Mit großer Zähigkeit haben Union und SPD über die generalistische Pflegeausbildung gestritten. Jetzt will die Koalition aufs Tempo drücken – am besten ohne erneute Anhörung. Die Opposition warnt genau davor.
Eigentlich ist die Reform der Pflegeberufe in trockenen Tüchern. Anfang April haben sich Union und SPD nach zähen koalitionsinternen Querelen auf einen Kompromiss geeinigt. Seitdem herrschte Schweigen. Jetzt aber könnte das parlamentarische Verfahren neue Fahrt aufnehmen. Weil die erwarteten Änderungen fundamental sein werden, fordern Opposition, aber auch Ärzteverbände eine erneute Anhörung im Gesundheitsausschuss.
Kommende Woche wird die Formulierungshilfe erwartet, die im Bundesgesundheitsministerium (BMG) für die Koalitionsfraktionen erarbeitet worden ist. Und die wird es in sich haben. Ende April hatten BMG und das Bundesfamilienministerium eine "Roadmap" vorgelegt, in der die Änderungen im Vergleich zum Regierungsentwurf skizziert werden. Das Papier, das der "Ärzte Zeitung" vorliegt, führt rund 50 Punkte auf.
Die Kompromissformel heißt "2 plus 1"
Denn der Umarbeitungsbedarf ist groß: Eine durchgehend generalistische Ausbildung in allen Pflegeschulen wird es nicht geben. Grund dafür ist der anhaltende Widerstand aus der Union – man fürchtete, zu hohe Ausbildungsanforderungen könnten insbesondere Hauptschüler von einer Ausbildung in der Altenpflege abschrecken. Der Regierungsentwurf, den die Ressortminister Manuela Schwesig (SPD) und Hermann Gröhe (CDU) im Januar 2016 präsentierten, muss komplett überarbeitet werden. Der Kompromiss lautet "2 plus 1": Für alle Azubis soll es eine zweijährige generalistische Ausbildung geben. Im dritten Jahr können die Schüler in der Alten- und Kinderkrankenpflege zwischen einem generalistischen oder einem spezifischen Ausbildungsweg wählen. Nach sechs Jahren soll evaluiert werden: Haben mehr als 50 Prozent den gemeinsamen Ausbildungszweig gewählt, dann soll der eigenständige Berufsabschluss nicht mehr fortgeführt werden. Starten sollen die Neuregelungen ab dem Ausbildungsjahr 2019.
Nötig wird durch diesen Kompromiss ein neuer Teil 5 des Gesetzentwurfs, in dem die differenzierten Berufsabschlüsse der Gesundheits- und Kinderkrankenpflege sowie der Altenpflege geregelt sind. In diesen zusätzlichen Paragrafen 64 bis 68 werde die Unterscheidung zwischen der im dritten Jahr spezialisierten Ausbildung im Vergleich zur durchgängigen Generalistik abgehandelt.
Die Formulierungshilfe aus dem BMG ist die Basis für die Änderungsanträge, die Union und SPD dem Gesundheitsausschuss vorlegen werden. Dann soll sich entscheiden, ob eine erneute Experten-Anhörung angesetzt wird. Die möchten Teile der Regierungsfraktionen gerne vermeiden. Erstens aus Zeitgründen, zweitens gäbe die Anhörung den Verbänden letztmalig eine Bühne, um den fragilen und vielfach ungeliebten Kompromiss doch noch aufzuknacken. Zum dritten könnte ein heterogenes Meinungsbild bei der Anhörung die Generalistik-Gegner wieder auf den Plan rufen, die in Union und SPD einflussreich sind.
Die Wahlkämpfer in der großen Koalition wollen das Reformgesetz aber auf jeden Fall durchsetzen – allein schon für die eigene Leistungsbilanz. Deshalb heißt es in Koalitionskreisen, dass man eher keine Anhörung mehr ansetzen wolle.
Das sieht die Opposition anders. Elisabeth Scharfenberg, pflegepolitische Sprecherin der Grünen, hat ausreichend Zeit für die Beratung der geplanten Änderungen angemahnt – inklusive einer Anhörung im Ausschuss. Pia Zimmermann, pflegepolitische Sprecherin der Linken im Bundestag, sieht das genauso: "Grundlegende Veränderungen am Gesetzentwurf müssen öffentlich diskutiert werden. Deshalb befürworten wir eine weitere Anhörung", sagte Zimmermann der "Ärzte Zeitung". Aber auch sie mahnt, das Gesetz müsse noch in dieser Legislatur kommen. "Sonst geht weitere wertvolle Zeit verloren, um den Pflegeberuf attraktiver zu machen".