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13.07.2022 | Palliativpflege | Nachrichten

Interview

Palliativpflegerinnen: „Wir müssen den Tod ins Leben holen“

verfasst von: Andrea Schudok

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Michaela Bayer und Sara Loy berichten auf Social Media über ihren Alltag als Palliativpflegerinnen. Sie sagen: Es wird zu wenig über den Tod gesprochen – und richten sich damit auch an die Ärzteschaft.

© Sara LoyMichaela Bayer (l.) und Sara Loy (r.) möchten ihren Patienten auf der Palliativstation mit Ruhe und Gefühl begegnen. 

Ihr klärt auf Eurem Instagram-Account elsa.palliative.care über Eure Arbeit auf der Palliativstation auf. Wieso macht ihr das?

Loy: Viele Leute wissen nicht, was Palliativversorgung ist, haben aber viele Vorurteile, die nicht stimmen. Ich wurde zum Beispiel schon einmal gefragt, was ich verbrochen hätte, dass ich auf dieser Station arbeiten muss.

Woher kommt diese Unwissenheit über die Palliativversorgung?

Bayer: Sicher auch durch die falsche Kommunikation: Wenn jemand eine schwere Diagnose bekommt und gesagt bekommt, wir können nichts mehr für sie tun, sie kommen jetzt auf die Palliativstation, dann denkt der Patient: Mir kann eh nicht mehr geholfen werden. Dabei können wir sehr viel für die Patienten tun. 

Es ist paradox, aber ich hatte auf keiner anderen Station das Gefühl, dass ich so viel helfen kann. Das möchten wir an die Öffentlichkeit bringen und so den Menschen die Angst vor dem Tod nehmen.

Wieso haben wir diese Angst?

Bayer: Beim Thema Tod haben die Menschen ein großes Fragezeichen im Kopf und dadurch viel Raum für Fantasie. Man kann in der Medizin nahezu alles heilen und wenn das mal nicht geht, fühlt es sich an, als würde der eigene Körper versagen. Viele Patienten spüren einen Kontrollverlust, das macht ihnen Angst. Schließlich geht es in der Gesellschaft ja immer um das Höher, Schneller, Weiter – man muss funktionieren.

Findet der Tod in unserem Leben zu wenig Platz?

Loy: So ist es. Er ist immer an bestimmte Feiertage geknüpft, wie Karfreitag, Fronleichnam und Allerheiligen. An diesen Tagen darf der Tod da sein, danach aber nicht mehr. Dabei ist es wichtig, darüber zu sprechen.

In wessen Verantwortung liegt es, die Gesellschaft über das Sterben aufzuklären – in der der Ärzte?

Loy: Die Verantwortung liegt bei einem selbst. Ich erlebe es so, dass eine Familie, die sich bereits untereinander über das Sterben ausgetauscht hat, sich mit dem Prozess auf der Palliativstation wesentlich leichter tut, als eine Familie, die das Thema immer verdrängt hat. Aber wenn ein Patient mit einer schweren Erkrankung – wie einer Krebserkrankung – ins Krankenhaus kommt, liegt es auch in der Verantwortung der Ärzte, das Thema immer wieder anzusprechen.

Auf Social Media zeigt ihr, dass jede Kollegin anders mit den Patienten umgeht: ruhig, gefühlvoll oder auch fröhlich. Was davon ist bei der Ansprache schwerkranker Menschen besonders wichtig?

Bayer: Jeder Mensch ist anders. Einige Pflegerinnen bringen mehr das eine mit und andere mehr das andere. Das ist gut so, weil jeder Patient ja auch anders ist. So kann man sich abstimmen, welche Kollegin, zu welchem Patienten ins Zimmer geht. Letztendlich müssen wir aber alle empathisch und verständnisvoll sein.

Was macht ihr, wenn eine Patientin oder ein Patient verstorben ist?

Loy: Wir sprechen mit den Angehörigen. Generell machen die Gespräche mit den Angehörigen einen großen Teil unserer Arbeit aus, weil sie auch über den Tod der Patienten hinaus mit uns, mit den Ärzten und Psychologen sprechen können. Es wird niemand alleine gelassen. Unmittelbar nach dem Versterben richten wir außerdem den Patienten her und stellen eine Kerze vor die Tür. Diese Kerze versuchen wir so zu dekorieren, wie wir den Patienten empfunden haben, zum Beispiel indem wir die Hobbies des Patienten abbilden.

Wie schwer ist der alltägliche Umgang mit dem Tod für Euch?

Loy: Es ist eine psychisch anstrengende Arbeit, aber der Tod ist für uns normal und gehört einfach zum Leben dazu. Zudem ist unsere Arbeitskleidung unser Schutzmantel: Wenn wir sie anhaben, sind wir die Pflegekräfte und wenn wir sie ablegen, wird der ganze Dienst mit in die Wäsche geworfen.

Was ratet Ihr Ärzten und Pflegekräften, die zum ersten Mal erleben, wie ein Mensch im Sterben liegt?

Bayer: Hinsehen und Fragen stellen. Beispielsweise kann man die Kollegen von der Palliativstation fragen, was man für den Patienten tun kann? Ich freue mich immer sehr, wenn aus unserer Klinik so ein Anruf kommt. Das zeigt mir, dass die Kollegen die Sterbenden so begleiten möchten, wie sie es verdient haben. Aber man muss sich auch selbst reflektieren: Wie geht es mir? Was macht mir Angst? Schließlich ist nicht jeder so an den Abschied gewohnt, wie wir es sind.

Das ganze Gespräch anhören

Das Interview ist ein Auszug aus der Episode des „ÄrzteTag“-Podcasts mit Michaela Bayer und Sara Loy: 
Findet der Tod in unserem Leben zu wenig Platz?

Was kann man noch tun?

Bayer: Dann kann man sich auf Plattformen – auch auf unserem Instagram-Kanal – informieren, Podcast zum Thema hören oder Fortbildungen besuchen. Ich empfehle jedem, der im Krankenhaus arbeitet oder mit schwerkranken Menschen zusammenarbeitet, sich auf dem Gebiet der Palliativversorgung fortzubilden. Den Tod ins Leben zu holen, bringt auch für sich selbst mehr Klarheit und Lebensqualität. Dadurch, dass Sara und ich mit dem Tod arbeiten, haben wir einen anderen Blick auf das Leben, wir sind zum Beispiel sehr dankbar für alles, was wir haben.

Welche Rolle spielt die Palliativversorgung in der Hausarztpraxis?

Loy: Viele Patienten möchten daheim versterben. Umso wichtiger ist es, dass sich auch Hausärzte mit dem Thema beschäftigen.

Quelle: Ärzte Zeitung

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