Anlässlich des Internationalen Tages gegen Gewalt an Frauen am 25. November hat der Deutsche Hebammenverband zu mehr Aufmerksamkeit für Gewalt in der Geburtshilfe aufgerufen. In einer Erklärung fordert der Verband unter anderem verbindliche Feedbackgespräche sowie eine gesetzliche Anerkennung von Gewalthandlungen im Kreißsaal.
Gewalt gegen Frauen zeigt sich in vielen Formen – auch unter der Geburt. Deshalb nutzen Betroffene unter dem Namen „Roses Revolution Day“ den Internationalen Aktionstag, um auf Gewalterfahrungen unter der Geburt aufmerksam zu machen. Dazu legen Betroffene Rosen vor Kliniken oder Kreißsälen nieder, fotografieren sie und teilen sie im Internet. Auch in Deutschland sind die Rosen jedes Jahr ein Appell, dass entschlossenes gesellschaftliches Handeln notwendig ist, um eine menschenwürdige Geburtshilfe zu gewährleisten.
Der Deutsche Hebammenverband (DHV) hat gemeinsam mit dem Hebammenverband Niedersachsen anlässlich des Aktionstages eine Erklärung veröffentlicht, die das Thema in den Fokus rückt. Neben physischer und psychischer Gewalt werden auch strukturelle Probleme im Gesundheitssystem angesprochen, die sowohl Frauen als auch Hebammen belasten.
Gewalt während der Geburt: Ein unterschätztes Problem
Unter Gewalt in der Geburtshilfe versteht der DHV verschiedene Formen von Übergriffen, die Frauen unter der Geburt erleiden können. Dazu gehören respektloser Umgang, unangemessene medizinische Eingriffe ohne Einwilligung oder das Ignorieren der Wünsche der Gebärenden.
Eine aktuelle Studie hat die Verbreitung, Wahrnehmung und rechtlichen Rahmenbedingungen des Problems sowie Präventionsansätze untersucht. Die Ergebnisse zeigen, dass Übergriffe häufig auf strukturelle Probleme im Gesundheitssystem zurückzuführen sind und erhebliche Auswirkungen auf die körperliche, psychische und soziale Gesundheit von Frauen haben können. Gleichzeitig leiden europaweit auch Fachkräfte unter Belastungen durch mangelnde Ausbildung, Unterfinanzierung und fehlende Ressourcen: „Übergriffiges Verhalten ist […] häufig ein Ausdruck von strukturellen Problemen und Überlastung, die die Abteilungen beherrschen. Diese Probleme müssen entschieden angegangen werden!“, fordert Ulrike Schauland, Vorsitzende des Hebammenverbands Niedersachsen.
Forderungen für ein besseres System
Der DHV fordert in der Erklärung Maßnahmen, um Gewalt in der Geburtshilfe zu reduzieren. Dazu zählen:
- Weiterentwicklung des Konzeptes der frauenzentrierten Betreuung und Ausweitung auf alle Berufsgruppen sowie Sicherstellung der Umsetzung des Konzeptes durch entsprechende Aus-, Fort- und Weiterbildung
- Verbesserung der Arbeitsbedingungen in den Kreißsälen, verbindliche Einführung der Eins-zu-eins-Betreuung und Einrichtung von Hebammenkreißsälen
- Aufnahme des Faktors "Zufriedenheit der Gebärenden" als Qualitätskriterium in die Perinatalerfassung
- Verpflichtung des geburtshilflichen Personals zu Nachgesprächen über das Geburtserleben
- Gesetzliche Definition und Anerkennung von Gewalt in der Geburtshilfe und Gynäkologie
- Einführung eines niedrigschwelligen Beschwerdesystems für Opfer von Gewalt und deren Aufarbeitung, einschließlich der Evaluation von Geburtsteams
Was jede Hebamme beitragen kann
Die Auseinandersetzung mit Gewalt in der Geburtshilfe ist nicht nur eine gesellschaftliche, sondern auch eine individuelle Verantwortung. Jede Hebamme und Gynäkolog*in sollte ihr eigenes Handeln und die Art der Kommunikation reflektieren, appelliert der DHV. Eine wertschätzende und wertfreie Kommunikation ist entscheidend, um die Entscheidungskompetenz der Frauen zu erhalten und ihr Wohlbefinden zu fördern. Durch gezielte Selbstreflexion und kontinuierliche Auseinandersetzung mit der eigenen Sprache und Körpersprache könne jede Fachkraft dazu beitragen, ein respektvolles und gewaltfreies Umfeld zu schaffen, in dem sich Frauen gehört und respektiert fühlen. (jr)