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21.06.2018 | Politik | Nachrichten

Nachgefragt bei Friedhelm Fiedler

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Beim Thema Pflege beherrschen vor allem Negativmeldungen die Schlagzeilen: vom Personalnotstand über Qualitätsmängel in der Versorgung bis hin zur Kostenexplosion im Bereich der sozialen Pflegeversicherung.  Der Arbeitgeberverband Pflege (AGVP) sieht im Interview mit Springer Pflege jedoch auch positive Entwicklungen  

„Das Thema Pflege wird natürlich davon geprägt, wie Medien berichten“, sagt Friedhelm Fiedler, Vizepräsident des AGVP in Berlin. Selbst lange Jahre in führenden Positionen bei Zeitungs- und Zeitschriftenverlagen kritisiert der 69-Jährige, dass viele Medien heutzutage meinten, nur mit schrillen Nachrichten Schlagzeilen machen zu können.

Herr Fiedler, wie steht es um die Pflege in Deutschland?

Fiedler: „Die Lage ist viel besser als geschildert wird. Ich würde mir wünschen, dass in eine der vielen Talkshows ein Pflegeazubi eingeladen wird, der mal die andere Sicht schildert. Die Wahrheit ist, dass viele Pflegekräfte zufrieden sind mit ihrer Arbeit und auch, dass viele Bedürftige mit ihren Pflegeleistungen zufrieden sind“.

Laut amtlicher Zahlen steigt das Interesse an einer Ausbildung im Pflegebereich. Woher kommt dieser Boom?

Fiedler: In der Tat gibt es derzeit in Deutschland rund 68.000 Ausbildungsverträge in diesem Bereich. Nur zehn Ausbildungsberufe können steigende Zahlen vermelden und die Pflege ist einer davon. Die Bundesagentur für Arbeit hat bestätigt, dass die Verweildauer von Pflegekräften in ihrem Beruf mit durchschnittlich 19 Jahren vergleichsweise hoch ist und auch die Abbrecherquote in der Ausbildung liegt eher im unteren Drittel. Also scheint der Pflegeberuf doch attraktiv zu sein, eine hochspannende, wenn auch sehr anstrengende Tätigkeit. Als Verband sind wir froh, dass die Bundesregierung nun ihre Pläne reformieren will, eine generalistische Altenpflegeausbildung einzuführen. Die wäre in ihren theoretischen Teilen völlig überzogen gewesen und hätte vor allem auf Hauptschüler abschreckend gewirkt. Eine Verwissenschaftlichung darf es nicht geben. Hinzu kommt, dass der Durchschnittslohn für eine ausgebildete Pflegekraft bundesweit inzwischen bei über 2.750 Euro liegt, das ist vergleichsweise ordentlich für einen klassischen Lehrberuf. Und aufgrund des Prinzips von Angebot und Nachfrage kann ich mir vorstellen, dass sich der Trend der Lohnsteigerungen in den nächsten drei bis vier Jahren fortsetzen wird.

Stichwort Lohnkosten. Ihr Verband fürchtet, dass sich die Politik mit einem flächendeckenden, allgemeinverbindlichen Tarifvertrag für die Altenpflege durchsetzt. Warum?

Fiedler: Die Pflegekassen sind im Minus, die Reserven schmelzen dahin. Der Beitrag zur Pflegeversicherung muss demnächst deutlich erhöht werden, die Anzahl der Pflegebedürftigen wird weiter steigen um rund 160.000 pro Jahr und somit wird auch mehr Personal benötigt. Das kostet alles viele Milliarden. Wenn so ein flächendeckender Tarifvertrag käme, den wir als Arbeitgeberverband aber ablehnen wäre der schlechteste Weg, wenn die Pflegebedürftigen über höhere Zuzahlungen alles allein zahlen müssten. Ich denke, man braucht irgendwo einen Mix. Aus Finanzierung über Steuermittel und einer Querfinanzierung durch die Krankenkassen. Die schwimmen im Moment noch im Geld. Es ist ein Unding, welch hohe Reserven sie in den vergangenen Jahren angehäuft haben. 

Kommt die Ankündigung, dass der Pflegebeitrag deutlich erhöht werden muss, überraschend?

Fiedler: Das Schlimme in der Politik ist doch, dass mit Unwahrheiten operiert wird. Da will ich den neuen Bundesgesundheitsminister Spahn jetzt mal ausnehmen, aber wenn ich mir die Vorgängertruppe anschaue -  was haben die uns alles versprochen? Dass die Pflegeversicherung bis 2022 sicher ist und jetzt stellen wir fest, die Berechnungsgrundlagen sind falsch, wir haben ein Defizit in den Pflegekassen.

In Deutschland organisieren sich immer mehr Pflegekammern in den Bundesländern. Zurzeit läuft die Kammerwahl in Niedersachsen. Als Arbeitgeberverband lehnen sie eine solche Einrichtung naturgemäß ab...

Fiedler: Ja, es gibt kaum ein Bundesland, wo nicht versucht worden ist, bei den Befragungen der Pflegekräfte, ob sie eine Kammer wollen, zu tricksen. Es ist en vogue, eine Kammer zu gründen, aber jede Kammer ist ein bürokratisches Monster, das nichts bewirken wird. Ist in der ersten deutschen Kammer in Rheinland-Pfalz etwas Bedeutsames erreicht worden? Schaufensterreden ohne Ende. Und eine Bundespflegekammer brauchen wir schon drei Mal nicht. Haben wir denn keine anderen Sorgen?

Mitte Mai haben Sie die BAGAP, die Bundesarbeitsgemeinschaft Ausländischer Pflegekräfte gegründet – zusammen mit sechs anderen Verbänden. Mit welchem Ziel?

Fiedler: Wir wollen vor allem vorantreiben, dass Deutschland endlich ein Einwanderungsgesetz bekommt. Das hätte schon vor zehn Jahren passieren müssen, aber die Politik hat gebremst. Ich bin zuversichtlich, dass dann junge und ältere Menschen auch aus Drittstaaten zu uns kommen werden. Wenn ich mir viele Länder in Asien angucke, dort werden Menschen exzellent ausgebildet in Sachen Pflege. Die haben in der Regel ein Studium, da müsste noch nachgeschult werden, weil noch praktische Einheiten fehlen. Wichtig ist auch, dass das Sprachniveau - auf die Stufe B2 - gehoben wird. Wir haben schon heute viele Menschen geholt, die in ihrer Heimat wenig Perspektiven gehabt haben. Ich denke, bis Ende dieses Jahres sehen wir deutlich klarer, wohin die Reise bei uns geht. Herr Spahn hat das Thema jedenfalls erkannt.

Der Arbeitgeberverband Pflege (AGVP) wurde 2009 gegründet. Er versteht sich als politische, wirtschaftliche und tarifliche Interessensvertretung der Unternehmensgruppen der deutschen Pflegewirtschaft. Er tritt nach eigenen Angaben für die Geschlossenheit der Branche ein. https://www.arbeitgeberverband-pflege.de/

Das Interview führte Friederike Albrecht

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