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Erschienen in: Heilberufe 2/2022

01.02.2022 | Onkologie | Pflege Kolleg Zur Zeit gratis

Medikamente einnehmen - Überlebenschance erhöhen

verfasst von: Gamze Damnali

Erschienen in: Heilberufe | Ausgabe 2/2022

Onkologische Pflegesprechstunde Seit Einführung der oralen antiproliferativen Krebstherapien ist die mangelnde Adhärenz der Patienten ein großes Problem. Pflegesprechstunden und ein Mobiler Onkologischer Dienst (MOD) im häuslichen Umfeld sind ein Ansatz, dem entgegenzuwirken.
Die Diagnose Krebs ist eine der häufigsten. Zudem steigt die Zahl der Erkrankungen. Während im Jahr 2012 weltweit bei mehr als 14 Millionen Menschen ein Krebsleiden diagnostiziert wurde, geht man von einem geschätzten Anstieg der Krebsfälle von über 54% bis zum Jahr 2030 aus. Pro Jahr versterben ca. 8,2 Millionen Menschen an einer malignen Erkrankung. Das heißt, jede Minute sterben 15 Menschen an Krebs.

Immer mehr Patienten werden ambulant versorgt

Der Großteil der Patienten mit einer malignen Behandlung kann heute überwiegend ambulant behandelt werden. Stationär werden vor allem Tumorpatienten mit hochkomplexen Therapien wie Knochenmarktransplantationen, hochdosierte Chemotherapien, Car-T-Zell-Therapien oder mit schweren Therapiekomplikationen wie Sepsis, Tumorlysesyndrom, schwerste Übelkeit oder Mukositiden und Patienten in komplexen Palliativsituationen versorgt. Während bis vor einigen Jahren die Chemotherapie, die meist intravenös appliziert wurde, den Markt der verfügbaren antiproliferativen Therapien beherrschte, nehmen seit Einführung der Signaltransduktionshemmer - der Tyrosinkinasehemmer Imatinib wurde als erstes Medikament dieser Substanzklasse im Jahr 2001 zugelassen - die oralen antiproliferativen Therapien einen zunehmenden Platz ein. Zurzeit beträgt der Anteil oral applizierbarer antiproliferativer Substanzen (vorwiegend small molecules und orale Zytostatika) über 25%, wobei ein stetiger Anstieg derselben zu beobachten ist. Befördert wird dieser Prozess durch die Einführung von Antiemetika und durch eine verbesserte Schmerztherapie - zum Beispiel mit Schmerzpumpen.

Mangelnde Adhäranz ist ein Problem

Während bei der Therapie mit intravenösen Substanzen die Adhärenz des Patienten keine so vorherrschende Rolle im Hinblick auf den Therapieerfolg spielt, ist sie bei der oralen Therapieform entscheidend und steht im direktem Zusammenhang mit der Überlebenszeit des Patienten. Der Begriff Adhärenz leitet sich von dem lateinischen Wort adherere = anhängen ab. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) definiert Adhärenz wie folgt: "Ausmaß, in dem sich das Verhalten einer Person (Medikamenteneinnahme, Befolgung eines Diätplanes, Lebensstiländerung) mit den, mit einem medizinischen Experten vereinbarten Empfehlungen deckt".
Die Adhärenz stellt in der Versorgung der Patienten mit oralen Therapien ein großes Problem dar. Schon der griechische Gelehrte und Arzt Hippokrates (ca. 400 vor Christus) stellte fest, dass Patienten die Ärzte über ihre Arzneimittel täuschen. Fast 2.000 Jahre später bezifferte die WHO die Nonadhärenz in Industrieländern bei Langzeittherapien mit bis zu 50% und wies darauf hin, dass die Verbesserung von Methoden zur Adhärenzsteigerung eine weit größere Auswirkung auf die Gesundheit der Bevölkerung hat als jedwede Optimierung von spezifischen medizinischen Therapien. Partridge et al. beschrieben 2002 die Bedeutung der Adhärenz für den Therapieerfolg. Nach Einführung des Tyrosinkinasehemmers Imatinib zur Therapie der chronisch myeloischen Leukämie konnte im Jahr 2009 anhand der sogenannten Adagio-Studie gezeigt werden, dass nur 14% der Patienten Imatinib korrekt eingenommen hatten. Weitere wegweisende Ergebnisse der Studie (Abb. 1) waren:
  • Adhärenz zu Imatinib war mit einem signifikanten Einfluss auf das Therapieansprechen assoziiert (Suboptimales Therapieansprechen: Non-Adhärenz 23,2%, Adhärenz 7,3%)
  • Non-Adhärenz tritt deutlich häufiger auf als von Patienten, Ärzten und Angehörigen angenommen
  • Adhärenz sollte routinemäßig erfasst und nach Möglichkeit optimiert werden
Unter Berücksichtigung dieser Ergebnisse verfasste die WHO folgendes Statement: "Medicines will not work if you do not take them." (Medikamente wirken nicht, wenn Sie sie nicht einnehmen.)

