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„Grundsätzlich gegen separate digitale Akten“

Bisher spielt die Telemedizin in der praktischen Diabetologie in Deutschland eine noch untergeordnete Rolle, was laut den Ausrichtern des dritten DDG-Zukunftstags „Diabetologie & Diabetes Technologie“ – Prof. Dr. Dirk Müller-Wieland (DDG-Präsident) und Prof. Dr. Lutz Heinemann (1. Vorsitzender der DDG-Arbeitsgemeinschaft Diabetes & Technologie – AGDT) – einerseits mit der hohen Dichte an Diabetologen in weiten Gebieten Deutschlands zu tun habe, andererseits aber auch mit Defiziten bezüglich gesetzlicher Regelungen und vor allem mit der ihrer Ansicht nach nicht adäquaten Honorierung.

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Erstveröffentlichungsdatum: 01.04.2019

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>> Während auf dem Zukunftstag in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin Christian Klose (BMG) einen allgemeinen Ausblick auf die Digitalisierung im Gesundheitswesen gab, stellten Ulrich Clever telemedizinische Konzepte aus Baden-Württem-berg, Simone von Sengbusch ein ebensolches Projekt in Schleswig-Holstein und Sean Monks mit „PädExpert“ ein telemedizinisches Konsil in der pädiatrischen Versorgung vor. Speziell zur Indikation Diabetes gab Ralf Lobmann Einblicke in das telemedizinische Facharztkonsil zum diabetischen Fuß, das gemeinsam von BDI und DDG entwickelt wurde; zudem verdeut-lichte Bernd Altpeter Vergütungsaspekte von Telemedizin (Telipro). Lutz Heinemann ging in seinem Vortrag auf grundlegende Aspekte der Digitalisierung ein. Details zur Elektronischen DDG-Gesundheitsakte, die wohl besser Datenkonzept heißen sollte, verdeutlichte hingegen Müller-Wieland. Der Diabetologe Jens Kröger schlüpfte in die Patientenrolle und beleuchtete vor allem die Nutzenfrage der Digitalisierung bei Diabetes aus dieser Sicht.
In ihren einführenden Worten verdeutlichte Prof. Dr. Monika Kellerer, derzeitige Vizepräsidentin und künftige Präsidentin der DDG, dass sich die DDG und die AGDT auf die Fahnen geschrieben hätten, „die Zukunft mitgestalten“ zu wollen, zumindest, so schränkte sie ein, bei den Themen, bei denen die Diabetologie betroffen ist. Nach Ausführungen von Monika Kellerer, Ärztliche Direktorin des Zentrums für Innere Medizin I des Marienhospital in Stuttgart, befinde sich die Digitalisierung in der Diabetologie noch „in den Kinderschuhen“, auf jeden Fall „noch nicht so verbreitet wie wir uns das wünschen würden“. Das werde sich aber, prognostizierte sie, ändern, da sich die Diabetologie in besonderer Weise für telemedizinische Konzepte eigne, sei sie doch ein Fach mit hohem Beratungsaufwand, mit einen hohen Anteil der sprechenden Medizin, zudem eigneten sich die Befunde der Diabetologie, ob Blutzucker- oder komplexe Glukoseprofile, hervorragend für die digitale Aufarbeitung. Zudem trügen schon heute viele Insulinpatienten Geräte, die hervorragend vernetzt sind. Kellerer: „Daher machen digitale und telemedizinische Konzepte Sinn, insofern wundert es, dass die Telemedizin in der Diabetologie noch nicht stärker verankert ist.“ Auch sei zu beachten, dass steigenden Zahlen von älteren Menschen mit Diabetes – oft nur eingeschränkt mobil – eine immer geringere Zahl an Diabetologen gegenüberstehe, so dass in Zukunft Onlinenetzwerke oder Gesundheitsportale, die ortsunabhängig sind und 24 Stunden am Tag erreichbar sind, eine hohe Attraktivität erhalten können. Ebenso würden große internationale Konzerne auch auf den deutschen Markt drängen, womit sie Fakten schafften, die nicht unbedingt im Sinne der Patienten, der Behandler und des Datenschutzes sein werden. „Deswegen ist es ein Bedarf, dass die wichtigen Player im deutschen Gesundheitssystem schnell agieren, damit wir das Heft weiter in der Hand behalten können und die Prozesse der Digitalisierung im Sinne der Patienten und der Ärzte weiter gestalten können“, forderte die künftige DDG-Präsidentin.
