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Erschienen in: Notfall +  Rettungsmedizin 2/2012

01.03.2012 | Medizinrecht

Polizeiliche Strafverfolgungsmaßnahmen am Notfallort

verfasst von: Dr. E. Killinger

Erschienen in: Notfall + Rettungsmedizin | Ausgabe 2/2012

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Zusammenfassung

Wird der Notarzt am Notfallort von der Polizei ersucht, bestimmte medizinische Untersuchungen und Eingriffe am Patienten zum Zwecke der Beweissicherung vorzunehmen, so ist dieser zwar grundsätzlich wegen seiner ärztlichen Approbation als Sachverständiger verpflichtet, dem Ersuchen nachzukommen, aber in den Fällen, in denen die Notfallbehandlung keinen Aufschub duldet oder in denen der Notarzt zuvor bereits mit der Behandlung seines Patienten begonnen hat, kann der Notarzt das Ersuchen der Polizei regelmäßig ablehnen. Es ist der Vorrang der Notfallbehandlung zu beachten, d. h. soweit es für eine medizinisch fachgerechte Notfallbehandlung notwendig erscheint, sind polizeilich angeordnete Untersuchungen und Eingriffe, die allein Ermittlungszwecken dienen, nachrangig. Sollte ein Notarzt seine Mitwirkung einmal zu Unrecht verweigern, droht ihm nur dann ein Bußgeld, wenn hinter der polizeilichen Anordnung auch eine, zumindest mündliche, Anordnung der Staatsanwaltschaft steht. Den Notarzt trifft keine Nachprüfungspflicht der Rechtmäßigkeit einzelner von der Polizei gegenüber dem Patienten angeordneter medizinischer Zwangsmaßnahmen. Der Notarzt darf sich nur nicht an offensichtlich rechtswidrigen Maßnahmen beteiligen. In Sterbefällen ist er bundesweit nicht zur Vornahme einer vollständigen Leichenschau verpflichtet, wenn er dadurch in seinen rettungsdienstlichen Aufgaben behindert wird.
Fußnoten
1
In Bayern sind z. B. erst Polizeibeamte ab dem Dienstgrad Polizei/-Kriminalmeister Ermittlungspersonen im Sinne von § 152 GVG, siehe § 1 der Verordnung über die Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft.
 
2
Meyer-Goßner, StPO, § 81a Rn. 20 ff.
 
3
Meyer-Goßner, StPO, Einl, Rn 76.
 
4
Meyer-Goßner, StPO, § 152, Rn 4.
 
5
Meyer-Goßner, StPO, § 81c, Rn 10.
 
6
45.00StPO, § 81c, Rn 10.
 
7
Z. B.: Stichwunden, Einschusskanal, Blutspuren, Spermienreste, Hautreste unter den Fingernägeln; Meyer-Goßner, StPO, § 81c, Rn 12.
 
8
Z. B.: Hautabschürfungen, Zahnlücken, Krankheitszustände; Meyer-Goßner, StPO, § 81c, Rn 13.
 
9
Vgl. Killinger, Die Besonderheiten der Arzthaftung im medizinischen Notfall, Rn. 12 ff.
 
10
Vgl. Art. 2 Abs. 2 Satz 2 BayRDG. Die Definition gilt aber auch bundesweit, vgl. Killinger, Die Besonderheiten der Arzthaftung im medizinischen Notfall, Rn. 67 ff.
 
11
So die herrschende Ansicht: Laufs/Kern, Handbuch des Arztrechts, § 150, Rn. 33; Meyer-Goßner, StPO, Vor § 72, Rn. 4; Narr, Ärztliches Berufsrecht, Band II, Rn. B 214; Lippert, DMW 1980, 1338; LG Trier Beschl. v. 03.11.1986, Az. Qs 265/86 ( = NJW 1987, 722). Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus BAG Urt. v. 14.05.1987, Az. 6 AZR 555/85 ( = NJW 1988, 1547 f.), da es dort nur um den ärztlichen Bericht ging, der im Anschluss an eine bereits vorgenommene Blutentnahme gefertigt wird. Dass die Tätigkeit im Rahmen der Blutentnahme selbst eine gutachterliche Tätigkeit ist, wurde in der Entscheidung nicht in Zweifel gezogen.
 
12
LG Trier Beschl. v. 03.11.1986, Az. Qs 265/86 ( = NJW 1987, 722); Narr, Ärztliches Berufsrecht, Band II, Rn. B 214.
 
13
Vgl. bei Angestellten in Universitätskrankenhäusern § 41 Nr. 2 (§ 3 Abs. 11 und Abs. 12) TV-L und bei Angestellten in Kommunalen Krankenhäuser § 4 Abs. 3 und 4 TV-Ärzte/VKA, sowie BAG Urt. v. 14.05.1987, Az. 6 AZR 555/85 ( = NJW 1988, 1547 f.). Ist der Arbeitgeber des Arztes zugleich auch der Rechtsträger der Personen, die den Gutachtenauftrag erteilen, so ist der Arzt zur Annahme des Auftrags verpflichtet. Ist der Auftraggeber ein Dritter, so kann der Arbeitgeber seine angestellten Ärzte einzelvertraglich verpflichten, auch dem Dritten gegenüber das Gutachten zu erstellen, was wohl regelmäßig in den Einzelarbeitsverträgen umgesetzt wird. Diese Umsetzung ist Voraussetzung dafür, dass der Arzt auch einem Dritten gegenüber verpflichtet ist.
 
