten Ansatzes wird Preisregulierung als Teil eines Maßnahmenpakets verstanden, das etwa auch Horizon Scanning und HTA umfasst. In jüngerer Zeit kooperieren Länder mit gemeinsamen Preisverhandlungen bzw. Arzneimittelbeschaffungen.

9.1 Preisniveau im internationalen Vergleich

Deutschland ist bei patentgeschützten Arzneimitteln ein Hochpreisland. Wenngleich sich die Preisvergleichsstudien in ihrer Methodik (hinsichtlich der Jahre, Vergleichsländer, Einzel- vs. Durchschnittspreisvergleich, eingeschlossene Arzneimittel) unterscheiden, belegen sie, dass das Preisniveau Deutschlands zu den höchsten im europäischen Vergleich zählt (Aho et al. 2018; Kanavos und Vandoros 2011; Leopold et al. 2013; Schneider et al. 2018; Sjoberg et al. 2020; Vogler et al. 2014b, 2016a, 2017). Dieses Ergebnis bleibt auch bei Adjustierung der Preisdaten nach Kaufkraft bestehen (Busse et al. 2016). Das hohe Preisniveau Deutschlands im Ländervergleich zeigt sich insbesondere auch bei Medikamenten im Hochpreissegment (Iyengar et al. 2016; Vogler et al. 2016b).
Hochpreisigkeit von Medikamenten in Deutschland ist aus mehreren Gründen bedenklich: Wenn einzelne Arzneimittel mit enorm hohen Preisen beachtliche Anteile des öffentlichen Budgets konsumieren, kann dies zu einer Ungleichheit zwischen Krankheiten und Patient:innengruppen führen, was ethische Bedenken aufwerfen kann. Zudem können hohe Preise und somit hohe Ausgaben für Arzneimittel die Leistbarkeit der solidarischen Finanzierung nachhaltig gefährden – und angesichts der in den letzten Jahren beobachteten Preise durchaus auch in einem reichen Land wie Deutschland. Darüber hinaus ist Hochpreisigkeit mit negativen Externalitäten verbunden: Deutschland sendet damit ein Signal an die anderen Länder der Welt, dass solch hohen Preise möglich (und quasi auch gerechtfertigt) wären. Hinzu kommt, dass Deutschland als Referenzland von zahlreichen Staaten in deren Preisfestsetzung im Rahmen des externen Preisvergleichs (External Price Referencing) herangezogen wird (Vogler et al. 2019, 2020c). Andere Länder sind dann mit den hohen deutschen Preisen konfrontiert, was deren Leistbarkeit einschränkt.
Das Standardargument, mit denen die Aussagekraft von internationalen Preisvergleichen in Frage gestellt wird, betrifft den weitverbreiteten Einsatz von Rabattverträgen (in vielen, auch nicht englischsprachigen Ländern als Managed Entry Agreements/MEA bezeichnet). Damit seien – wird argumentiert – die ausgewiesenen und in die Vergleiche eingeflossenen Listenpreise irreführend, denn die in den MEA verhandelten Echtpreise, die ein Land zahle, wären niedriger.
In der Tat kommen MEA in besonderem Maße bei hochpreisigen und ausgabenstarken Medikamenten zum Einsatz (Ferrario und Kanavos 2013, 2015; Pauwels et al. 2013); in einigen Ländern (z. B. Polen, Spanien, Ungarn) wurden für mehrere hundert Arzneimittel MEA abgeschlossen (Vogler et al. 2019). Wie hoch die Rabatte dabei sind, ist geheim. Die Annahme, dass diese Rabatte seitens der pharmazeutischen Unternehmer von vornherein einkalkuliert wären und letztlich die Listenpreise erhöhen, wurde in einer empirischen Analyse bestätigt (Gamba et al. 2020).
Bei der Bewertung von internationalen Preisvergleichen gilt es zu beachten, dass die MEA die Erstattungspreise in einer Reihe von Staaten reduzieren können. Bislang liegt keinerlei Evidenz dafür vor, dass ein Land den „besten Deal“ erhalten und damit deutlich günstigere Preise erzielt hätte. Zum Beispiel könnten mehrere Länder den gleichen Rabatt angeboten bekommen, womit sich nichts am Preisniveau im internationalen Vergleich ändern würde. Eine Studie über Rabatte im stationären Sektor zeigte etwa für Österreich, dass alle eingeschlossenen Krankenanstalten den gleichen Rabatt erhalten hatten (Vogler et al. 2010, 2013). Allerdings könnte Deutschland als bedeutender Markt durchaus in der Lage sein, höhere Rabatte zu generieren, wie die Ergebnisse einer europäischen Erhebung von Echtpreisen bei Krebsmedikamenten (höhere Rabatte in Italien und Spanien, geringe bzw. keine in osteuropäischen Ländern, Deutschland war nicht in diese Studie eingeschlossen) implizieren (van Harten et al. 2016).
Nichtsdestotrotz scheinen die Rabatte nicht ausreichend – weder für Deutschland noch für die anderen Länder. Seit Jahren treibt die Sorge um die Leistbarkeit und die Gefährdung der nachhaltigen Finanzierung des Gesundheitssystems durch hochpreisige Medikamente die Entscheidungsträger:innen in europäischen Ländern um.
Vor diesem Hintergrund werden im Folgendem Preisregulierungen für Arzneimittel in anderen Ländern vergleichend präsentiert (s. Abschn. 9.2). Darauffolgend (s. Abschn. 9.3) werden einzelne neue Ansätze vorgestellt, insbesondere für den Umgang mit hochpreisigen Medikamenten.
Informationen werden für insgesamt 56 Länder der Welt dargestellt, darunter 48 der 53 Länder der Region Europa der Weltgesundheitsorganisation (WHO) (alle außer Andorra, Bosnien-Herzegowina, Monaco, Montenegro, San Marino) sowie für Australien, Brasilien, Kanada, Kosovo, Saudi-Arabien, Singapur, Südafrika und Südkorea.1 Als zentrale Quelle der Länderübersicht dienten Informationen des Pharmaceutical Pricing and Reimbursement Information (PPRI)-Behördennetzwerks (Vogler et al. 2014a), die um Informationen aus der Literatur ergänzt wurden. Der internationale Vergleich bezieht sich im Wesentlichen auf das Jahr 2020.

