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29.03.2022 | News Hebammen | Nachrichten

Tokolyse-Praxis in Geburtskliniken – (zu) oft nicht leitlinienkonform

verfasst von: Dr. Dagmar Kraus

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Die AWMF-Leitlinie „Prävention und Therapie der Frühgeburt“ wurde zuletzt 2019 aktualisiert unter anderem mit evidenzbasierten Empfehlungen zur Tokolyse. Die Implementierung in den Kliniken gelingt aber offenbar nur schleppend.

Hinweis: Das Wichtigste in Kürze zu dieser Studie finden Sie am Ende des Artikels.

Ein Jahr nach der Veröffentlichung der aktuellen AWMF-Leitlinie „Prävention und Therapie der Frühgeburt“ starteten Gynäkologen einiger Universitätskliniken in Deutschland und Österreich eine deutschlandweite Online-Umfrage, um zu ermitteln, inwieweit die Tokolyse-Praxis in den Kliniken den evidenzbasierten Leitlinienempfehlungen entspricht.

Von den insgesamt 632 angeschriebenen Geburtsstationen haben 120 den Online-Fragebogen vollständig beantwortet. Die Fragen umfassten sechs Themenkomplexe zur Tokolyse, wie Indikation, Zeitfenster für Wehenhemmer- und ACS (antenatale Kortikosteroide)-Gabe, Wirkstoffwahl, Monitoring und Nebenwirkungsrate. Außerdem wurde sich danach erkundigt, an welchen Richtlinien sich die Verantwortlichen bei der Festlegung des jeweils geltenden Prozederes orientiert hatten.

Stand ein Jahr nach Leitlinien-Veröffentlichung

Als wichtigstes Indikationskriterium nannten rund 43% der Teilnehmer gemäß der Leitlinienempfehlung vier oder mehr im CTG bestätigte Kontraktionen innerhalb von 20 Minuten. Bei fast 11% der teilnehmenden Kliniken galten jedoch subjektiv beschriebene Kontraktionen als wichtigstes Kriterium. Manche (41%) orientierten sich vorwiegend an der Zervixlänge (≤ 25mm) und einige (5%) an Biomarkern (fFN, PAMG-1, IGFBP-1).

Als frühestmöglichen Zeitpunkt für eine Wehenhemmergabe war in 28% der Geburtsstationen gemäß der Leitlinie 22 +0 SSW festgelegt worden, in 39% das Gestationsalter 23 +0 SSW. Rund 22% bzw. 11% der Teilnehmer verorteten den frühestmöglichen Zeitpunkt etwas später (23 +5 SSW bzw. 24 +0 SSW). Ab 34 +0 SSW galt bei den meisten die Tokolyse in Übereinstimmung mit der Leitlinie als nicht mehr angezeigt. Antenatale Kortikosteroide (ACS) zum Zeitpunkt 22 +0 SSW hatten 13% verabreicht, im Gestationsalter 23 +5 SSW bzw. 24 +0 SSW gaben 35% bzw. 11% der Teilnehmer eine ACS-Gabe an.

Die Wissenschaftler merken an, dass der Großteil der perinatalen Zentren eine Tokolyse bereits bei 22 +0 und 23 +0 SSW begonnen, aber nur 16% parallel ACS gegeben haben. Eine Diskrepanz, die aus Sicht der Studienautoren eventuell damit zu begründen sei, dass viele Patientinnen nicht in eine maximale neonatale intensivmedizinische Therapie eingewilligt haben. Die gängige Praxis, Schwangere mit verkürzter Zervix und ohne vorzeitige Wehen mit ACS, aber nicht mit Wehenhemmern zu behandeln, erkläre eine weitere bei 23 +5 SSW auffallende Diskrepanz zwischen ACS-Gabe und Tokolyse (35% vs. 22%), so die Wissenschaftler.

Betamimetika nach wie vor in Gebrauch

Die meisten Kliniken greifen für die Tokolyse auf einen der drei von den Leitlinien empfohlene Wirkstoffe zurück: 49% gaben an, Nifedipin (Kalziumantagonist), 17% Atosiban (Oxytozinrezeptoranatgonisten) und 5% Indometacin (COX-Inhibitoren) zu verwenden. Doch in immerhin jeder vierten Klinik sind entgegen den Empfehlungen nach wie vor Betamimetika im Einsatz. „Und das, obwohl diese Substanzklasse das höchste Nebenwirkungsrisiko für Mutter und Kind birgt.“ Entsprechend wurden die meisten Fälle schwerwiegender Nebenwirkungen – insgesamt 105 – im Zusammenhang mit Betamimetika gemeldet. Nach Nifedipin-Gabe waren 14 Fälle aufgetreten, im Zusammenhang mit Nitroglyzerin-Pflaster 30 Fälle.

Schnellere Umsetzung gefordert

Als wichtigste Entscheidungshilfe nannten mehr als 90% der Befragten die nationalen Leitlinien. „Ein Ergebnis, das in Kontrast zu unseren Umfrageergebnissen zur Tokolyse-Praxis steht“, wie die Studienautoren betonen. Sie fordern, evidenzbasierte Leitlinienempfehlungen rascher in Geburtskliniken umzusetzen, zum Wohle von Mutter und Kind.

Das Wichtigste in  Kürze

Frage: Sind die aktuell geltenden AWMF-Leitlinienempfehlungen aus dem Jahr 2019 zur Tokolyse bereits breitflächig in den Geburtskliniken implementiert?

Antwort: Zwischen evidenzbasierten Empfehlungen und klinischer Praxis bestand auch ein Jahr nach LL-Veröffentlichung teils eine beträchtliche Diskrepanz, wie etwa bei der Wahl des Tokolytikums.

Bedeutung: Um eine optimale Betreuung von Mutter und Kind gewährleisten zu können, müssen neue Leitlinienempfehlungen rascher in der klinischen Praxis umgesetzt werden.

Einschränkung: Mit nur 19% eine sehr geringe Teilnehmerrate.

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Literatur

Stelzl P et al. Do obstetric units adhere to the evidence-based national guideline? A Germany-wide survey on the current practice of initial tocolysis. EJOG 2022; https://doi.org/10.1016/j.ejogrb.2022.01.006