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30.01.2018 | Politik | Nachrichten

NRW auf dem Weg in die Selbstverwaltung

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Es wird ernst in Nordrhein-Westfalen. Schon bald sollen die Pflegekräfte des Landes über ihre Selbstverwaltung abstimmen. Kammer oder Pflegering lautet die Frage. Im Interview erklärt Ludger Risse, was diese Entscheidung so wichtig macht.

New Content Item © privatLudger Risse ist Pflegedirektor am St. Christophorus Krankenhaus in Werne. Im Ehrenamt engagiert sich der Dipl. Pflegewirt (FH) als Stellvertretender Vorsitzender im Bundesverband Pflegemanagement und als Vorsitzender des Landespflegerates in Nordrhein-Westfalen.

Herr Risse, in Nordrhein-Westfalen steht die Entscheidung der Pflegenden über eine Pflegekammer bevor – wann ist der genaue Termin? Und welche Pflegenden entscheiden darüber?

Derzeit werden im Ministerium die Ausschreibung für die Befragung sowie die damit verbundenen Informationsmöglichkeiten vorbereitet. Ein unabhängiges Institut soll die Befragung durchführen. Gleichzeitig soll laut Minister Karl-Josef Laumann der Entwurf des Kammergesetzes vor der Befragung fertiggestellt sein, damit die Pflegenden genau wissen, worüber sie abstimmen. Befragt wird dann wohl ein Querschnitt aus allen drei Pflegefachberufen.

Stimmt es, dass Sie in NRW nicht mehr darüber entscheiden, ob eine solche Kammer kommt, sondern nur darüber, welcher Art die Interessenvertretung ist?

Ja, das stimmt. Es wird nicht darüber abgestimmt, ob die Pflegekammer kommen soll – wie es in anderen Bundesländern der Fall war. Wir, die Pflegenden in NRW, stimmen darüber ab, ob eine Kammer mit allen Rechten und Pflichten geschaffen wird oder eine Einrichtung nach dem bayerischen Modell des sogenannten Pflegerings.

Welche Vorteile hätte denn der Pflegering nach bayrischem Vorbild?

Für die Pflegenden sehe ich keinen Vorteil. Einen Nutzen vom Pflegering haben eher diejenigen, die kein oder wenig Interesse an einer starken qualitätsorientierten und vor allem selbstständigen Pflege haben. Beispielsweise die Arbeitgeber.

Der bpa spricht sich ja sehr für den Pflegering aus. Denn auch Arbeitgeber werden dort in ihrer Funktion Mitglied und nehmen Einfluss. Zudem wird der Pflegering in Bayern mit seinen freiwilligen Mitgliedern vom Bayerischen Staatsministerium für Gesundheit und Pflege finanziert und damit auch gesteuert. Und das kann für die Pflege kein Vorteil sein – es ist Abhängigkeit.

Kammergegner sagen, der Pflegering kostet keinen „Zwangsbeitrag“ und sehen darin einen Vorteil. Die Kammerbeiträge aber, die von der von Pflegekräften gewählten Kammer festgelegt werden, werden sehr moderat und obendrein steuerlich absetzbar sein. Wir reden da etwa über 3 Promille vom Bruttoverdienst! Und: Sie sichern uns unsere Unabhängigkeit von anderen staatlichen Organen.

Und wo liegen die Vorteile einer regulären Kammer – wie sie aktuell in Rheinland-Pfalz und demnächst auch in Schleswig-Holstein und Niedersachen existiert?

Das Gesundheitswesen wird durch die Selbstverwaltung gesteuert, zum Beispiel durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA). Da es ohne Kammer keine pflegerischen Organe der Selbstverwaltung gibt, gestaltet Pflege im G-BA nicht mit – sie wird gestaltet.

Bestes Negativbeispiel ist die Ausgestaltung des DRG-Systems, das ganz stark an ärztliche Leistungen gekoppelt ist. Die Folge: Abbau von Pflegestellen und gleichzeitiger Aufbau von Arztstellen, da Ärzte den Erlös beeinflussen und Pflege Kosten verursacht. Hätte eine starke Bundespflegekammer hier seinerzeit mitwirken können, hätten wir vielleicht eine Entwicklung, bei der auch Pflegeleistungen zu klaren Erlösen führen. Pflege muss in der Selbstverwaltung zukünftig auf Augenhöhe – auch gegenüber der Politik – agieren können. Das geht aber nur mit der Power der Kammer.

Aktuell ist eine Bundespflegekammer ja schon in Gründung. Wie weit ist man da?

Im Augenblick gibt es Überlegungen, wie eine Bundespflegekammer zu gestalten ist. Eine Gründung kann jedoch erst erfolgen, wenn es drei Landespflegekammern gibt. Aber das wird ja in absehbarer Zeit der Fall sein.

Die Mitglieder eines Pflegerings werden aber nicht in eine Bundespflegekammer integriert?

Nein, Bayern wird außen vor bleiben und kein Mitglied der Bundespflegekammer sein können. Sollte sich also die Pflege in NRW mehrheitlich für den Pflegering entscheiden, wäre auch das größte Bundesland auf Bundesebene nicht beteiligt. Das darf nicht passieren!

In Niedersachsen ging man ursprünglich von 70.000 zu registrierenden Pflegenden aus. Inzwischen kratzt man an der 100.000 Marke. Eine gewaltige Macht! Mit welchen Zahlen rechnen Sie in NRW, wenn es zu einer Kammer mit Pflichtmitgliedschaft kommt?

Zunächst mal zeigt das Beispiel Niedersachsen ganz deutlich, wie notwendig eine Registrierung ist. Wir kennen bislang nur wenige Zahlen, geschweige denn Daten beispielsweise zur Altersstruktur. Dabei ist es doch gesamtgesellschaftlich elementar zu wissen, wie viele Berufsangehörige es gibt und wie viele kurz vor dem Renteneintritt stehen.

Durch die Registrierung wird das anders. Damit gibt es erstmals eine Planungsgrundlage. Bisher wissen wir, dass in NRW ca. 195.000 Pflegekräfte durch die Arbeitgeber gemeldet sind. Da fehlen bestimmt einige, beispielsweise die Freiberufler. Es werden somit vermutlich deutlich über 200.000 sein. Das wird spannend!

Im Vorfeld einer Befragung besteht ein großes Informationsbedürfnis – wo kann ich mich informieren? Wo finden entsprechende Veranstaltungen für Pflegende statt?

Der Pflegerat NRW ist hier immer Ansprechpartner, ebenso wie seine Mitgliedsverbände. Ein Blick auf die Homepage informiert, auch der Förderverein zur Errichtung einer Pflegekammer in NRW sowie der DBfK sind hier immer aktuell. Pflegewiki ist auch ein neutraler Tipp.

Im Land verteilt finden laufend Info-Veranstaltungen statt, auf der Homepage steht, wo und wann diese stattfinden. Auch lohnt es sich, in den sozialen Netzwerken mitzudiskutieren: auf Facebook gibt es die Gruppe Pflegekammer NRW Info-Austausch, auf Twitter Pflegekammer NRW. Außerdem gibt es den YOUTUBE Kanal KammerflimmernNRW mit interessanten Informationsfilmen, die laufend ergänzt werden. Und eine zentrale Koordinationsstelle der Veranstaltungen zur Kammerentscheidung wird gerade eingerichtet.

 Mit Ludger Risse sprach Katja Kupfer-Geißler

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