9.2 Preisregulierung im Ländervergleich

Entscheidungsträger:innen nutzen das Instrument der Preisregulierung, um Arzneimittel für die öffentlichen Zahler bzw. – im Falle hoher Selbstbeteiligungen und fehlender Finanzierung durch den Staat – für Patient:innen leistbar zu machen. Denn Medikamente (jedenfalls ausgewählte Arzneimittel) sind – so das zugrundeliegende Verständnis – von grundlegender Bedeutung für die Gesundheit und damit das Wohlbefinden von Menschen und müssen daher erschwinglich sein.2
In diesem Sinne ist zum einen zu prüfen, ob und welche Medikamente einer Preisregulierung unterliegen (s. Abschn. 9.2.1) und zum anderen, welche Regulierungsmethoden dazu angewandt werden (s. Abschn. 9.2.2). Angesichts des Fokus auf hochpreisige Medikamente werden in diesem Beitrag die Regulierungen der Herstellerpreise beleuchtet;3 die Preise in der Vertriebskette (z. B. Apothekenverkaufspreise) sind nicht Gegenstand.

9.2.1 Umfang der Preisregulierung

Die Regulierung von Medikamentenpreisen ist international weit verbreitet (s. Tab. 9.1), jedenfalls für jene Arzneimittel, deren Ausgaben von der öffentlichen Hand (zumindest teilweise) übernommen werden (Medikamente im sogenannten Erstattungsmarkt bzw. im öffentlichen Sektor). In einigen Ländern sind die Preise sämtlicher Arzneimittel (auch nicht-erstatteter bzw. jener im privaten Sektor) reguliert, um die selbstzahlenden Patient:innen vor hoher finanzieller Belastung zu schützen. Allerdings unterscheidet sich die Anzahl der Medikamente bzw. Wirkstoffe im Erstattungsmarkt bzw. öffentlichen Sektor zwischen den Ländern: Während wirtschaftsstarke Länder für vergleichsweise viele Arzneimittel Ausgaben übernehmen, umfasst in wirtschaftsschwächeren Ländern die staatliche Kostenübernahme nur wenige Medikamente. So enthalten die Erstattungslisten in der Ukraine und in Kirgistan nur 23 Wirkstoffe bzw. 58 Wirkstoffe (Vogler et al. 2020e).
Tab. 9.1
Umfang der Preisregulierung für Medikamente in 56 Ländern
Preisregulierung
Teilweise Preisregulierung
Keine Preisregulierung
Für alle Medikamente – 15 Länder:
Albanien, Aserbaidschan, Brasilien, Belgien, Israel, Litauen, Luxemburg, Malta, Moldau, Niederlande, Nordmazedonien, Saudi-Arabien, Serbien, Türkei, Zypern
Für erstattungsfähige AM – 22 Länder:
Australien, Estland, Finnland, Frankreich, Irland, Italien, Kasachstan, Kroatien, Lettland, Polen, Russland, Schweden, Schweiz, Slowakei, Slowenien, Spanien, Südafrika, Südkorea, Tschechien, UK, Ukraine, Ungarn
Freie Preisbildung – 8 Länder:
Armenien, Belarus, Georgien, Kosovo, Kirgistan, Singapur, Tadschikistan, Turkmenistan
Für erstattungsfähige AM ab dem zweiten Jahr – 1 Land: Deutschland
Für erstattungsfähige AM im niedergelassenen Sektor – 1 Land: Österreich
Für patentgeschützte und für patentfreie erstattungsfähige AM – 1 Land: Kanada
Für verschreibungspflichtige AM – 6 Länder: Bulgarien, Griechenland, Island, Norwegen, Portugal, Rumänien
Für essenzielle AM – 1 Land: Usbekistan
Für Medikamente in Krankenanstalten – 1 Land: Dänemark
AM = Arzneimittel
Auch in Ländern ohne Preisregulierung können öffentliche Einkäufer:innen bei der Beschaffung von Medikamenten preiswirksame Instrumente einsetzen (z. B. Beschaffung mittels Ausschreibungen).
Quelle: Autorin auf Basis von Erhebungen im Rahmen des PPRI-Netzwerks
Arzneimittel-Kompass 2021
