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Erschienen in: Heilberufe 6/2022

01.06.2022 | Komplementärpflege | Pflege Praxis Zur Zeit gratis

Mistel, Yoga & Qigong

verfasst von: Prof. Dr. Christine von Reibnitz, Anette Skowronsky

Erschienen in: Heilberufe | Ausgabe 6/2022

Komplementärmedizin in der Onkologie Die neue S3-Leitlinie "Komplementärmedizin in der Behandlung von onkologischen Patient*innen" richtet sich an alle, die in der Versorgung von Betroffenen mitwirken. Sie liefert wertvolle Hinweise für die Beratung und Aufklärung zu den verschiedenen komplementärmedizinischen Verfahren. Auch Patient*innen und ihre Angehörigen können diese Querschnittsleitlinie nutzen.
Die Diagnose Krebs wird sowohl bei Betroffenen als auch Angehörigen als Schock erlebt. Neben Bestrahlung, Operationen und Chemotherapie werden andere Methoden erfragt und zum Teil gewünscht. Bei kaum einer anderen Erkrankungsgruppe sind komplementär- und alternativmedizinische (KAM) Verfahren so verbreitet wie bei Tumorerkrankungen.

Aktiv gegen Nebenwirkungen

In der Therapie von onkologischen Erkrankungen kommt es häufig zu Nebenwirkungen und Beschwerden, die mit Supportivtherapien und/oder komplementärmedizinischen Behandlungen gemindert werden können. Die Supportivtherapie stellt einen Teil der wissenschaftlich fundierten onkologischen Therapie dar. Ihr Ziel ist es, die Nebenwirkungen, Risiken und Beeinträchtigungen der Standardtherapie kompetent zu verhindern oder zu vermindern. Ein wichtiger Bestandteil der Supportivtherapie ist die Psychoonkologie: Sie unterstützt die Betroffenen "gut im Leben" zu bleiben - und zwar mit, trotz und nach der Erkrankung. Denn Krebs betrifft nicht anonyme Organe, sondern Menschen mit einer stets einzigartigen Lebensgeschichte in einem konkreten sozialen Umfeld. Der Übergang von der Supportivtherapie zur Komplementärmedizin ist fließend. Die Komplementärmedizin zielt darauf ab, die wissenschaftlich fundierte onkologische Medizin zu ergänzen. Über die etablierten Möglichkeiten der Supportivtherapie hinaus werden die Patienten im Rahmen der Komplementärmedizin selbst aktiv, um mit ihrem Handeln dazu beizutragen, die Nebenwirkungen der Standardtherapien zu mildern. Patient*innen geht es oftmals nicht nur um Krankheitskontrolle und Einstellung pathogenetisch relevanter Parameter, sondern um eine aktive, ressourcen-mobilisierende Rolle in Krankheitsbewältigung und Therapie. Hier bietet die Leitlinie Komplementärmedizin eine wichtige Informationsquelle und auch evidenzbasierte Beurteilung.

Die Therapie unterstützen

Seit Juli 2021 liegt die erste ärztliche Leitlinie zum Einsatz von Komplementärmedizin in der Onkologie vor. Sie gilt sowohl für Patient*innen während und nach der akuten Therapie im ambulanten wie stationären Bereich und schließt Patient*innen in palliativer Versorgung ein. Gerade Brustkrebs-Patientinnen haben ein großes Bedürfnis nach komplementärmedizinischer Behandlung. Bis zu 70% der Brustkrebs-Patientinnen in Europa nutzen Verfahren der Komplementärmedizin, die strikt von der Alternativmedizin zu unterscheiden ist. Die Begriffe "Alternativmedizin" und "Komplementärmedizin" sind zu unterscheiden: Komplementär-Medizin umfasst Methoden und Verfahren, die die konventionelle, "schulmedizinische" Behandlung ergänzt. Alternativmedizin umfasst Methoden, die anstatt der konventionellen, "schulmedizinischen" Behandlung eingesetzt werden.
Primäres Ziel der Komplementärmedizin ist die unterstützende Therapie mit Blick auf die Lebensqualität der Patient*innen. Sie hat den Anspruch
  • den Organismus zu stützen und zu stärken, um den Krankheitsverlauf zu verbessern.
  • die Nebenwirkungen der spezifischen Krebstherapie zu mildern.
  • die Betroffenen zu ermutigen, selbst zur Heilung und zu einem besseren Befinden beizutragen.
Pflegefachkräfte haben eine große Bedeutung in der Versorgung von Brustkrebspatientinnen und -patienten und sind oft die erste Anlaufstelle, für den Informationsaustausch oder zur Verarbeitung der Erkrankung. Die S3-Leitlinie "Komplementärmedizin in der Behandlung von onkologischen Patient*innen" richtet sich an Ärztinnen und Ärzte sowie alle Berufsgruppen, die mit der Versorgung von Krebsbetroffenen befasst sind. Auf Basis dieser S3-Leitlinie haben die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF), die Deutsche Krebsgesellschaft und die Deutsche Krebshilfe eine entsprechende Patientenleitlinie erarbeitet. Somit dient die Leitlinie ebenso zur Information für interessierte Patient*innen und Angehörige unabhängig von der Art der Krebserkrankung und steht auch in nicht wissenschaftlicher Sprache zur Verfügung.
Ziel dieser S3-Leitlinie ist es, wissenschaftlich basiert über komplementäre oder alternative Methoden (KAM) zu informieren und damit einen Beitrag zur Verbesserung der Versorgungsqualität zu leisten. Die S3-Leitlinie kann die Therapieadhärenz verbessern und Betroffene vor unerwünschten Wirkungen und Interaktionen schützen. Sie bietet eine Übersicht zu den wichtigsten in Deutschland eingesetzten Methoden und Verfahren der Komplementärmedizin in der Behandlung von Krebspatient*innen und informiert über den aktuellen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse zu diesen Verfahren.
Für alle in der Onkologie Tätigen ist sie ein präzises Nachschlagewerk, welches es ermöglicht, Fragen von Krebsbetroffenen evidenzbasiert zu beantworten und gegebenenfalls aktiv Empfehlungen auszusprechen bzw. von konkreten Maßnahmen und Verfahren abzuraten. Ergänzend weist die Leitlinie auf mögliche Wechselwirkungen zwischen komplementärmedizinischen und konventionellen Methoden hin.

