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02.07.2020 | Politik | Nachrichten

Intensivpflegegesetz – Kompromiss mit Klarstellungen

verfasst von: Thomas Hommel, Florian Staeck

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Der Widerstand gegen das Intensivpflegegesetz war groß. Mit Änderungen in letzter Minute wird die Teilhabe der Pflegebedürftigen nun gestärkt.

Beatmungs-WG © Uli Deck/dpaDie Bewohnerin einer Beatmungs-WG wird von einer Pflegerin betreut. Die Frage, wo außerklinische Intensivpflege stattfinden soll, war in den Beratungen des Intensivpflege-Gesetzes umstritten.

Auf den letzten Metern hat die Koalition beim Intensivpflegegesetz (GKV-IPReG) nochmals Änderungen vorgenommen. Begleitet wurden die Verhandlungen von einer Kraftprobe innerhalb der Koalitionsfraktionen.

Der Gesundheitsausschuss gab am Mittwoch grünes Licht für den veränderten Entwurf. Er soll am Donnerstag im Bundestag abschließend beraten und beschlossen werden.

Umstritten war insbesondere ein Passus, der Krankenkassen unter Umständen berechtigt hätte, den Ort der Pflege eines Versicherten von zu Hause in eine stationäre Einrichtung zu verlegen. Dagegen hatte es massive Proteste von Betroffenenverbänden gegeben. Nun wird klargestellt, dass die Krankenkasse „berechtigten Wünschen der Versicherten zu entsprechen hat“, heißt es in dem Änderungsantrag, der der „Ärzte Zeitung“ vorliegt.

Zielvereinbarung mit Versicherten

Auch wenn der Medizinische Dienst feststellen sollte, dass die Versorgung am vom Pflegebedürftigen gewünschten Ort nicht sichergestellt ist, löst das keinen Automatismus seitens der Kasse aus. Vielmehr muss die Kasse mit dem Versicherten „eine Zielvereinbarung über geeignete Nachbesserungsmaßnahmen abschließen“.

Außerdem besteht nun die Möglichkeit, dass auch dann, wenn die Kasse eine geeignete Pflegekraft stellen kann, der Versicherte immer die Option hat, auf Leistungen im Rahmen eines persönlichen Budgets zurückzugreifen. „Versicherte können so in die Lage versetzt werden, das Benötigte selbst zu beschaffen“, heißt es zur Erläuterung.

In die dafür nötige Zielvereinbarung zwischen Kostenträgern und Versichertem ist nun eine Öffnungsklausel eingezogen worden: Denn die dort getroffenen Vereinbarungen zur Qualitätssicherung müssten „nicht zwingend vollumfänglich die Regelungen des Leistungserbringerrechts der GKV spiegeln“.

Zuzahlungen zu Hause sollen nicht steigen

Klargestellt haben Union und SPD auch, dass Versicherte, die zu Hause gepflegt werden, keine höheren Zuzahlungen entrichten müssen als dies bei der Pflege etwa in stationären Einrichtungen der Fall wäre. Demnach sind wie bisher „Zuzahlungen für Kosten, die an den ersten 28 Tagen der Leistungsinanspruchnahme pro Kalenderjahr entstehen, zu leisten“.

Mehrere Formulierungen und Klarstellungen ähneln dem Vorstoß der drei Oppositionsfraktionen FDP, Grüne und Linke. In einem in dieser Form seltenen gemeinsamen Antrag warfen sie vergangene Woche der Koalition vor, der Gesetzentwurf verstoße gegen Artikel 19 der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen.

Darin habe sich Deutschland dazu verpflichtet, dass Menschen mit Behinderungen „gleichberechtigt die Möglichkeit haben, ihren Aufenthaltsort zu wählen“.

Fachpolitiker offenbar ausgebootet

Dem Vernehmen nach haben die Änderungen auf den letzten Metern koalitionsintern zu heftigen Verwerfungen geführt. Nachdem die SPD im letzten Berichterstattergespräch dem Gesamtpaket zunächst zugestimmt hatte, wurde der Union wenig später signalisiert, bei einer Abstimmung im Bundestagsplenum sei die Mehrheit seitens der SPD nicht gesichert.

Unter Umgehung der zuständigen Fachpolitiker wurde der Kompromiss offenbar auf Ebene der Fraktionsspitzen in Abstimmung mit Bundesgesundheitsminister Jens Spahn eingetütet.

Entsprechend wohlabgewogen klingen die Verlautbarungen aus den Koalitionsfraktionen. „Für mich ist entscheidend, dass Selbstbestimmung und Teilhabe der Betroffenen gesichert sind“, sagte SPD-Fraktionsvize Bärbel Bas.

Man wolle zwar die Qualität der außerklinischen Intensivpflege sichern. „Mängel führen aber nicht mehr dazu, dass Leistungen versagt werden können.“

200.000 Unterschriften gegen den Entwurf

Karin Maag, gesundheitspolitische Sprecherin der Unionsfraktion, hob das ursprüngliche Regelungsanliegen hervor: „Leider mussten wir in der Vergangenheit immer wieder Defizite insbesondere in der ambulanten Versorgung feststellen. Solchen Missbrauch wollen wir jetzt endgültig beenden.“ Erhalten bleibe aber die Möglichkeit, dem „nachvollziehbaren Wunsch“ von Patienten oder Angehörigen nach einer Versorgung zu Hause nachzukommen.

Die Änderungen wurden von den Koalitionsfraktionen auch mit Blick auf den starken öffentlichen Druck ausgehandelt. Noch am Dienstag war eine Petition von Behinderten- und Betroffenenverbänden mit 200.000 Unterschriften an Politiker von Grünen, Linken und FDP übergeben worden. Die Grünen hatten eine Verfassungsklage in Aussicht gestellt, sollte der Gesetzentwurf an entscheidenden Punkten nicht mehr geändert werden.