Abgesehen vom Erstattungsstatus eines Medikaments sind in einigen Ländern der Rezeptpflichtstatus (wobei Erstattungsstatus und Rezeptpflichtstatus oft deckungsgleich sind) oder der Einsatzbereich (ambulanter vs. stationärer Sektor) entscheidungsrelevant, ob Medikamente preisreguliert werden (s. Tab. 9.1). Der Patentstatus wird hingegen selten als Kriterium herangezogen.
Wo sind Medikamentenpreise nicht geregelt? Dies sind im Wesentlichen Länder mit niedrigerer Wirtschaftskraft (z. B. zentralasiatische Länder) und/oder Länder, bei denen über die Beschaffung Preise indirekt reguliert werden (so etwa in Singapur oder auch im niedergelassenen Sektor in Dänemark).
Der deutsche Ansatz, bei dem Arzneimittelpreise erst ab dem zweiten Jahr reguliert werden, findet sich in keinem anderen Land.
In Österreich fallen nur die erstattungsfähigen Arzneimittel im niedergelassenen Sektor unter die Preisregulierung. Über die Jahre hinweg lagen bei einem EU-Vergleich die österreichischen Preise von im niedergelassenen Sektor verbrauchten, ausgabenstarken Medikamenten im oberen Mittelfeld, während jene von ausgabenstarken, in Krankenanstalten eingesetzten Medikamenten zum Spitzenfeld zählten. In zahlreichen Fällen waren letztere sogar die höchsten im Vergleich mit den anderen EU-Mitgliedstaaten (Schneider et al. 2018; Vogler et al. 2014b, 2016a). Damit verursachten die nicht-preisregulierten Medikamente zunehmend Kosten für die österreichische Sozialversicherung: Entfielen im Jahr 2005 2,2 % der Gesamtkosten für Arzneispezialitäten auf diese sogenannten „No-Box“-Präparate, so waren dies 2016 10,4 % (Wagner 2017). In Reaktion darauf wurden 2017 im Rahmen einer Reform des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes rückwirkend Preisregulierung und Rückzahlungen des pharmazeutischen Unternehmers eingeführt, falls eine definierte Ausgabengrenze für die Medikamente überschritten wird (s. nachfolgende Übersicht).
Rückzahlungen für hohe Preise
In Österreich fallen Arzneimittel, die nicht in die Positivliste der Sozialversicherung aufgenommen wurden (sogenannte „No-Box“-Präparate), nicht unter die Preisregulierung. Ausgaben zu Lasten der Sozialversicherung können dennoch entstehen, da diese Medikamente in begründeten Ausnahmefällen für einen Einsatz im niedergelassenen Sektor verschrieben werden können. Sollen die Ausgaben eines No-Box-Arzneimittels zu Lasten der Sozialversicherung 750.000 € in einem Jahr überschreiten, so wird der Preis rückwirkend auf Basis der europäischen Durchschnittspreismethode festgelegt. Der pharmazeutische Unternehmer wird danach aufgefordert, die Mehrkosten der Sozialversicherung zurückzuzahlen, die aus der Differenz zwischen vorher angewandtem und behördlich festgelegtem Preis entstanden sind.
Ein „Early Access Scheme“ für definierte Arzneimittel bei schweren und seltenen Krankheiten soll in Frankreich raschen Marktzugang ermöglichen. Während des „Early Access Scheme“ wird das Arzneimittel von der Sozialversicherung zu dem Preis erstattet, den der pharmazeutische Unternehmer festgelegt hat. Bei der Überführung in das Regelsystem werden Preisverhandlungen zwischen Unternehmer und dem Preiskomitee geführt, in welche die Ergebnisse eines Health Technology Assessments (HTA) einfließen. Sollte der von der Firma bestimmte Preis den final verhandelten überschreiten, hat der Unternehmer die Differenz zu erstatten.
Quellen: Österreich – Vogler et al. (2020b), Frankreich – CEPS (2020)