In der dem Zukunftstag vorausgehenden Pressekonferenz verdeutlichte Prof. Dr. Lutz Heinemann, der 1. Vorsitzende der AGDT, der mit rund 200 Mitgliedern eine der größten Arbeitsgemeinschaften der DDG, den grundlegenden Unterschied zwischen dem Format des Zukunftstags zu anderen Diabeteskongressen mit oft ähnlichen Themen: Dies sei das Zielpublikum. „Wir versuchen hier Menschen anzusprechen, die in der Politik, bei Kassen und in der Industrie tätig sind, um diesem Kreis die aktuellen Entwicklungen näherzubringen“, erklärte Heinemann. Und das sind jede Menge, mit – so Heinemann weiter – oft „erheblichster Entwicklungsgeschwindigkeit“. So sei die Brandbreite in Zusammenhang mit der Diabetes-Technologie sehr groß, zudem habe sie sich vom Randgebiet kleiner Blutzuckermessgeräte zu einer „eigenständigen Säule innerhalb der Diabetestherapie entwickelt, die essentiell für eine gute Diabetesversorgung“ ist. Doch jetzt, nachdem es verschiedene Clicinal Decision Support Systeme (SDSS) gebe, die dem Behandler eine aufberereitete Analyse aller verfügbaren Daten offeriert, sowie Patient Decision Support Systeme (PDSS) gebe, die beim täglichen Diabetesmanagement unterstützen, gehe es darum, die Daten zusammenzubringen und zu managen. Das Problem dabei: Daten, in denen Diabetesinformationen gespeichert werden können, wie die Elektronische Patientenakten (EPA) laufen – so Heinemanns Kritik – „parallel, sind nicht koordiniert und nicht abgestimmt“. Behandelnde Ärzte hätten jedoch als Praxisbetreiber verschiedene CGM- und Arztinformations-Systeme von diversen Herstellern mit jeweils eigener Software zur Datenauswertung. „Idealerweise hätten wir eine einzige Software“, sagte Heinemann, zugebend nicht zu wissen, „wie man dahinkommt“. Darum gebe es seitens der DDG Konsensusbemühungen hinsichtlich der Darstellung von Ergebnissen und der Frage, welche Werte im akuten Behandungsfall wirklich betrachtet werden sollen und müssen. Heinemann: „Wichtig ist hier das Stichwort Standards, wie sie beispielsweise bei der EKG-Auswertung vollkommen üblich sind, denn nur so weiß jeder, was wichtig ist und was nicht.“ Seine Forderung, die in die sogenannte „DDG-Diabetesakte“, eigentlich ein Datenstrukturkonzept, mündet: „Das brauchen wir Diabetes, aber auch bei anderen Indikationen.“
Dabei spricht sich seine Fachgesellschaft, wie DDG-Präsident Müller-Wieland betonte, grundsätzlich gegen separate digitale Akten aus, die geschlossene Systeme darstellen würden, wie sie einige Kostenträger und Anbieter propagieren. „Wir denken in offenen Plattformen, betonte Müller-Wieland und vergleicht diesen Ansatz mit der Welt der Smartphones, die trotz unterschiedlicher Modelle, Anbieter und Betriebssysteme miteinander kommunizieren können – ob die Daten nun EPAs stammen, von smarten Insulin-Pes, die Angaben zur verabreichten Insulindosis und dem Spritzzeitpunkt automatisch in eine Cloud übermitteln, aber von Blutzuckermessgeräten oder unter die Haut implantierten Sensoren, die Glukosewerte kontinuierlich hinweg messen und weitergeben können.
Die DDG erarbeitet genau zu diesem bereits vorhandenen, aber noch nicht genutzten Datenpool seit Januar dieses Jahres ein Datenkonzept, das sie etwas fehlleitend DDG-Diabetesakte nennt (siehe dazu S. 20 ff.). <<
Autor:
MVF-Chefredakteur Peter Stegmaier

Zitationshinweis:

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