Anleitung im geschützten Raum

Aller Anfang ist schwer, besonders wenn es für die Auszubildenden an die Umsetzung des theoretisch Erlernten in die Praxis geht. Doch auch die Praxisanleiter benötigen Raum, um eine qualitativ hochwertige Ausbildung zu bieten. Denn Praxisanleitung sollte nicht einfach so nebenbei geschehen. Um über einen „geschützten Raum für Praxisanleitung“ zu sprechen, muss man die aktuelle Situation von Anleitung in der Pflegepraxis betrachten: Unter Praxisanleitung wird eine professionell geplante und zielgerichtete praktische Pflegeausbildung verstanden (Quernheim, 2009). Hierbei führen Praxisanleiter die Auszubildenden schrittweise an die eigenständige Wahrnehmung der beruflichen Aufgaben heran. Ähnliche Vorgaben beziehen sich auf die Altenpflegeausbildung. Die Gewährleistung der Praxisanleitung obliegt laut Gesetz den Einrichtungen der praktischen Ausbildung, welche diese durch „geeignete Fachkräfte“ sicherzustellen haben. Leider bleiben diese Forderungen relativ ungenau und so liegt es vor allem im Ermessen der Ausbildungseinrichtungen, wie viele Praxisanleiter eingesetzt werden und unter welchen Rahmenbedingungen Praxisanleitung durchgeführt wird. Und immer wieder ist zu wenig Zeit. So klagen überwiegend die sogenannten dezentralen Praxisanleiter, welche fest in den Dienstplan einer Station oder Abteilung eingebunden sind, über mangelnde zeitliche Ressourcen für geplante Anleitungen, Gespräche oder auch organisatorische Belange in Bezug auf Praxisanleitung. Durch ihre Doppelrolle als Stationsmitarbeiter und Ausbildungsverantwortlicher stehen sie oft unter großem Druck, um beiden Bereichen gerecht zu werden. Insbesondere der durchaus häufig vorkommende Ausfall von geplanten Anleitungen – bedingt durch Personalengpässe – oder eine von vornherein nicht gemeinsam geplante Dienstzeit mit dem Schüler erleben dezentrale Praxisanleiter als wenig wertschätzend ihrer Arbeit gegenüber. Hier besteht die große Gefahr der Demotivation, bis hin zur Aufgabe der Praxisanleitertätigkeit. Diese Situation hat auch Auswirkungen auf die Auszubildenden. Wie lassen sich diese unter den gegebenen Rahmenbedingungen „schrittweise an die eigenständige Wahrnehmung der beruflichen Aufgaben“ heranführen, um somit berufliche Handlungskompetenz zu erreichen? Erstellen Sie ein praktikables Konzept Welche Aspekte gehören aber nun zu diesem „geschützten Raum für Anleitung“ dazu? Diese Frage sollte sich jede Ausbildungseinrichtung stellen und dementsprechend ein praktikables Praxiskonzept zusammen mit den Praxisanleitern und allen an der Ausbildung beteiligten Partnern entwickeln. Der geschützte Raum für Anleitung sollte, unabhängig von seiner Ausgestaltung, unterstützende Lern- und Lehrbedingungen zur Basis haben. Die Schüler benötigen einen festen Ansprechpartner, um Vertrauen aufzubauen und Fragen ohne Angst stellen zu können. Die Praxisanleiter brauchen Unterstützung von Seiten ihres Teams, aber auch von Seiten der Pflegedienstleitung. Hierfür ist eine positive Grundhaltung zur Ausbildung unerlässlich, denn eine qualitativ hochwertige Ausbildung passiert nicht nebenher. Sie erfordert Planung und muss kontinuierlich evaluiert werden. Hierfür benötigt es neben Zeit auch personelle, strukturelle und räumliche Ressourcen! Geeignete Anleitungsformen Neben der oft praktizierten Einzelanleitung skizzieren wir zwei