9.2.2 Methoden der Preisregulierung

9.2 vermittelt einen Überblick über gängige Methoden der Preisregulierung für neue Medikamente in europäischen Ländern und international.
Tab. 9.2
Methoden der Preisregulierung für Medikamente in 56 Ländern
Maßnahme
Beschreibung
Einsatz in den Ländern
Definition
Zentrales Kriterium
Anwendung
Keine Anwendung
External price referencing (EPR)/Externer Preisvergleich
Methode, bei der die Preise eines Arzneimittels in einem oder mehreren Ländern herangezogen werden, um für die Preisfestsetzung oder Preisverhandlung einen Referenzpreis (Benchmark) zu erhalten
Preise des gleichen Arzneimittels in anderen Ländern
45 Länder
26 EU-Mitgliedstaaten (alle außer Schweden) und Albanien, Aserbaidschan, Brasilien, Island, Israel, Kanada, Kasachstan, Moldau, Nordmazedonien, Norwegen, Russland, Saudi-Arabien, Serbien, Südafrika, Südkorea, Schweiz, Türkei, Ukraine, Usbekistan
11 Länder
in den 8 Ländern ohne Preisregulierung (s. Tab. 9.1) und Australien, Schweden und UK
Value Based Pricing (VBP)
Preisfestsetzung unter Berücksichtigung des Wertes eines Arzneimittels (z. B. auf Basis von Health Technology Assessment (HTA))
„Wert“ eines Arzneimittels (z. B. gemessen am therapeutischen (Zusatz-)Nutzen)
Integriertes VBP: 2 Länder: Australien und Schweden
Unterstützende VBP – Einsatz von HTA bei Preisentscheidung: 41 Länder
13 Länder ohne HTA:
in den 7 der 8 Länder ohne Preisregulierung (s. Tab. 9.1, alle ohne Singapur) und Albanien, Aserbaidschan, Nordmazedonien, Südafrika, Usbekistan und Zypern
Cost Plus Pricing
Methode der Preisregulierung, bei der die Kosten des Medikamentes berücksichtigt werden (Abgeltung der Kosten plus Zuerkennen einer Profitspanne)
Kosten (üblicherweise Produktionskosten, aber auch Forschungs- und Entwicklungskosten, Werbekosten oder andere Kostenarten)
Keine Länder mit dieser Preisregulierung, aber Nutzung von Kostendaten (insbes. Produktionskosten) als ergänzende Hintergrundinformation in einzelnen Ländern (z. B. Australien, Frankreich, Italien, Saudi-Arabien, Südafrika, Südkorea, Spanien)
Alle 56 Länder der Erhebung außer als ergänzende Hintergrundinformation (z. B. in Verhandlungen)
Rabattverträge/Preismodelle/Managed Entry Agreements
Indirekte Preisregulierung mittels Vereinbarungen (inkl. über mögliche Rabatte und weitere Bedingungen, möglicherweise vertraulich)
Definierte Bedingungen (z. B. über bestimmte Absatzmenge, Outcome-Parameter, vertraulicher Rabatt)
35 Ländera
25 EU-Mitgliedstaaten (alle außer Zypern und keine Info zu Luxemburg), Australien, Israel, Kanada, Norwegen, Saudi-Arabien, Schweiz, Serbien, Südkorea, Türkei, UK
20 Ländera
in den 8 Ländern ohne Preisregulierung (s. Tab. 9.1) und Albanien, Aserbaidschan, Brasilien, Island, Kasachstan, Moldau, Nordmazedonien, Russland, Südafrika, Ukraine, Usbekistan, Zypern
a Keine Information zu Luxemburg, daher nur Daten für 55 Länder für Rabattverträge
Quelle: Autorin auf Basis von Erhebungen im Rahmen des PPRI-Netzwerks
Arzneimittel-Kompass 2021
In vielen Ländern findet sich die Kombination aus externem Preisvergleich für eine erste Orientierung und Elemente des Value-based Pricing, insbesondere Nutzung von in HTA gewonnener und bewerteter Evidenz. Bei hochpreisigen Medikamenten sind Preisverhandlungen üblich, die häufig mit dem Abschluss eines MEA (z. B. Preis-Mengen-Abkommen, Capping, Pay-for-Performance, Risk Sharing Scheme) mit vertraulichem Rabatt (s. auch Abschn. 9.3.1) enden.
In der Praxis können die jeweiligen Maßnahmen der Preisregulierung unterschiedlich ausgestaltet werden. Beispiel externer Preisvergleich: Hier sind etwa Entscheidungen über die Referenzländer, die Berechnung des Referenzpreises sowie methodische Spezifikationen zum Umgang mit Datenlücken, Wechselkurs und Frequenz der Überprüfungen zu treffen und die gewählte Methodik hat Einfluss auf die Ergebnisse (Vogler et al. 2020c).

9.3 Modelle zum Umgang mit hochpreisigen Arzneimitteln

Jede Preisbildungsmaßnahme hat ihre Stärken und Schwächen, die im nationalen Kontext unterschiedlich zur Geltung kommen können. Insbesondere für den Umgang mit hochpreisigen Arzneimitteln zeigen sich die Grenzen bestehender Methoden. Im Folgenden werden einige neue Ansätze vorgestellt. Ihnen ist gemein, dass sie über das Stadium der Diskussionen hinausgekommen sind und in der Praxis umgesetzt – zumindest pilotiert – wurden.

