Facharztschiene ja, aber Pflegespezialisierung nein? Das verstehen Vertreter der Pflege nicht. Auf dem Hauptstadtkongress forderten sie neue Versorgungsstrukturen – ebenso die Heilkundeübertragung.
„Ich kann nicht nur waschen, ich kann auch Medizin“, so Gabriele Stern (links), die ein Wundzentrum betreibt. Mit ihr diskutierten auf dem Hauptstadtkongress (v.l.) Franka Mühlichen, Dr. Bernadette Klapper, Dr. Pedram Emami, Paul Bomke, Vera Lux und Dr. Iris Hauth.
© Rolf Schulten
Wie viel Kompetenzerweiterung braucht die Pflege, damit die Versorgung der Zukunft auf soliden Beinen steht? Auf dem Hauptstadtkongress sprachen sich am Donnerstag Vertreterinnen der Pflege ganz klar für eine – zumindest teilweise – Heilkundeübertragung aus. „Es macht wenig Spaß, wenn ich in meinem Alltag ständig in Abstimmungsprozessen unterwegs sein muss“, beschrieb Dr. Bernadette Klapper, Geschäftsführerin des Deutschen Berufsverbands für Pflegeberufe (DBfK), die Situation vieler Fachkräfte im ambulanten wie stationären Bereich.
Die Pflege habe in den vergangenen Jahren viele Kräfte verloren, weil sie schlicht keine Perspektiven, keine Personalentwicklung biete. „Ich kann nicht nur waschen, ich kann auch Medizin“, provozierte auch Gabriele Stern ganz bewusst. Stern ist Krankenschwester aus Leidenschaft, wie sie berichtete. Sie hat ein Studium aufgesetzt und betreibt seit gut 15 Jahren ein Wundzentrum. „Auf die Heilkundeübertragung warte ich immer noch. Ich gehe bald in Rente, ich werde es nicht mehr erleben.“
DBfK-Chefin Klapper: „Es geht nicht um Wettbewerb“
Dabei wäre die Heilkundeübertragung gerade für all jene, die sich im Pflegebereich selbstständig machen, wichtig. „So hätte ich ein Budget“, berichtete sie. Die Serviceleistung, die sie in der Wundversorgung übernehme, werde nicht vergütet. Sie müsse also gleichzeitig „Verkäuferin“ sein und Wundauflagen verkaufen.
Dabei schätzten die Hausärzte in ihrer Umgebung ihre Leistung. „Ich akquiriere keine Patienten, diese werden mir von den Hausärzten vermittelt.“ Auch Vera Lux, Pflegedirektorin an der Medizinischen Hochschule Hannover, bemängelte, dass es kein Leistungsrecht für Pflege gebe.
Die Pflege sieht sich dabei auch nicht als Konkurrenz zu Ärzten. „Es geht nicht um Wettbewerb“, sagte Klapper. Versorgung müsse interprofessionell organisiert sein. Eine Forderung, die auch Paul Bomke, Geschäftsführer des Pfalzklinikums für Psychiatrie und Neurologie AdöR, stellte. „Wir müssen die Strukturen ändern.“ Dazu gehört für ihn, die strengen Hierarchien, insbesondere in den Kliniken, aufzubrechen.
Diese hätten ihren Ursprung im militärischen Umfeld. Das sei überholt. „Im zu Hause der Patienten spielt es keine Rolle mehr, welcher Profession Sie angehören, sondern dass Sie gut zusammenarbeiten können“, mahnte er. Und genau dort sollten Patienten möglichst lange verbleiben können: im häuslichen Umfeld. „Es gibt genug Arbeit, weniger Hierarchie tut uns allen gut.“
Ohne Ärzte im Hintergrund geht es nicht
Die Veränderung müssen die Gesundheitsberufe aber selbst anstoßen. „Wir müssen einfach machen“, appellierte Franka Mühlichen. Die Krankenpflegerin hat viele Jahre in der Altenpflege gearbeitet und sich ebenfalls für ein Studium entschieden. Aktuell ist sie Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE). Dort erlebt sie die Hürden, die es immer noch gibt, wenn Pflegekräfte Versorgungsverträge auflegen wollen. Beim InDePendent-Projekt, einer interprofessionellen Demenzversorgung im häuslichen Umfeld, sei es ohne das Mitwirken von Ärztenetzen nicht gegangen.
Laut Mühlichen hat sich das DZNE hier der Möglichkeiten des Paragrafen 63 SGB V bedient, der Modellvorhaben zur Heilkundeübertragung erlaubt. „Aber ohne Vertragsärzte geht es eben nicht, da bekommen sie keinen Vertrag mit den Kassen.“ Ihre Lösung: Ärztenetze mit angestellten Pflegefachpersonen. „Dann kommt aber die nächste Hürde: Sie brauchen ein Curriculum für die spezielle Versorgung.“ Und die bereits examinierten Pflegekräfte müssten nochmals eine staatliche Prüfung auf Landesebene ablegen.
Wo bleibt die Pflegekammer?
Solche Hürden schrecken viele ab. Hier ist also durchaus auch die Politik gefragt, die Vorgaben für Zusammenarbeit anzupassen. Hamburgs Ärztekammerpräsident Dr. Pedram Emami appellierte aber gleichzeitig zu mehr „Selbstempowerment“ der Pflege. „Gesundheitsberufe müssen lernen, sich selbst zu organisieren.“ Er warte immer noch auf die Pflegekammer. Die Unterstützung der Ärzteschaft hätte die Pflege.
Gegenwind erfuhr Emami für seinen Hinweis, dass man, wenn man Pflege immer mehr professionalisiere, auch aufpassen müsse, wer die zuwendungs- und patientennahen Aufgaben künftig noch übernehme. „Wir müssen definieren, wer dann die Basisarbeit macht, die heute die Pflege weitgehend übernimmt.“
Das schmeckte nicht allen Mitdiskutanten. Verbirgt sich dahinter doch altes Hierarchiedenken? Emami stellte klar: Die Ärzteschaft will interprofessionelle Zusammenarbeit. Aber die humanen Ressourcen seien nun einmal auf allen Ebenen knapp. Schon heute fehle es insbesondere an Zuwendungszeit. „Das leisten vor allem die Pflegekräfte.“
Laut Lux ist beides möglich: „Wir haben bei den Ärzten die Facharztschiene, warum soll es das in der Pflege nicht geben?“ Sie erlebe nicht dass junge Pflegekräfte, die sich weiterqualifizieren ins Management abwanderten. „Es gibt viele, die sagen, ich will mich spezialisieren und weiter in der Krankenpflege arbeiten.“
Quelle: Ärzte Zeitung