14
Z. B.: Polizeiärzte, Amtsärzte und Ärzte an rechtsmedizinischen Instituten der Universitäten, Lippert, DMW 1980, 1339.
 
15
BGH Urt. v. 06.12.2001, Az.: 1 StR 468/01 ( = MedR 2002, 309 f.); Laufs/Kern, Handbuch des Arztrechts, § 150, Rn. 33; Meyer-Goßner, StPO, § 53, Rn. 20.; Narr, Ärztliches Berufsrecht, Band II, Rn. B 214.
 
16
Laufs/Kern, Handbuch des Arztrechts, § 150, Rn. 33; Meyer-Goßner, StPO, § 53, Rn. 20. Zu den Befundtatsachen und Zusatztatsachen siehe Fn. 49.
 
17
Meyer-Goßner, StPO, § 53, Rn. 20.
 
18
Meyer-Goßner, StPO, § 81a, Rn 17.
 
19
Meyer-Goßner, StPO, § 81a, Rn 17.
 
20
Im Ergebnis auch Lippert, DMW 1980, 1338 (1339).
 
21
Siehe hierzu insgesamt: Narr, Ärztliches Berufsrecht, Band II, Rn. B 214.
 
22
Siehe hierzu die Einleitung.
 
23
OLG Bamberg Urt. v. 19.03.2009, Az. 2 Ss 15/09 ( = NJW 2009, S. 2146 ff.).
 
24
Bewegt sich der Wert bei der Atemalkoholkontrolle um einen Schwellenwert (z. B. 1,1 [absolute Fahruntüchtigkeit], 2,0 [verminderte Schuldfähigkeit] oder 3,0 Promille [Schuldunfähigkeit]), so kann eher Gefahr im Verzug für eine Blutentnahme vorliegen, Ritzert in: Graf, BeckOK StPO, § 81a Rn. 26. In der Rechtsprechung wird auch diskutiert, ob zumindest in Gebieten, in denen nachts typischerweise viele Blutprobenentnahmen angeordnet werden, zur Nachtzeit (s. Fn. 25) ein richterlicher Eildienst bestehen muss, der in diesen Fällen kontaktiert werden kann, so: OLG Hamm (3 Senat) Urt. v. 18.08.2009, Az. 3 Ss 293/08 ( = NJW 2009, 3109 ff.). A. a.: OLG Hamm (4 Senat) Urt. v. 10.09.2009, Az. 4 Ss 316/09; OLG Oldenburg Urt. v. 15.04.2010, Az. 2 SsBs 59/10.
 
25
§ 104 Abs. 3 StPO: Nachtzeit = 21.00 bis 04.00 Uhr (von Oktober bis März 2 h länger, d. h. bis 06:00 Uhr).
 
26
Vgl. BVerfG Beschl. v. 12.02.2007, Az. 2 BvR 273/06 ( = NJW 2007, 1345 ff.). Die Polizei hat sich, ist ein Richter nicht erreichbar, hilfsweise um eine Anordnung durch die Staatsanwaltschaft zu bemühen. Erst wenn auch dies erfolglos war, hat die Polizei als Ermittlungsperson eine Eilkompetenz, vgl. BVerfG Beschl. v. 12.02.2007, a. a. O.
 
27
So BVerfG Urt. v. 10.06.1963, Az. 1 BvR 790/58, ( = NJW 1963, S. 1597) für die Liquorentnahme.
 
28
BGH Urt. v. 29.04.2010, Az. 5 StR 18/10 ( = NJW 2010, 2595 ff.).
 
29
BGH Urt. v. 29.04.2010, Az. 5 StR 18/10; LG Trier Beschl. v. 03.11.1986, Az. Qs 265/86 ( = NJW 1987, 722).
 
30
So: LG Trier Beschl. v. 03.11.1986, Az. Qs 265/86 ( = NJW 1987, 722).
 
31
Meyer-Goßner, StPO, § 163, Rn. 39; Narr, Ärztliches Berufsrecht, Band II, Rn. B 214.
 
32
Lippert, DMW 1980, 1338.
 
33
Narr, Ärztliches Berufsrecht, Band II, Rn. B 214. Für eine Strafbarkeit nach § 258 StGB muss allerdings auch ein entsprechender Vorsatz nachgewiesen werden, d. h. der Notarzt muss es beabsichtigen oder zumindest als sichere Folge voraussehen, dass der Betroffene aufgrund der Weigerung möglicherweise nicht, nur geringer oder verzögert bestraft wird.
 