Zahl der Onkologen sinkt dramatisch

Neben dem Problem der Adhärenz und den steigenden Krebsfällen wird in Zukunft noch das Problem der abnehmenden Zahl der versorgenden Haus- und Fachärzte hinzukommen. So wird entsprechend den Ergebnissen des Instituts für Community Medicine der Universität Greifswald in naher Zukunft die Zahl der verfügbaren Onkologen um 25% abnehmen.
Gerade für den Einsatz oraler Therapieformen muss die Altersstruktur der Bevölkerung bei der Erstellung moderner Versorgungskonzepte bedacht werden. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass bis zum Jahr 2032 über 50% der Bevölkerung über 65 Jahre sein werden und der damit verbundenen Komorbiditäten und Begleitmedikationen, stellt sich die sichere Versorgung gerade dieser Patientengruppe im onkologischen Bereich als besonders problematisch dar.
Um die adäquate Versorgung im Zeitalter zunehmender oraler Therapien sicherzustellen, müssen neue Versorgungsmöglichkeiten geschaffen und umgesetzt werden. Eine Möglichkeit besteht darin, bestimmte bisher meist ärztliche Tätigkeiten auf entsprechend gut ausgebildetes nichtärztliches Personal zu übertragen. Ein Beispiel im Bereich der hausärztlichen Versorgung sind die NäPaS - Nichtärztliche Praxisassistent*innen. Sie entlasten den Hausarzt deutlich. Auch im fachärztlichen Bereich ist der Einsatz von NäPaS inzwischen möglich. Eine weitere Entlastung könnte in Zukunft der sogenannte Onko-Coach sein, der in der Lage ist, bestimmte ärztliche Aufgaben zu übernehmen und durchzuführen. Eine weitere bereits sowohl im niedergelassenen als auch stationären Bereich etablierte Möglichkeit der Patientenbetreuung ist die sogenannte Pflegesprechstunde und der vor allem im ländlichen Bereich eingesetzte Mobile Onkologische Dienst (MOD) - eine Pflegesprechstunde im häuslichen Bereich.

Pflegesprechstunde und Mobiler Onkologischer Dienst (MOD)