weitere mögliche Anleitungsformen, welche exemplarisch für Lernen und Anleiten im geschützten Raum stehen: die Lerninsel und die Schülerstation. Einzelanleitung: Sehr häufig wird auf den Stationen die 1:1-Anleitung durchgeführt. Diese Form wird jeder während seiner Ausbildung mehr oder weniger ausreichend erfahren haben. Die Einzelanleitung bietet den entscheidenden Vorteil, dass sie individuell geplant werden kann. Hier ist es sinnvoll, die Termine für eine Einzelanleitung schon bei der Dienstplanung zu fixieren. Bei der Vorbesprechung des Anleitungstages sollte dem Schüler der geplante Ablauf vorgestellt werden, wobei Inhalte, Patientengruppe und eventuell auch die Anleitungsform (Praxisanleiterzentrierung, Schülerzentrierung, partnerschaftliches Modell) gemeinsam festgelegt werden sollten. Es empfiehlt sich, den Schülern vor einer Einzelanleitung einen dem Ausbildungsstand angepassten Lernauftrag zu geben. Dieser sollte eine klare Aufgabenstellung zu der geplanten Thematik haben, aber den Auszubildenden nicht überfordern. So könnte beispielsweise einem Schüler im ersten Ausbildungsjahr die (anteilige) Durchführung der Morgenroutine übertragen werden, wobei der Anleiter in der Handlung die Rolle des Auszubildenden einnehmen könnte (Rollentausch). Somit nimmt er aktiv am Geschehen teil und gibt dem Schüler die Sicherheit, bei eventuell auftretenden Herausforderungen sofort einschreiten zu können. Dabei ist besonders wichtig, dass der Schüler nicht das Gefühl hat, er würde am Ende der Anleitungssituation bewertet werden. Dies könnte ein Hemmnis bei der Durchführung sein. Hier gilt es im Vorfeld klarzustellen, dass diese Anleitungsform die bisher erworbenen Kompetenzen festigen und erweitern soll. Diese Einzelanleitungen bieten dem Praxisanleiter die Möglichkeit, den Schüler im realen Arbeitsalltag, aber in einem geschützten Raum, zu beobachten, zu begleiten und anzuleiten. Lerninselprojekt: Bei dieser Anleitungsform bearbeiten mehrere Schüler zusammen und über einen Zeitraum von mehreren Tagen ein zuvor ausgewähltes Thema. Sie werden hierbei kontinuierlich von Praxisanleitern begleitet und angeleitet. Das übergeordnete Thema wird von ihnen vorgegeben; es orientiert sich an den Lernangeboten der jeweiligen Abteilung. Die konkrete Ausgestaltung und Vertiefung einzelner Aspekte erfolgt nach den Wünschen und Erwartungen der Schüler, die sich zu Beginn der Lerninsel auf eine gemeinsame Richtung einigen sollten. Bei der Auswahl der Schüler ist eine gute Durchmischung bezüglich des Ausbildungsstandes und auch des Ausbildungszweiges (Krankenpflege, Altenpflege, Assistenzausbildung) wünschenswert. Hiermit wird bereits der generalistische Aspekt berücksichtigt; zudem ermöglicht dies den Blick auf Pflegephänomene aus unterschiedlichen Richtungen. Die Lerninsel findet in der realen Pflegepraxis statt und orientiert sich am Pflegeprozess. Für den gesamten Zeitraum, vorzugsweise fünf Tage, sind sowohl Schüler als auch Praxisanleiter komplett freigestellt. Diese zeitliche Freistellung schafft den benötigten geschützten Rahmen für vielfältige Lern- und Lehrprozesse und ermöglicht selbstgesteuertes und individuelles Lernen. Die dezentralen und zentralen Praxisanleiter unserer Einrichtungen in Dortmund führen bereits seit nunmehr drei Jahren Lerninseln zu diversen Themen im Teamteaching durch und stehen diesen sehr