Inhalte der Leitlinie

Die umfangreiche Dokumentation in dieser Leitlinie macht deutlich, dass für die meisten Methoden der komplementären Medizin nur wenig wissenschaftliche Daten existieren. Viele Studien weisen nur eine kleine Probandenzahl auf oder es fehlt eine adäquate Vergleichsgruppe. Solche Studien sind methodisch kritisch zu betrachten und die Interpretation der Ergebnisse sind daher eingeschränkt nutzbar.
Dies gilt insbesondere für die Phytotherapie, aber auch für zentrale Fragen beim Einsatz von Mikronährstoffen. Einige Studien zeigen, dass sich die Anwendung komplementärmedizinischer Methoden günstig auf bestimmte Nebenwirkungen der onkologischen Therapie oder auf die Lebensqualität der Betroffenen auswirken kann. Nur wenige Studien zeigen systematisch erfasste Daten zu potenziellen Schäden in Form von Nebenwirkungen und Interaktionen komplementärer oder alternativer Methoden.

Aufbau der Leitlinie

Unterteilt ist die Leitlinie in vier Themenbereiche. Der erste Bereich "Medizinische Systeme" befasst sich mit Akupunktur, Akupressur, anthroposophischer Medizin, Homöopathie und klassischen Naturheilverfahren wie der Balneotherapie (Tab. 1).
Tab. 1:
Komplementäre Verfahren auf einen Blick
Medizinische Systeme
Mind-Body-Verfahren
Manipulative Körperverfahren
Biologische Therapien
Akupunktur
Meditation
Bioenergiefeldtherapien
Nahrungsergänzungsmittel
Anthroposophische Medizin
MBSR
Chiropraktik/ Osteopraktik/ Cranio-Sacral-Therapie
Vitamine
Homöopathie
TaiChi/ Qigong
Hyperthermie
Diäten
Klassische Naturheilverfahren
Yoga
Reflextherapie
Enzyme
Schwedische Massage
Phytotherapie
Shiatsu/ Tuina
Sekundäre Pflanzenstoffe
Sport/Bewegung
 
In einem zweiten Bereich der Leitlinie werden Mind-Body-Verfahren wie Meditation, Mindfulness-based Stress Reduction (MBSR), multimodale und integrative Verfahren, Tai Chi und Qigong sowie Yoga vorgestellt.
Manipulative Körpertherapien sind Inhalt des dritten Bereiches: Sie reichen von Bioenergiefeldtherapien wie Reiki über Chirotherapie/Osteopathie/Cranio-Sacral-Therapie, Hypertherapie, Reflextherapie, schwedischer Massage und Shiatsu bis zu einem Abschnitt über Sport und Bewegung generell. Biologische Therapien bilden den vierten thematischen Bereich der Leitlinie: Hier wird auf den Einsatz von Vitaminen, Mineralstoffen, sekundären Pflanzenstoffen und speziellen Ernährungsweisen wie der ketogenen Diät fokussiert. Darüber hinaus werden die Evidenz zu Phytotherapeutika wie etwa Mistelpräparate dargestellt und bewertet.