Obschon die Pflegesprechstunde entscheidend zur Entlastung des Praxisablaufes beitragen kann, ist sie bisher nur an wenigen Praxen, MVZs und Tageskliniken zum festen Bestandteil des Versorgungsangebotes geworden. Möglicherweise hängt dieser Umstand damit zusammen, dass für die erfolgreiche Umsetzung einer Pflegesprechstunde sowohl personelle als auch räumliche Anforderungen erfüllt werden müssen.
Zu den räumlichen Anforderungen zählt zum Beispiel ein eigenes Sprechzimmer für die Zeit der Pflegesprechstunde. Die ungeteilte Zuwendung zum Patienten ohne Störungen (z.B. Telefonanrufe, Fragen andere Patienten oder Kollegen) sind Grundlage für gelungene Gespräche. Die Atmosphäre sollte freundlich und warm sein - das kann zur Entspannung und Vertrauensbildung beitragen. Wichtig ist das Bereithalten von Taschentüchern, die dann im Bedarfsfall dem Patienten gereicht werden können. Hinter einem Taschentuch kann sich ein durch seine Diagnose aufgelöster Patient erst einmal "verstecken" (ähnlich wie bei Kindern, die sich die Hand vor die Augen halten, um nicht gesehen zu werden) und so zunächst zur Ruhe kommen.
Zur effizienten Durchführung einer Pflegesprechstunde gehören nicht nur kommunikative Fähigkeiten und Erfahrung, sondern auch spezielles Wissen in Hinblick auf orale antiproliferative Substanzen. Vor Aufnahme einer Pflegesprechstunde ist daher eine entsprechende Weiterbildung der betreffenden Mitarbeiter*innen notwendig. Eine Möglichkeit ist die Ausbildung zur "Fachassistent*in für orale und subkutane Tumortherapie" oder zum "Onkocoach". Ist zusätzlich das Angebot MOD vorgesehen, empfiehlt sich - auch aus abrechnungstechnischen Gründen - die Qualifikation zur Nichtärztlichen Praxisassistentin (NäPa). Sind alle Vorbereitungen getroffen, müssen Ziel und zeitlicher Ablauf der Pflegesprechstunde festgelegt und möglichst in entsprechenden SOPs (Standard Operating Procedure) festgelegt werden. Dieser Standard sollte von Arzt und Pflegefachkraft/MFA gemeinsam erarbeitet werden. In diesem Zusammenhang spielen der zeitliche Ablauf und die anzusprechenden Themen (z.B. Einnahmezeiten, Adhärenz, Lagerung von Medikamenten, Erkennen von Nebenwirkungen) eine besonders wichtige Rolle.

Adhärenz messen und dokumentieren

Zur Erfassung der Adhärenz empfiehlt sich die Benutzung standardisierter Fragebögen. Besonders geeignet ist der four-item MGLS (Morisky Green Levine Medication Adherence Scale), der mit seinen vier Fragen die wesentlichen Eckpunkte der Adhärenz erfasst:
1.
Vergessen Sie jemals, Ihre Medikamente einzunehmen?
 
2.
Sind Sie manchmal unachtsam, was Ihre Medikamenteneinnahme angeht?
 
3.
Wenn Sie sich besser fühlen, nehmen Sie dann manchmal Ihre Medikamente nicht mehr ein?
 
4.
Wenn es Ihnen schlechter geht, nachdem Sie die Medikamente eingenommen haben, nehmen Sie diese dann manchmal nicht mehr ein?
 
Zum nachhaltigen Gelingen einer Pflegesprechstunde gehört eine ausführliche Dokumentation. Diese sollte die Ergebnisse der Sprechstunde zusammenfassen und zukünftig geplante Vorgänge beinhalten. Hierzu zählt auch die Vergabe eines Folgetermins.
Eine besondere Pflegesprechstunde ist der MOD. Hier findet die Sprechstunde im häuslichen Bereich des Patienten statt, so dass diesem die oft langen Anfahrtswege zur ambulanten Versorgungseinrichtung erspart bleiben. Gut geplant ist der MOD mit den zur Verfügung stehenden Ziffern (GOP 38100, 38202, 38105, 38207, 38100, 38200, 38105, 38205) finanzierbar und rundet das Versorgungsangebot einer Praxis/MVZ/Tagesklinik ab.

Pflege einfach machen

Die Zahl der Krebserkrankungen erhöht sich. Bis zum Jahr 2030 geht man von einem geschätzten Anstieg der Krebsfälle von über 54% aus. Gleichzeitig geht die Zahl der Onkologen zurück.
Während bis vor einigen Jahren die Chemotherapie meist intravenös appliziert wurde, werden heute zunehmend orale antiproliferative Therapien eingesetzt.
Bei der oralen Therapieform ist die Adhärenz des Patienten entscheidend und steht im direktem Zusammenhang mit der Überlebenszeit des Patienten.
Die Einführung einer Pflegesprechstunde in die Behandlung onkologisch-hämatologischer Patienten kann die Adhärenz der Patienten erhöhen, Ärzte entlasten und die Versorgung insgesamt verbessern.

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Metadaten
Titel
Medikamente einnehmen - Überlebenschance erhöhen
verfasst von
Gamze Damnali
Publikationsdatum
01.02.2022
Verlag
Springer Medizin
Schlagwort
Onkologie
Erschienen in
Heilberufe / Ausgabe 2/2022
Print ISSN: 0017-9604
Elektronische ISSN: 1867-1535
DOI
https://doi.org/10.1007/s00058-022-2204-7

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