aufgeschlossen gegenüber. Beispielhaft sei hier die Lerninsel zur „Prozessorientierten Pflege von Patienten mit zentralvenösen Zugängen in der Onkologie“ genannt. Diese fand bereits zum vierten Mal statt; je nach Schülerzusammensetzung wurden unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt. Die Versorgung von Port- und Zentralvenösen Kathetern und die dazugehörige Pflegeplanung beinhalteten alle Lerninseln gleichermaßen, die weiteren Inhalte differierten (Durchführung der Infusionstherapie, Vorgehen bei Unfällen mit Zytostatika, Umgang mit Übelkeit und Erbrechen, psychosoziale Betreuung von onkologischen Patienten). Hinzu kam die Verarbeitung von belastenden Situationen. Die Praxisanleiter nehmen hierbei eine begleitende und steuernde Funktion ein und achten darauf, dass alle Kompetenzen der Schüler gefördert werden und nicht das Erlernen spezieller Pflegetechniken im Vordergrund steht. Schülerstation: Wenn die Schüler in die Rolle der examinierten Pflegekräfte schlüpfen, übernehmen sie für einen bestimmten Zeitraum alle anfallenden Tätigkeiten. Die Pflegekräfte beobachten die Arbeit der Schüler aus dem Hintergrund und können im Notfall eingreifen oder bei Fragen zur Seite stehen. Auf Grund der Komplexität der anfallenden Aufgaben empfiehlt es sich, diese Anleitungsform erst ab dem dritten Ausbildungsjahr anzuwenden. Bei der Schülerstation werden alle Kompetenzen gefördert und gefordert. Besonders im Fokus stehen allerdings die Methoden- und die Sozialkompetenz. Als Schüler hat man im normalen Stationsalltag wenig bis kaum die Möglichkeit einer allumfassenden Versorgung der Patienten. Es ist vielfach so, dass ein Schüler einen Auftrag bekommt und diesen durchführt ohne die gesamte Situation des Patienten oder das weitere Behandlungsprocedere erfassen zu können. Auch fehlt vielen Pflegeschülern, auch im dritten Ausbildungsjahr, noch die notwendige Flexibilität, auf veränderte Situationen reagieren zu können, da ihnen dies in der Regel vielfach durch examiniertes Pflegepersonal abgenommen wird. Somit haben sie wenige Chancen, die Komplexität der allumfassenden Patientenversorgung zu begreifen und selbstständig durchzuführen. Ebenso gibt es für die meisten Schüler wenig Möglichkeiten für eine Zusammenarbeit mit anderen Berufsgruppen. Daher bietet die Schülerstation eine ideale Möglichkeit, die genannten Lernschwierigkeiten im geschützten Rahmen anzugehen. Schülerstation bringt Souveranität Erfahrungsgemäß gehen die Auszubildenden nach der Teilnahme an einer Schülerstation gefestigter und souveräner in die nächsten Einsätze – und in die praktische Prüfung. Während dieser Zeit haben sie die Möglichkeit, verschiedene Pflegesysteme auszuprobieren und ihre Arbeitsweise selbstständig zu planen, durchzuführen und zu evaluieren. Das ist während eines „normalen“ Einsatzes eher selten und oft nur punktuell möglich. Zudem lernen die Auszubildenden die verschiedenen Tätigkeitsfelder wie die Aufgaben einer Stationsleitung oder das Schreiben eines Dienstplans kennen. Sie erhalten auch die Chance, den Aufgabenbereich der Stationssekretärin kennenzulernen. Der Umgang mit dem PC beziehungsweise dem Krankenhausinformationssystem und die Begleitung sowie die Ausarbeitung der Visite sind ebenfalls Tätigkeiten, die bisher weniger von den Schülern übernommen und die gern während dieser Zeit durchgeführt werden. Darüber