9.3.1 Transparenz bei Rabatten

Preisnachlässe mögen vielleicht nicht unbedingt innovativ sein; sie können aber Medikamente leistbar(er) machen und die solidarische Finanzierung nachhaltig sichern. Gut aufgesetzte leistungsorientierte MEA, welche die Finanzierung an den Behandlungserfolg knüpfen, könnten darüber hinaus zur Generierung von Real-World-Daten beitragen.
Problematisch sind jedoch – wie im Einleitungskapitel aufgezeigt (s. Abschn. 9.1) – die bei den MEA üblichen vertraulichen Vertragsinhalte einschließlich zur Höhe der Rabatte. International wird daran gearbeitet, die „Echtpreise“ offen zu legen (z. B. Transparenzrichtlinie der Weltgesundheitsversammlung 2019, „Fair Pricing Forum“ der WHO, „Oslo Medicines Initiative“ der WHO Europa und der norwegischen Regierung). Zwischenzeitlich haben einzelne Länder erste vorsichtige Schritte in Richtung Preistransparenz gesetzt (s. nachfolgende Übersicht).
Maßnahmen zur Sichtbarmachung von Rabatten bzw. Rabattverträgen
In Österreich weist die Sozialversicherung im Erstattungskodex – der Positivliste für den niedergelassenen Sektor – jene Arzneimittel aus, die einem MEA unterlegen. Das Kürzel „PM“ neben dem Produkt steht für „Preismodell“ (Bezeichnung für Rabattvertrag in Österreich). Dabei werden keine vertraulichen Inhalte offengelegt, aber andere Länder erhalten einen Hinweis, dass die angeführten Listenpreise nicht den Echtpreisen entsprechen.
Auch in der europäischen Preisdatenbank Euripid wird bei einigen Ländern angezeigt, welche Arzneimittel einem MEA unterliegen.
In der italienischen Region Emilia-Romagna wird bei an die Ärzteschaft gerichteten Verschreibeempfehlungen das günstigste Arzneimittel explizit ausgewiesen, da die Verschreibenden dies in Unkenntnis der Rabatte ansonsten nicht identifizieren könnten.
Eine ähnliche Funktion wie im italienischen Beispiel kommt in Deutschland dem Rabattvertrags-Monitor zu, der die Apotheker:innen und Ärzt:innen – auch mittels Einspielung in die jeweilige Apotheken- bzw. Praxissoftware – darüber informiert, welche Arzneimittel einem Rabattvertrag unterliegen.
Quellen: Zimmermann und Rainer (2018), Präsentation beim Fair Pricing Forum am 15. April 2021, Gruppo di lavoro multidisciplinare (2019), DAP (2021)

9.3.2 Delinkage-Modelle

Traditionellerweise wird unter „Delinkage“ eine Entkoppelung des Arzneimittelpreises von den Forschungs- und Entwicklungskosten verstanden. Seitens der pharmazeutischen Industrie werden die hohen Preise mit dem Aufwand für Forschungs- und Entwicklungskosten begründet. Allerdings sind die hohen Preise eher einem wertbasierten Zugang bei der Preisfestsetzung (Value Based Pricing) als dem Zusammenhang zwischen den nicht bekannten Kosten für Forschung und Entwicklung4 zuzuschreiben, wie mehrere Experti:nnen argumentieren, daher sei der Begriff „Delinkage“ falsch. In jüngerer Zeit wird daher stattdessen vermehrt von neuen Business-Modellen gesprochen (WHO 2017), die allerdings noch in der Diskussionsphase sind.
Umgesetzt wurde allerdings in einzelnen Ländern eine andere Form von Delinkage, nämlich die Entkoppelung des Preises von der (nachgefragten bzw. konsumierten) Menge. Das bekannteste Beispiel in diesem Zusammenhang ist vermutlich das australische „All-You-Can-Treat“-Modell für Hepatitis-C-Medikamente, das auch unter der Bezeichnung „Netflix-Modell“ bekannt wurde (s. nachfolgende Übersicht).
Das australische Netflix-Modell für Hepatitis-C-Medikamente
Für die Hepatitis-C-Behandlung beschritt die australische Regierung einen neuen Weg. Sie schloss mit fünf Anbietern von Hepatitis-C-Medikamenten Verträge, in denen sie den pharmazeutischen Unternehmern eine Milliarde australische Dollar zahlte. Im Gegenzug für diese Summe (plus einer Selbstbeteiligung von Patient:innen) verpflichteten sich die Firmen, das Medikament für die Behandlung einer unbeschränkten Anzahl an Patient:innen für fünf Jahre (März 2016 bis 2020) bereitzustellen.
Quelle: Moon und Erickson (2019)
Daneben kommt diesem Delinkage-Modell vor allem bei der Beschaffung von (neuen) Antibiotika Bedeutung zu. Angesichts der steigenden Antibiotikaresistenzen wird gerade bei dieser Arzneimittelgruppe darauf geachtet, unnötigen Konsum zu vermeiden. In Schweden wird seit 2018 ein neues Beschaffungsmodell für Antibiotika pilotiert, bei dem den Unternehmern eine jährliche Umsatzgarantie zugesagt wurde. Nach einer Ausschreibung im Juli 2020 wurden Zwei-Jahres-Verträge mit fünf Antibiotika-Herstellern geschlossen. Für jedes ausgewählte Antibiotikum wurde diese jährliche Umsatzgarantie auf Basis von Kosten für eine Arzneimittelreserve zu einem Preis, der über dem durchschnittlichen europäischen Listenpreis liegt, festgelegt. England pilotiert ein ähnliches Modell, das sogenannte „Commercial Model“, bei dem den pharmazeutischen Unternehmern für die Bereitstellung eines neuen Antibiotikums ein fixer Betrag bezahlt wird, der jährlich bis zu zehn Millionen britische Pfund pro Produkt betragen könnte. Die konkrete Summe wird mit Hilfe von HTA ermittelt. Die Umsetzung des englischen Modells ist für Anfang 2022 geplant: für den Anfang sind Drei-Jahres-Verträge geplant, mit der Option auf Verlängerung auf zehn Jahre (Global AMR R&D Hub 2021; Gotham et al. 2021).