34
Meyer-Goßner, StPO, § 81a Rn. 26. Dies gilt auch für richterliche Anordnungen, die zumindest vorab mündlich mitgeteilt werden können, siehe: BVerfG Beschl. v. 11.06.2010, Az. 2 BvR 1046/08 ( = NJW 2010, 2864 ff.); OLG Hamm Urt. v. 25.08.2008, Az. 3 Ss 318/08 ( = NJW 2009, S. 242 ff.); BGH Urt. v. 18.04.2007, Az. 5 StR 546/06 ( = NJW 2007, S. 2269).
 
35
Meyer-Goßner, StPO, § 81a Rn. 27.
 
36
Wurde jedoch eine Blutprobe zunächst aus rein medizinischen Zwecken entnommen, so kann diese von den Strafverfolgungsorganen später auch zur Bestimmung der Blutalkoholkonzentration verwendet werden, wenn eine Anordnung nach § 81a StPO zum Zeitpunkt der Entnahme zulässig gewesen wäre, Laufs/Kern, Handbuch des Arztrechts, § 150, Rn. 32.
 
37
So für die rechtswidrige Anordnung einer Blutentnahme: OLG Brandenburg Urt. v. 16.12.2010, Az. 2 U 24/09. Der Betroffene kann gegen die Anordnung Beschwerde einlegen, wenn sie ein Richter erlassen hat, oder die gerichtliche Entscheidung beantragen, wenn die Anordnung von der Staatsanwaltschaft oder Polizei stammt. Da die Strafverfolgungsmaßnahmen am Notfallort in aller Regel sofort vollzogen werden, bleibt dem Betroffenen in diesen Fällen nur die Möglichkeit, im Nachhinein die Rechtmäßigkeit der Anordnung der Maßnahme überprüfen und deren Rechtswidrigkeit feststellen zu lassen sowie ggf. die Verwertbarkeit der erhobenen Beweise in einem späteren Strafverfahren anzugreifen.
 
38
Vgl. BGH Urt. v. 29.04.2010, Az. 5 StR 18/10 ( = NJW 2010, 2595 ff.), für die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Arztes bei einem körperlichen Eingriff nach § 81a StPO, dessen Anordnung (anfänglich) rechtmäßig, aber dessen Durchführung nicht lege artis war.
 
39
Der Arzt wird hier insoweit als Sachverständiger tätig und für einen Sachverständigen gelten für medizinische Behandlungen, die im Rahmen der Sachverständigentätigkeit erfolgen, die allgemeinen ärztlichen Sorgfaltspflichten, BGH Urt. v. 05.10.1972, Az. III ZR 168/70 ( = NJW 1973, 554 ff.).
 
40
BGH Urt. v. 29.04.2010, Az. 5 StR 18/10 ( = NJW 2010, 2595 ff.).
 
41
BGH Urt. v. 29.04.2010, Az. 5 StR 18/10 ( = NJW 2010, 2595 ff.).
 
42
In Baden-Württemberg ist dies z. B. ausdrücklich im Rettungsdienstgesetz (§ 6 Abs. 1 S. 3 RDG Baden-Württemberg) geregelt.
 
43
Siehe zur Schweigepflicht der Notärzte: Lissel, N + R 2006, 205 ff.
 
44
BGH Urt. v. 30.04.1997, Az. 2 StR 670/96 ( = NJW 1997, 2059 ff.): Für Beamte besteht auch unter Berücksichtigung des Gebots von gegenseitiger Rechts- und Amtshilfe (Art. 35 GG) keine allgemeine Pflicht, ihnen bekannt gewordene Straftaten anzuzeigen.
 
45
Neben Straftaten gegen den demokratischen Rechtsstaat sind dies insbesondere Delikte wie Mord, Totschlag, Raub, räuberische Erpressung sowie Delikte der Freiheitsentziehung und der Brandstiftung.
 
46
BGH Urt. v. 08.10.1968, Az. VI ZR 168/67 ( = NJW 1968, 2288 ff.).
 
47
Lissel, N + R 2006, 205 (209).
 
48
Lissel, N + R 2006, 205 (209).
 
49
Meyer-Goßner, StPO, § 76 Rn. 2. Befundtatsachen sind die Anknüpfungstatsachen für das Gutachten, die der Arzt aufgrund seiner Sachkunde selbst festgestellt hat. Zusatztatsachen sind das Gutachten vorbereitende Tatsachen, zu deren Ermittlung keine besondere medizinische Sachkunde erforderlich ist, Meyer-Goßner, StPO, § 79, Rn. 10 und Rn. 11.
 
Metadaten
Titel
Polizeiliche Strafverfolgungsmaßnahmen am Notfallort
verfasst von
Dr. E. Killinger
Publikationsdatum
01.03.2012
Verlag
Springer-Verlag
Erschienen in
Notfall + Rettungsmedizin / Ausgabe 2/2012
Print ISSN: 1434-6222
Elektronische ISSN: 1436-0578
DOI
https://doi.org/10.1007/s10049-011-1530-0

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