Komplementärmedizin proaktiv ansprechen

Viele Krebspatient*innen wünschen sich - neben der Standardtherapie - selbst etwas zum Verlauf ihrer Erkrankung beitragen zu können. Komplementäre Methoden bilden eine Möglichkeit. Welche sinnvoll sind, und ohne Bedenken während der Krebstherapie angewendet werden können, kann mit Beratung durch Pflegefachkräfte maßgeblich unterstützt werden. Als empfehlenswert werden unterschiedliche Arten von körperlicher Aktivität bewertet. Neben der Verbesserung des Therapieerfolgs können Nebenwirkungen wie Erschöpfung, Schlafstörungen und Neuropathie gelindert werden. Dazu sollten die Patient*innen angeleitet und nach persönlichen Vorlieben zu Yoga, Tai-Chi oder Qi-Gong befragt werden.
Meditation zeigt bei Patient*innen mit Brustkrebs erste Hinweise auf eine kurzfristige positive Wirkung auf Lebensqualität und psychisches Wohlbefinden. Tai-Chi/Qigong können während und nach der Krebstherapie eingesetzt werden, um die allgemeine und krankheitsbezogene Lebensqualität zu verbessern. Eine Verbesserung des Therapieerfolgs ist auch durch Vitamin-D-Substitution nach Messung des Vitamin-D-Spiegels möglich. Was den Einsatz von Reflextherapie, schwedischer Massage oder Shiatsu betrifft, reichen die gefundenen Daten nicht aus, um eine Empfehlung für oder gegen diese Therapieformen auszusprechen.
Die seit Jahren eingesetzte Misteltherapie ist differenziert zu betrachten. Was eine mögliche Verlängerung der Gesamtlebenszeit betrifft, ist die Datenlage nicht eindeutig. Für den positiven Einfluss auf die Lebensqualität und das psychische Wohlbefinden kann Misteltherapie mit dem Gesamtextrakt empfohlen werden.
Wie die Leitlinie deutlich herausstellt, besitzen auch vermutet milde Behandlungen ein Risikopotential. Zunächst besteht die Gefahr, dass die Patient*innen diese Behandlung den konventionellen Methoden vorziehen und eine effektive chirurgische Tumorentfernung oder mit Nebenwirkungen behaftete Chemotherapie nicht durchführen lassen. Als zweite Gefahr ist die Wirksamkeit von Nahrungsergänzungsmitteln und Phytotherapie zu sehen. Alles, was im Körper wirkt, kann potenziell Neben- und Wechselwirkungen haben (Prinzip von Paracelsus: die Dosis macht das Gift). Beispielhaft sind chinesische Heilkräuter oder nicht untersuchte Nahrungsergänzungsmittel wie Aprikosenkernpulver.
Als letzten Aspekt ist der Einfluss diverser Nahrungsergänzungsmittel und Diätformen auf die Bioverfügbarkeit von Chemotherapien zu beobachten. Exemplarisch ist die Gabe von Antioxidantien wie Vitamin E zu nennen. Diese können die Wirkungen von Chemotherapie und Bestrahlung herabsetzen. Empfehlungen wie das Aushungern des Tumors mittels ketogener Diät schädigen die Betroffenen dauerhaft und gefährden die körperliche Erholung in den therapiefreien Intervallen bzw. die Nachsorge. Eine komplementärmedizinische Maßnahme mit effektiver, belegbarer Anti-Tumorwirkung gibt es nicht. Wenn naturheilkundliche Verfahren Tumorzellen abtöten würden, wären die körpereigenen Zellen ebenfalls betroffen.
Abschließend: Fünf ärztliche Fachgesellschaften haben auf Basis internationaler Studien und eigener Erfahrungen die wichtigsten Methoden, Verfahren und Substanzen nach den Kriterien der evidenzbasierten Medizin beurteilt.
Die Leitlinie beleuchtet Nutzen und Schaden der jeweiligen Methode. Die gezielten Empfehlungen können den Patient*innen helfen, das Vertrauen in seinen/ihren Körper wiederzugewinnen und eine neue Autonomie zu erlangen.
Literatur bei den Verfasserinnen
Die S3-Leitlinie Komplementärmedizin in der Behandlung von onkologischen Patient*innen in der Langversion finden Sie im HEILBERUFE eMag über springerpflege.de.

Pflege einfach machen

Die S3-Leitlinie dient der Information über wissenschaftlich basierte komplementäre oder alternative Methoden der Krebstherapie. Sie soll einen Beitrag dazu leisten, die Qualität der Versorgung zu verbessern, die Situation der an Krebs Erkrankten sowie die Therapieadhärenz zu stärken und Betroffene besser vor unerwünschten Wirkungen und Interaktionen zu schützen.
Damit ist für alle in der Onkologie Tätigen ein präzises Nachschlagewerk geschaffen worden, das es ermöglicht, Patientenfragen evidenzbasiert zu beantworten, aktiv Empfehlungen auszusprechen bzw. von konkreten Maßnahmen und Verfahren abzuraten.

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Metadaten
Titel
Mistel, Yoga & Qigong
verfasst von
Prof. Dr. Christine von Reibnitz
Anette Skowronsky
Publikationsdatum
01.06.2022
Verlag
Springer Medizin
Schlagwort
Komplementärpflege
Erschienen in
Heilberufe / Ausgabe 6/2022
Print ISSN: 0017-9604
Elektronische ISSN: 1867-1535
DOI
https://doi.org/10.1007/s00058-022-2280-8

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