9.3.3 Preisregulierung als Komponente eines gesamtheitlichen Marktzugangsprozesses

In den letzten Jahren wurde immer wieder auf das Zusammenspiel von Preisregulierung mit den anderen Komponenten zur Steuerung des Arzneimittelsystems in der „Wertschöpfungskette“ hingewiesen (aufgeteilt in die Prä-Launch-, Peri-Launch- und Post-Launch-Phasen) (EC 2020; Vogler, Paris und Panteli 2018; WHO 2015).
Dabei wurde und wird die Wichtigkeit von HTA betont, das ja in Deutschland eine zentrale Rolle spielt. An Relevanz gewonnen hat zudem Horizon Scanning, also die frühzeitige Identifikation von Arzneimitteln in der Pipeline. Horizon Scanning unterstützt die Entscheidungsträger:innen, rechtzeitig Priorisierungen und Planungen über knappe Budgetmittel vorzunehmen. Norwegen hat mit dem System „Nye Metoder“ (Neue Methoden) einen solchen Prozess aufgesetzt, der die Ergebnisse von Horizon Scanning und HTA entsprechend berücksichtigt (s. nachfolgende Übersicht).
Prozess der „neuen Methoden“ in Norwegen
2013 wurde unter dem Titel „Nye Metoder“ das „nationale System für den geordneten Markteintritt von neuen Gesundheitstechnologien in der spezialisierten Gesundheitsversorgung“ eingeführt. Damit sollte ein einheitlicher, systematischer Prozess für den Zugang zu allen stationär eingesetzten Arzneimitteln und Medizinprodukten geschaffen werden. Im stationären Sektor spielen neben der föderalen Ebene die vier Regionen als Eigentümer der Krankenanstalten eine wichtige Rolle. 2018 wurde „Nye Metoder“ auch auf Arzneimittel im niedergelassenen Sektor ausgeweitet.
Zentrale Komponenten des Systems sind Horizon Scanning, HTA und Priorisierung.
Die norwegische Arzneimittelbehörde bereitet auf Basis des Inputs des norwegischen Public-Health-Instituts aus dem Horizon Scanning gewonnene Evidenz auf. Die Arzneimittel und „neuen Methoden“, die im Rahmen von Horizon Scanning identifiziert werden, sind in einer frei zugänglichen Datenbank (MedNytt) des norwegischen Public-Health-Instituts veröffentlicht und werden zehnmal pro Jahr aktualisiert.
Die Ergebnisse aus dem Horizon Scanning dienen als Basis für die Entscheidung, welches HTA durchgeführt wird. Es kommen drei HTA-Typen in Norwegen zum Einsatz: ein Mini-HTA, das von Krankenanstalten vorgenommen wird; ein Einzeltechnologie-HTA (Prüfung eines Arzneimittels oder einer Gesundheitstechnologie gegenüber einen Komparator), das von der norwegischen Arzneimittelbehörde durchgeführt wird und ein volles HTA (Vergleich mehrerer Arzneimittel bzw. Methoden), das vom norwegischen Public-Health-Institut erstellt wird. Seit Oktober 2015 müssen alle neuen Arzneimittel und Indikationen einem Einzeltechnologie-HTA unterzogen werden, und zwar möglichst zeitnah zur Zulassung, um raschen Marktzutritt zu ermöglichen.
Quellen: NOMA (2021); Norwegian Institute of Public Health (2021); Sekretariatet for nye metoder (2021a, 2021b)
Ein weiterer Aspekt des gesamtheitlichen Prozesses besteht darin, dass für unterschiedliche Medikamentengruppen (so etwa für patentgeschützte und patentfreie Arzneimittel) verschiedene Ansätze der Preisregulierung gewählt werden (Bartels 2016). Angesichts des steigenden Finanzierungsbedarfs kann Entlastung über die günstigeren Generika und Biosimilars – sofern diese vorhanden sind – angestrebt werden. Auch hier dient Norwegen als vielzitiertes Beispiel, wo in Ausschreibungen hohe Preisnachlässe erzielt werden konnten (GabI Online 2015). Wichtig ist dabei – so auch die Argumentation der norwegischen Entscheidungsträger:innen –, dass im Gegenzug für die niedrigeren Preise die pharmazeutischen Unternehmer ausreichend Marktanteile erhalten.
Auch die Richtlinie der WHO (aktualisiert im September 2020) empfiehlt, die Nachfrage nach Generika und Biosimilars zu stärken (WHO 2020). Nachfrageseitigen Begleitmaßnahmen könnten zukünftig eine größere Rolle zukommen: Während Generikasubstitution weit verbreitet ist, hat bislang kein europäisches Land die Substitution von biologischen Arzneimitteln durch Apotheker:innen eingeführt (Vogler et al. 2019, 2020d). Deutschland kommt daher mit seiner Umsetzung der Biosimilarsubstitution 2022 eine wichtige Vorbildfunktion zu.