hinaus lernen die Auszubildenden während ihrer Zeit auf der Schülerstation flexibles Arbeiten, die Wichtigkeit der Kommunikation, Planung und Evaluation ihrer Pflegemaßnahmen oder die Zusammenarbeit mit anderen Berufsgruppen. Die begleitenden Pflegekräfte, im besten Fall Praxisanleiter der Station, nehmen dabei eine Doppelrolle ein. Einerseits beobachten sie die Handlungen der Schüler aus dem Hintergrund. Andererseits leiten sie an oder greifen im Notfall in das Geschehen ein. Der Spagat zwischen dezenter Beobachtung und Anleitung beziehungsweise aktivem Eingreifen ist stellenweise schwer abzugrenzen. Hier müssen sich die Begleiter der „Schülerstation“ im Vorfeld einigen, wann und in welchem Rahmen sie sich aktiv in eine Situation einbringen. Zudem sollte innerhalb der Vorbereitungsphase den Schülern mitgeteilt werden, welche Rolle die begleitenden Pflegekräfte einnehmen. Während dieser Anleitungszeit ist es wichtig, dass den Schülern die Möglichkeit zur Evaluation ihrer Arbeit und Handlungen gegeben wird. Zudem sollten sie von den Anleitern und den begleitenden Pflegekräften regelmäßig (im Idealfall nach jedem Dienst) ein Feedback ihrer Leistungen bekommen. Nur so können die Schüler die Anleitungsform der „Schülerstation“ effektiv nutzen. Es braucht viel Organisation Sowohl die Durchführung von Lerninseln als auch die Umsetzung der Schülerstation erfordern viel Planung und Organisation im Vorfeld und Zeit zur Nachbereitung. Diese muss den Praxisanleitern selbstverständlich eingeräumt werden. Daher ist es für Einrichtungen, welche diese Projekte auf Dauer in ihr Praxisanleitungskonzept implementieren möchten, empfehlenswert, zusätzlich zu den stationären Praxisanleitern auch zentrale Praxisanleiter, welche ihre gesamte Arbeitszeit für Praxisanleitung freigestellt sind, einzusetzen. Alle hier kurz dargestellten Anleitungsmethoden bieten sowohl Pflegeschülern als auch Praxisanleitern einen geschützten Raum für eine qualitativ hochwertige Ausbildung. Neben der Stärkung der Rolle des Praxisanleiters und einer guten Möglichkeit, die zukünftig gesetzlich bundesweit geforderten 10 % Anleitungszeit in der praktischen Pflegeausbildung umzusetzen, dienen diese Konzepte auch der eigenen Nachwuchsgewinnung und somit Zukunftssicherung in der Pflege. Fazit Beide Akteure der praktischen Pflegeausbildung, Praxisanleiter und Pflegeschüler, benötigen einen geschützten Raum für Anleitung, um eine qualitativ hochwertige Ausbildung zu bieten beziehungsweise zu erleben. Es gilt daher, auf Dauer optimale Lern- und Lehrbedingungen zu schaffen. Jede Ausbildungseinrichtung sollte dazu ein praktikables Praxiskonzept zusammen mit den Praxisanleitern und allen an der Ausbildung beteiligten Partnern entwickeln. Neben der üblichen Einzelanleitung lohnt es sich, alternative Anleitungsformen wie die Lerninsel oder die Schülerstation auszuprobieren. Literatur bei den Verfasserinnen Johanna Heß Zentrale Praxisanleiterin Canisius Campus Dortmund GmbH Katholische Akademie für Gesundheitsberufe Sonnenstr. 171 | 44137 Dortmund E-Mail: johanna.hess@canisiuscampus.de Nicole Netthöfel Zentrale Praxisanleiterin Canisius Campus Dortmund GmbH Katholische Akademie für Gesundheitsberufe Sonnenstr. 171 | 44137 Dortmund E-Mail: nicole.netthoefel@canisiuscampus.de

Springerpflege

Bitte loggen Sie sich ein, um Zugang zu diesem Inhalt zu erhalten