Der Gemeinsame Bundesausschuss hat kürzlich die Häusliche Krankenpflege-Richtlinie (HKP-RL) angepasst. Pflegefachpersonen erhalten dadurch teilweise mehr Entscheidungsspielraum. Doch was bringt die Neuerung den Pflegenden in der Praxis wirklich? Wir fragten nach bei DPR-Präsidentin Christine Vogler.
DPR-Präsidentin Christine Vogler sieht wenig Verbesserungen durch die Aktualisierung der HPK-Richtlinie.
Frau Vogler, der G-BA räumt Pflegefachpersonen in bestimmten Bereichen der Häuslichen Krankenpflege künftig mehr Befugnisse ein. Wie bewerten Sie diesen Schritt – Durchbruch oder Mogelpackung? Immerhin bleibt es bei der ärztlichen Delegation.
Christine Vogler: In Ihrer Frage steckt bereits die Antwort. Es ist eine Mogelpackung. Zum einen ist die Idee nicht neu. Den Versuch, sogenannte ärztliche Tätigkeiten an Pflegende zu übertragen, kennen wir seit 2012. Nun werden wieder Modellprojekte initiiert, die denen von 2012 ähneln und keine weiteren Veränderungen gebracht haben. Was wir benötigen ist eine dauerhafte Neuordnung der Kompetenzen der Gesundheitsberufe in Deutschland.
Es geht für Pflegende nicht um Übertragung ärztlicher Tätigkeiten – allein die Wortwahl führt schon in die falsche Richtung. Vielmehr geht um das souveräne, selbstständige Ausüben des pflegerischen Prozesses.
Das bedeutet beispielsweise bei Bedarf ein Pflegebett verordnen zu können, Wundmaterial selbstständig zu verschreiben, Schmerzbegleitung anzubieten, Aufklärung und Beratung durchführen zu können und vieles mehr.
Was braucht es für diese souveräne Berufsausübung?
Dazu braucht es gute weiterführende Bildungsstrukturen nach der Grundausbildung und die eindeutige Übertragung der Heilkunde an die Pflegenden.
Ein weiterer Punkt, der gerne vergessen wird: Pflegende versorgen die Menschen in allen Bereichen. Da kann eine Richtlinie doch nicht auf die Häuslichkeit begrenzt bleiben. Wenn wir also über Heilkundeübertragung sprechen, geht es uns um alle pflegerischen Settings – nach der neuen Richtlinie wäre es so, dass die Pflegefachperson in der ambulanten Versorgung dann Wundmaterial anordnen und verschreiben könnte und die Kollegin in der Klinik nicht. Das ist doch absurd.
Welche Verbesserungen sind durch die aktualisierte HPK-Richtlinie denn grundsätzlich zu erwarten?
Bestenfalls werden die Entscheidungs- und Besorgungswege kürzer, das dient den Patient*innen und Pflegebedürftigen. Da die Diagnose und deren Überprüfung sowie die Indikationsstellung aber in ärztlicher Verantwortung bleiben, wird sich am Ende kein besserer Effekt für die Pflegenden einstellen. Wir sind in den pflegerischen Handlungsabläufen immer noch an ärztliche Entscheidungen und Überprüfungen gebunden.
Die Wundversorgung gilt als ein Bereich, der prädestiniert ist für die Übernahme von mehr Verantwortung durch Pflegefachpersonen. Weshalb ist das so?
Die Wundversorgung bietet sich an, da die Pflegenden täglich vor Ort bei den Betroffenen sind und die Wunde in der Regel sehr gut und am besten kennen. Der „Übertragungsbereich“ ist überschaubar und Wundmaterial wird bereits heute häufig durch die spezialisierten Pflegenden im Bereich der Wundversorgung vorgeschlagen und vom Arzt übernommen. In Zukunft könnten Pflegende dann vertragsärztliche Überweisungen zur weiterführenden Diagnostik veranlassen, über einzuleitende Maßnahmen des Wundmanagements entscheiden und Verordnungen für z.B. manuelle Lymphdrainage und Hilfsmittel nach Maßgabe der Heilmittel-Richtlinie ausstellen. Aber ganz am Ende ist und bleibt der Arzt, der den „Segen“ dafür gibt und geben muss.
Die Initiative Chronische Wunden (ICW) ist seit Juli Fördermitglied im Deutschen Pflegerat. Kann die Expertise der ICW die Pflege auch in punkto eigenständige Verordnung von Hilfsmitteln und Wundversorgung weiterbringen?
Die ICW hat seine ausgewiesene Expertise in diesem Bereich und kann hier natürlich verstärkt mitgestalten. Wir freuen uns, dass wir einen solchen Verband als kooperatives Mitglied gewinnen konnten. Insgesamt geht es aber um mehr. Es geht um das selbstständige Handeln von Pflegepersonen im interprofessionellen Kontext. Und zwar nicht nur zur Wunde. Sondern zu allen pflegediagnostischen Maßnahmen.
Das Interview führte Nicoletta Eckardt.