9.3.4 Länderübergreifende Kooperationen

In den letzten Jahren haben sich europäische Länder zusammengeschlossen, um in mehreren Bereichen der Arzneimittelpolitik zusammenzuarbeiten. Dabei wird auch dem im vorigen Abschnitt besprochenen gesamtheitlichen Zugang entlang der Wertschöpfungskette (Aktivitäten wie Horizon Scanning, HTA und danach Preisfestsetzung und Aufnahme in die Erstattung) Rechnung getragen (Beneluxa Initiative 2020).
Einen Schwerpunkt auf gemeinsame Beschaffungsaktivitäten setzen die Baltic Procurement Initiative der drei baltischen Länder und das Nordic Pharmaceutical Forum mit Dänemark, Island, Norwegen und Schweden (Finnland mit Beobachterstatus). Die seit 2012 bestehende Baltic Procurement Initiative hat mittlerweile nach anfänglichen Fehlschlägen mehrere Impfstoffe erfolgreich eingekauft und das Nordic Pharmaceutical Forum schloss 2020 die erste „gemeinsame skandinavische Ausschreibung“ ab und bereitet derzeit die zweite vor. Das Nordic Pharmaceutical Forum hat nicht nur neue hochpreisige Arzneimittel im Blick, sondern will auch ältere Arzneimittel beschaffen, die den skandinavischen Ländern nicht mehr angeboten werden, weil ihre Märkte von der pharmazeutischen Industrie als zu klein und nicht attraktiv erachtet werden (Vogler et al. 2020a). Die Beneluxa-Initiative definiert sich nicht als Beschaffungskooperation, sondern sie nutzt die Zusammenarbeit für gemeinsame Verhandlungen (s. nachfolgende Übersicht).
Gemeinsame Verhandlungen bei der Beneluxa-Initiative
Gemeinsame Preisverhandlungen sind ein Feld in der Zusammenarbeit der Beneluxa-Initiative, die 2015 von Belgien, den Niederlanden und Luxemburg gegründet wurde und der sich Österreich im Jahr 2016 und Irland 2018 anschlossen. Weitere Bereiche der Zusammenarbeit betreffen Horizon Scanning (aus der Beneluxa-Initiative ging 2019 die International Horizon Scanning Initiative hervor, der auch Nicht-Beneluxa-Länder angehören), HTA und Informationsaustausch.
Das von einem pharmazeutischen Unternehmer bei Beneluxa eingereichte Dossier wird gemeinsam bewertet (HTA). Ein Land ist für die Verhandlungen hauptverantwortlich, obwohl nicht alle Beneluxa-Länder daran teilnehmen müssen. Nach der Verhandlung treffen die involvierten Länder individuell entsprechend der nationalen Gesetzgebung ihre Erstattungsentscheidung, die sich durchaus im Detail unterscheiden kann. Nach dem erfolgreichen Abschluss der Verhandlung von Belgien und den Niederlanden über das Präparat Spinraza mit dem Wirkstoff Nusinersen im Juli 2018 legten die beiden Länder unterschiedliche Patient:innengruppen fest, für die sie das Medikament erstatten (Belgien: alle Altersgruppen, Niederlande: ausschließlich Kinder).
Quelle: Vogler et al. (2020a)
Gemeinsame Preisverhandlungen oder Beschaffungen sind jüngere Ansätze, für die – wie immer bei Neuem – Erfahrungen gewonnen werden. Zentrale Voraussetzungen für den Erfolg der länderübergreifenden Kooperationen sind starke Unterstützung seitens der politischen Entscheidungsträger:innen, gut abgestimmte Arbeitsprozesse und ausreichend Personalressourcen. Eine wahrgenommene Hürde ist das fehlende Interesse der Pharma-Industrie, in Preisverhandlungen mit Länder-Kooperationen einzutreten (Vogler et al. 2020a).

9.4 Fazit

Das deutsche Preisniveau von Arzneimitteln ist im europäischen und internationalen Vergleich hoch. Dies ist aufgrund der Wirtschaftskraft Deutschlands nicht weiter überraschend und wäre per se nicht bedenklich, wenn nicht allgemein in den vergangenen Jahren Arzneimittel zu unglaublich hohen Listenpreisen angeboten worden wären. Solche „Mondpreise“ wären vor zehn und auch noch fünf Jahren undenkbar gewesen, obwohl in Europa und auch global die letzte Dekade von der Sorge um den Patient:innenzugang zu Arzneimitteln angesichts der Preisentwicklungen geprägt war.
Grundsätzlich hat Deutschland ein etabliertes System, nach welchem der Markteintritt von neuen Arzneimitteln geregelt wird. Insbesondere die Komponenten und der Prozess der frühen Nutzenbewertung (z. B. Qualitätsanforderungen, Transparenz) sind auf hohem Niveau und gelten als Vorbild für HTA weltweit. Internationale Erfahrungen könnten in eine Weiterentwicklung des deutschen Systems einfließen, in dem etwa nach dem norwegischem Modell Horizon Scanning als institutioneller Bestandteil gestärkt würde.
Die große Schwäche des deutschen Systems ist die Freistellung von der Preisregulierung im ersten Jahr, die auch maßgeblich für die hohen Preise und somit die hohen Ausgaben der öffentlichen Zahler in Deutschland verantwortlich zu sein scheint. Aus Sicht der Autorin wäre es vorrangig, diesen Aspekt zu ändern. Falls es in der politischen Praxis nicht umsetzbar sein sollte, könnten Kompromisse, wie das Beispiel aus Österreich mit rückwirkender Preisregulierung und Refundierung zeigt, zumindest eine Annäherung bieten. Im Rahmen der Gesetzwerdung des Arzneimittel-Versorgungsstärkungsgesetzes (AMVSG) 2016/2017 wurde ja auch der Plan diskutiert, den späteren Erstattungspreis ab einer Umsatzschwelle von 250 Mio. € im ersten Jahr rückwirkend gelten zu lassen (AOK-Bundesverband 2017).
Als ein weiterer Kompromiss könnte die freie Preisbildung im ersten Jahr offiziell zu einem „Early Access Scheme“ erklärt und somit auf definierte Arzneimittel(typen) eingeschränkt werden. Ein explizites Early Access Scheme würde klare Regelungen zu den Auswahlkriterien und Voraussetzungen für die Aufnahme und den Verbleib von Medikamenten in dem Schema erfordern.
Bei der PPRI-Konferenz im Oktober 2019 wurden die Prinzipien von Balance, Evidenz, Kooperation und Transparenz propagiert, welche die Staaten berücksichtigen sollten, wenn sie leistbaren Patient:innenzugang zu Arzneimitteln zu „fairen Preisen“ fördern wollen (Vogler et al. 2021). Das deutsche Arzneimittelsystem ist von der Idee einer Balance zwischen wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Interessen geprägt. Angesichts der Gefährdung der nachhaltigen Finanzierung des Solidarsystems scheint Bedarf zu bestehen, den Ausgleich zwischen den beiden Interessen neu zu bewerten und folglich das AMNOG nachzujustieren.
Im Falle von Reformen sollte auf die Umsetzung von möglichst transparenten bzw. transparenzfördernden Maßnahmen geachtet werden. Eine Fortführung von intransparenten Rabattverträgen kann kurzfristig bei einzelnen Produkten eine Lösung für die Zahlenden darstellen, zeichnet aber keine zukunftsweisende Reformagenda aus. Die Förderung von Transparenz in der Arzneimittelpreisregulierung wie auch weitere Reformen haben Implikationen weit über die Grenzen hinweg, da Deutschland von vielen Ländern als Modell angesehen wird. Die Symbolwirkung sollte nicht unterschätzt werden.
Daher wäre eine Beteiligung Deutschlands an der aktuellen internationalen Diskussion über die zukünftige Ausgestaltung der Arzneimittelpolitik (Schlagwort: neue Business-Modelle) wichtig. Da deren Umsetzung ein langfristiges Projekt ist, sollten ergänzend zwischenzeitlich einzelne Maßnahmen zur Stärkung der Arzneimittelpreisregulierung in Deutschland diskutiert, geplant und eingeführt werden.
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Fußnoten
1
Die WHO-Region umfasst die Länder auf dem europäischen Kontinent, Israel und zentralasiatische Länder (z. B. Aserbaidschan, Kirgistan, Turkmenistan, Usbekistan), allerdings nicht Liechtenstein und den Kosovo (WHO Europe 2021).
 
2
Dies ist auch ein Grundprinzip im WHO-Konzept der „essenziellen Arzneimittel“.
 
3
In einigen europäischen Ländern werden nicht die Fabrikabgabepreise, sondern die Großhandelspreise festgelegt. In letzterem Fall ist der Herstellerpreis Ergebnis eines Verhandlungsprozesses über die Großhandelsspanne zwischen pharmazeutischem Unternehmer und Großhandelsunternehmen (Vogler et al. 2019). Die Regelungen der Länder mit Preisfestsetzung auf Großhandelsebene werden in diesem Beitrag unter die Regulierung der Herstellerpreise subsummiert.
 
4
Publizierte Informationen zur Höhe zu Forschungs- und Entwicklungskosten variieren (UNDP 2016): Den häufig zitierten 2,6 Mrd. USD für die Forschungs- und Entwicklung (DiMasi et al. 2003) stehen Daten von 4,2 Mrd. USD (Schätzung von PWC) auf der einen und 180–231 Mio. USD (Light und Warburton 2011) und 100–150 Mrd. USD auf der anderen Seite gegenüber. Letztere sind Erfahrungswerte der Initiative „Drugs for Neglected Diseases“ (DNDi), einer Public-Private-Partnership, die dabei sehr wohl bereits das Risiko von Fehlschlägen einkalkuliert hat, ohne deren Berücksichtigung die Forschungs- und Entwicklungskosten bei 30 bis 40 Mio. USD lägen (DNDi 2014). Problematisch ist bei den publizierten Angaben zu Forschungs- und Entwicklungskosten, dass diese weder den Anteil der öffentlich finanzierten Grundlagenforschung noch etwaige Förderungen (z. B. Steuervorteile) herausrechnen, womit es im Falle der Berücksichtigung von Forschungs- und Entwicklungskosten zu einer doppelten Finanzierung seitens der öffentlichen Zahler käme (Morgan et al. 2020).
 
Literatur
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Metadaten
Titel
Preisregulierungen im internationalen Vergleich
verfasst von
Dr. Sabine Vogler
Copyright-Jahr
2021
Verlag
Springer Berlin Heidelberg
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-662-63929-0_9